Hamburg. Experten möchten, dass in Hamburg nur noch 5000 neue Wohnungen pro Jahr entstehen. Auch für Autofahrer soll es Einschränkungen geben.
Der neue Hamburger Klimabeirat hat seine erste „klimapolitische Empfehlung“ an den Senat vorgelegt. Darin setzt sich das 15-köpfige vom Senat im Frühjahr eingesetzt Expertengremium mit dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung auseinander und leitet daraus auch Ziele für die Hamburger Klimapolitik ab. Eine zentrale Forderung des neunseitigen Papiers: Hamburg soll seine Wohnungsbaustrategie und damit auch das bisher festgesetzte Ziel von 10.000 neuen Wohnungen pro Jahr überprüfen und nach unten korrigieren.
Aus neuesten Bevölkerungsprognosen ergebe sich lediglich ein Bedarf von 74.000 neuen Wohnungen bis 2035, was etwa 5000 Wohnungen pro Jahr entspreche. Da der Wohnungsbau durch Material- und Energieeinsatz sowie Flächenverbrauch das Klima belaste, müsse der Senat seine im neuen Bündnis für das Wohnen festgeschriebene womöglich zu hohe Zielzahl einer kritischen Prüfung unterziehen, so die Experten. Zudem müssten die Bodenversiegelung verringert und der Neubau klimagerecht gestaltet werden. Dafür müsse etwa mehr Holz und grüner Stahl und Beton sowie mehr wiederaufbereitetes Material eingesetzt werden.
Klimabeirat will Wohnungsbau beschränken und stadtweit Tempo 30
Eine weitere zentrale Forderung des Papiers ist die Senkung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit auf Straßen. „Um den Umweltverbund und den Klimaschutz voranzubringen, sollte Hamburg so schnell wie möglich stadtweit Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit einführen“, heißt es in dem Papier. Die Weltgesundheitsorganisation WHO habe sich für eine Einführung von Tempo 30 ausgesprochen und sehe darin „einen nennenswerten Beitrag zur Null-Kohlenstoff-Mobilität“, so der Hamburger Klimabeirat.
„Das Umweltbundesamt argumentiert in dieselbe Richtung und auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat sich für diese Maßnahme ausgesprochen.“ Sie könne auch einen Beitrag leisten zur „Vision Zero“ sein, dem Ziel von null Verkehrstoten, so das Papier. „Ein subjektiv sichereres Verkehrsgeschehen bleibt für viele Verkehrsteilnehmer:innen eine wichtige Voraussetzung für einen Umstieg auf das Fahrrad.“
Hamburg soll mehr auf Solarenergie setzen
Deutlich stärker soll Hamburg nach Einschätzung der Experten auf Solarenergie setzen. „Erneuerbarer Strom aus Photovoltaik (PV) ist in der Perspektive neben Windkraft der entscheidende Pfeiler der Energiewende und zeigt bereits heute günstige Stromgestehungskosten im Vergleich zur fossilen Erzeugung“, heißt es in den Empfehlungen. „Der bundesweite Ausbau der PV soll laut Koalitionsvertrag folgerichtig auf 37 GW bis 2030 ausgeweitet werden. Die solare Nutzung aller Dachflächen, wie im Koalitionsvertrag ebenfalls angekündigt, muss auch in Hamburg deutlich entschiedener in Angriff genommen werden. Derzeit werden in Hamburg ca. 27.000 MWh Strom über PV-Anlagen erzeugt. Das kleinere Bundesland Bremen kommt hingegen bereits auf eine Erzeugung von ca. 42.600 MWh. Der Klimabeirat regt an, auf Landesebene ein ergänzendes Förderprogramm zu prüfen, das auf PV-Module ab zielt, die in Europa produziert werden.“
Zentral für das Erreichen der Klimaschutzziele sei zudem die energetische Sanierung des Wohnungsbestandes. „Der aktuelle Klimaplan geht von einem Einsparvolumen von 567.000 Tonnen CO2 bis 2030 aus. Mit der Verschärfung der Klimaschutzziele müsste dieser Teilsektor weitere Einsparung realisieren.“ Dafür müsse Hamburg „gewährleisten, dass die Sanierungsquote tatsächlich kurzfristig auf mindestens zwei Prozent pro Jahr angehoben wird“. Bisher war diese Quote weit verfehlt worden.
Experten wünschen sich klimaneutralen Busverkehr
Ein Problemkind der Klimapolitik ist aus Sicht der 15 Experten des Hamburger Klimabeirates auch weiterhin der Verkehrssektor. Hier hatte es in den vergangenen Jahren auch in Hamburg kaum Einsparungen oder zeitweise sogar eine Zunahme des CO2-Ausstoßes gegeben. In Hamburg war die Zahl der Pkw zuletzt schneller gewachsen als die Bevölkerung. Neben Tempo 30 auf Straßen fordert der Beirat den Ausbau eines „klimaneutralen Busverkehrs inklusive Schnellbusverbindungen“, auch „um möglichst schnell für Pendelverkehre (Arbeit und Freizeit) mehr leistungsfähige Alternativen zum Motorisierten Individualverkehr zu schaffen“. Der Klimabeirat begrüßt zudem die auch in Hamburg betriebene Forschung zu synthetischen Treibstoffen, die in Zukunft ein klimaneutrales Fliegen machen könnten – ebenso wie die Pläne zur Herstellung von grünem Wasserstoff, in denen er große Chancen für Hamburg sieht.
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Bei allen technischen Ansätzen plädieren die Experten aber auch dafür, dass die Bürger ihr Verhalten so ändern, dass sie weniger zur Klimaerwärmung beitragen. Sie weisen darauf hin, „dass es neben der notwendigen Innovations- und Wirtschaftspolitik, die auf Effizienz und Konsistenz zielt, auch einer umfassenden Suffizienzstrategie bedarf“. Bei der Suffizienz (von Lateinisch "sufficere" für "ausreichen") geht es darum, möglichst wenig Rohstoffe und Energie zu verbrauchen.
Weniger Ressourcenverbrauch senkt Kosten für Umbau der Gesellschaft
Laut Expertenpapier „macht eine aktuelle Studie des Fraunhofer-Instituts deutlich, dass der finanzielle Aufwand für eine bundesweite klimaneutrale Energieversorgung bei einer Minderung des Energieverbrauchs deutlich reduziert werden kann“. Die notwendigen Investitionen und Kosten für einen Umbau der Gesellschaft bis zur Klimaneutralität 2045 lägen um etwa 1300 Milliarden Euro niedriger, wenn man parallel zum technischen Umbau auch zu einem sparsameren Umgang aller Bürger mit den Ressourcen komme, so die Fachleute. „Eine solche Suffizienzstrategie erfordert einen umfangreichen Wertewandel und umfassende Verhaltensänderungen in der Bevölkerung“, heißt es in dem Papier. „Der Klimabeirat schlägt daher vor, dass Hamburg mit einer entsprechenden Konzeption und Kampagne Maßstäbe setzt und eine (bundesweite) Suffizienzstrategie umfassend unterstützt.“
Die Vorsitzende des Hamburger Klimabeirats, Prof. Daniela Jacob begrüßte in ihrem Fazit, dass der Koalitionsvertrag der Ampel „mehr Dynamik in Klimaschutz und Anpassung“ verspreche. „Das bewerten wir im Grundsatz positiv“, so Jacob. „Dieser Schwung sollte dann aber auch vom Hamburger Senat umgehend genutzt und verstärkt werden.“