Hamburg. Gutachten sagt Stagnation oder sogar Schrumpfung voraus. Junge Familien zieht es ins Umland. Klimabeirat fordert, weniger zu bauen.
Nach dem „Frühjahrsgutachten Immobilienwirtschaft 2022“ im Auftrag des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA) ist es mit dem Wachstum der großen deutschen Städte bald vorbei. Es drohe eine Stagnation bei der Einwohnerzahl, sogar eine Schrumpfung sei möglich, heißt es in der mehr als 250 Seiten starken Analyse des Spitzenverbandes der Immobilienwirtschaft.
Zwar sei es Hamburg und München gelungen, die Wanderungsverluste mit dem Umland „zumindest nicht weiter steigen zu lassen, aber das Niveau ist mit jährlich gut 40 bzw. knapp 80 Personen pro 10.000 Einwohner weiterhin sehr hoch“, so die Gutachter. Auch gegenüber ländlichen Räumen gebe es keinen oder nur geringe Wanderungsgewinne. Drei der sieben sogenannten A-Städte hätten sogar in der Summe Einwohner an den ländlichen Raum verloren. Dazu gehören Berlin, München, Frankfurt, Hamburg, Köln, Düsseldorf und Stuttgart. Die Zeiten, in denen alle in die Städte wollten, seien vorbei.
Bisher waren fast alle Experten davon ausgegangen, dass Hamburg weiter wächst und die Einwohnerzahl im Jahr 2031 die Zwei-Millionen-Grenze übersteigen wird. Jetzt das Fazit der Gutachter: „Für die nächsten Jahre kann eine Rückkehr der A-Städte zu ihren früheren Wachstumsraten praktisch ausgeschlossen werden. Ganz im Gegenteil sollten die Akteure sogar ein Szenario einer länger anhaltenden Schrumpfung in ihren Planungen mitbedenken, analog zur letzten Schrumpfungsphase der Metropolen in den 1960er- bis 1990er-Jahren.“
Immobilien Hamburg: Für Familien zu teuer
Auch diese Schrumpfungsphase habe „im Anschluss an eine Phase stürmischen Wachstums und entsprechender Mietsteigerungen und gleichzeitiger flächendeckender Vollbeschäftigung und Arbeitskräftemangel“ eingesetzt. Ein Hauptgrund für die drohende Schrumpfung sei der Trend zur „Suburbanisierung“, also der Abwanderung aus der Stadt in den Speckgürtel. Vor allem Familien wanderten ins Umland ab, weil das Angebot an großen Wohnungen zu gering und die Kosten zu hoch seien. Die Städte bauten zu viele kleinere und zu wenig große Wohnungen.
„Den Städten ist daher dringend anzuraten, zumindest ihre wohnungspolitischen Strategien zu überprüfen und Familien einen sehr viel größeren Stellenwert einzuräumen“, so der Ratschlag der Gutachter, die sich „Rat der Immobilienweisen“ nennen, an die Politik. „Sie können es weder hinnehmen, dass die Familien die Städte verlassen, noch dass die verbleibenden Familien derart beengt wohnen. Die Städte könnten ihre planungsrechtlichen Möglichkeiten im Rahmen von Bebauungsplänen nutzen, um auf familiengerechte Wohnungen zu drängen.“
Zehntausende Wohnungen genehmigt, aber nicht gebaut
Die Prognose schrumpfender Städte passt zu den zuletzt hitzig diskutierten Vorschlägen von Klimaschützern, die verstärkt darauf hinweisen, wie stark der Neubau das Klima durch immensen CO2-Ausstoß belastet (Abendblatt berichtete). In diesem Kontext hatte auch der Klimabeirat des Hamburger Senats gefordert, den Wohnungsbau in Hamburg zurückzufahren – von den derzeit jährlich geplanten 10.000 neuen Wohnungen auf 5000.
Begründet wurde dies auch damit, dass die Bevölkerungszahl nicht mehr stark wachse. Es wird auch darauf verwiesen, dass rund 35.000 Wohnungen bereits genehmigt, aber noch gar nicht gebaut worden seien. Mieterverein und SPD hatten die Forderung einer Halbierung der Zielzahl auf 5000 vehement abgelehnt, weil ihre Umsetzung ihres Erachtens zu noch schneller steigenden Mieten führen würde.
Stadtflucht: Bestimmte Gruppen ziehen aufs Land
Zwar ist die Einwohnerzahl in Hamburg in den vergangenen Jahren tatsächlich nur noch sehr langsam gewachsen. Dass die Einschätzungen des ZIA-Gutachtens dennoch keineswegs überall geteilt werden, zeigen aber nicht nur die Prognosen des Statistikamtes. Ein generelles Abwandern der Bevölkerung ins Umland sei nicht zu beobachten, sagte auch Professor Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen, dem Abendblatt. „Es ist eher umgekehrt. Wenn wir die demografische Entwicklung betrachten, zeigt sich, dass es auch die ältere Generation eher in die Städte zieht, weil es dort ein größeres Kulturangebot, mehr Ärzte und kurze Wege zu den Nachbarn gibt.“
Es gäbe jedoch bestimmte Gruppen, die aus Kostengründen aufs Land zögen, etwa weil sie Eigentum erwerben wollen oder die Mieten günstiger sind. „Gerade junge Familien wollen vielleicht lieber ein Haus mit Garten in Geesthacht als eine teure Mietwohnung in Altona. In der Gesamtbevölkerung schlägt sich das jedoch nicht nieder“, so Reinhardt. „Die Mehrheit der Bevölkerung zieht nicht ins Umland.“
„Forderungen nach einem Baustopp sind unredlich“
Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) warnt ebenfalls davor, beim Wohnungsbau zu bremsen. „Gerade in Hamburg besteht noch ein erheblicher Bedarf an bezahlbarem Wohnraum. Insofern sind Forderungen nach einem Stopp des Wohnungsbaus unredlich“, sagte Breitner dem Abendblatt.
„Allerdings sind gerade die im VNW organisierten Wohnungsunternehmen sogenannte Bestandshalter. Sie bauen Wohnungen, um sie dann viele Jahrzehnte zu vermieten. Das führt dazu, dass ein Geschäftsführer oder ein Vorstand bei einem Neubauprojekt sehr genau prüft, ob die Wohnungen auch noch in einigen Jahrzehnten vermietet werden können. Niemand will in den Leerstand bauen.“
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Zugleich machten sich die sozialen Vermieter Gedanken, wie sie die Klimaschutzziele erreichen können, sagte Breitner. „So prüfen sie sehr genau, bevor sie ein in die Jahre gekommenes Wohngebäude abreißen, ob es nicht sinnvoller ist, zu sanieren. Aber auch soziale Vermieter müssen am Ende schwarze Zahlen schreiben. Und manchmal rechnet sich der Erhalt eines Gebäudes nicht.“