Hamburg. Am 6. Mai wird Peter Tschentscher im Untersuchungsausschuss aussagen. Es könnte ein Befreiungsschlag werden – oder das Gegenteil.
Der Bürgermeister war um Optimismus bemüht. Die Hamburgerinnen und Hamburger könnten sich freuen, „dass es einen Frühling gibt, der uns die Sache wieder leichter macht“, sagte Peter Tschentscher, als er am frühen Mittwochabend im Rathaus zum wiederholten Mal im Anschluss an eine Videokonferenz von Bund und Ländern die dort gefassten Beschlüsse erläuterte. Trotz der Abschaffung fast aller Corona-Schutzmaßnahmen bis zum 20. März vermied der SPD-Politiker aber die Bezeichnung „Freedom Day“, und das war sicher kein Zufall.
Tschentscher gehört zum „Team Vorsicht“, und die Botschaft, dass die Corona-Pandemie in einem Monat beendet sein soll, behagt dem Mediziner nicht sonderlich. Schließlich sei ein Rückfall, ein Wiederanstieg der Infektionszahlen, zumindest nicht ausgeschlossen, und die Impfquoten seien immer noch in einigen Landesteilen und Altersgruppen „zu niedrig“, sagte er. Schon an diesem Sonntag wird der Bürgermeister daher wieder bei Terminen für das Impfen werben.
Cum-Ex: Tschentscher sagt am 6. Mai vor PUA aus
Tschentscher könnte aber in diesem Frühling einen ganz persönlichen „Freiheitstag“ erleben, und das bei einem anderen Thema, das ihn fast auf den Tag genauso lang begleitet wie Corona: Cum- Ex. Am 6. Mai soll der Bürgermeister vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) der Bürgerschaft aussagen, und wenn man seinen Andeutungen sowie Stimmen aus seinem Umfeld glaubt, dann blickt er diesem Auftritt durchaus mit Freude entgegen.
Denn bislang verbietet ihm das Steuergeheimnis, als ehemaliger Finanzsenator im Detail darüber zu sprechen, warum die Stadt im Herbst 2016 darauf verzichtet hatte, rund 47 Millionen Euro an erstatteten Steuern von der Warburg-Bank zurückzufordern – obwohl, wie inzwischen höchstrichterlich festgestellt wurde, dieser Erstattung ein illegales Cum-Ex-Geschäft zugrunde lag. Im PUA dürfte Tschentscher hingegen von den Warburg-Anwälten vom Steuergeheimnis befreit werden – so war es bei allen bisherigen Zeugen – und kann sich relativ frei äußern. Man könnte auch sagen: Er kann sich endlich wehren. Das Gleiche gilt übrigens für den heutigen Finanzsenator Andreas Dressel (SPD), der am 8. April aussagen soll.
Immer wieder kommen neue Details ans Licht
Denn bislang läuft das Spiel so: Ungefähr im Zwei-Wochen-Takt werden durch Medienberichte oder die Arbeit des Untersuchungsausschusses neue Details bekannt, die den Eindruck erwecken, dass diese Angelegenheit zum Himmel stinkt. Die so entstandene Indizienkette ist mittlerweile stattlich: Mitte 2016 sind Betriebsprüfer des Finanzamts für Großunternehmen sicher, bei Warburg auf einen Cum-Ex-Fall gestoßen zu sein – also einen hochkomplexen Aktien-Deal, der nur einen Zweck hatte: die Finanzämter zu verwirren, um sich Kapitalertragsteuern erstatten lassen zu können, die nie gezahlt worden waren.
Die Prüfer überzeugen mit einiger Mühe ihre Vorgesetzte, und die fertigt am 5. Oktober schließlich einen abwägenden Bericht, der unterm Strich für Rückforderung der 47 Millionen Euro plädiert. Die über die Pläne des Finanzamts informierten Inhaber der Bank schalten zwischenzeitlich die Politik ein: den damaligen Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs und den früheren Innensenator Alfons Pawelczyk (beide SPD) und erhalten im Herbst zweimal einen Termin bei Bürgermeister Olaf Scholz.
Mehr als 45.000 Euro Spenden an die SPD
Beim zweiten, am 26. Oktober, übergeben Max Warburg und Christian Olearius Scholz ein Papier, in dem sie erklären, warum sie die Rückforderung für ungerechtfertigt halten und dass diese den Fortbestand der Bank bedrohe. Am 9. November ruft Scholz Olearius an und sagt ihm, er solle das Papier kommentarlos dem Finanzsenator zusenden. Dort kommt es zwei Tage später an. Tschentscher lässt sich einige Tage Zeit, bevor er „Bitte um Informationen zum Sachstand“ an den Rand schreibt und das Papier in die Finanzverwaltung gibt.
Am 17. November entscheiden Mitarbeiter des Finanzamts und der Behörde schließlich gemeinsam, auf die Rückforderung zu verzichten. Die Autorin des Berichts, der die Grundlage für das Treffen ist, ändert nun ihre Meinung. Wenige Monate später gehen mehr als 45.000 Euro an Spenden aus dem Umfeld der Warburg-Bank bei der SPD ein, der Löwenanteil davon beim von Kahrs geführten Kreisverband Hamburg-Mitte. Als 2017 ein ähnlicher Fall droht, dieses Mal geht es um eine mögliche Rückforderung von 43 Millionen Euro gegen Warburg, auf die die Finanzbehörden erneut verzichten wollen, schreitet das Bundesfinanzministerium ein und fordert Hamburg auf, das Geld zurückzufordern.
Hamburger Staranwalt erstattet Strafanzeige
Die Opposition in der Bürgerschaft zieht aus dieser Indizienkette die gleichen Schlüsse wie der renommierte Hamburger Anwalt Gerhard Strate: Scholz und Tschentscher hätten „ihre schützende Hand“ über Warburg gehalten, schreibt Strate in seiner Strafanzeige, die er in dieser Woche eingereicht hat. „Beihilfe zur Steuerhinterziehung“ wirft er den beiden Politkern darin vor, Scholz zudem „falsche uneidliche Aussage“, weil dieser im PUA behauptete hatte, er könne sich an den Inhalt der Gespräche mit den Bankiers nicht mehr erinnern.
Während der heutige Bundeskanzler sich mit dieser Strategie weiterer Nachfragen entzieht, wählt sein Nachfolger als Bürgermeister eine andere Strategie. Er will reden. Wie sehr es Tschentscher nahegeht, alle paar Wochen mit neuen Vorwürfen konfrontiert zu werden, ohne sie konkret erwidern zu können, zeigte sich bei einer Pressekonferenz im Januar. Da gab der Bürgermeister einen Ausblick auf das neue Jahr, wobei Corona alles überlagerte – nach fast zwei Stunden war Tschentscher sichtlich ermattet. Doch als er kurz vor Schluss gefragt wurde, wie er die Lage in Sachen Cum-Ex bewerte, musste er noch etwas loswerden.
„Kann man so etwas ignorieren?“
„Alle Zeugen haben ausgesagt, dass es keine politische Einflussnahme auf ihre Entscheidungen gab“, stellte er in einem fast zehnminütigen Monolog klar. In der Tat haben im PUA zumindest alle Mitarbeiter von Finanzamt und -behörde, die an jener Entscheidung vom 17. November 2016 beteiligt waren, dies zu Protokoll gegeben. „Kann man so etwas ignorieren?“, fragte Tschentscher und zeigte sich sichtlich verärgert, dass diese „Verdachtsberichterstattung“, wie er sagte, ausgerechet kurz vor der Bürgerschaftswahl im Februar 2020 aufgeploppt war. Das sei für ihn persönlich „ein heftiges Ereignis“ gewesen.
Seitdem sei aber im PUA klar herausgearbeitet worden, dass das Finanzamt eine „harte Rechtsentscheidung“ getroffen habe , so Tschentscher. Gemeint war, dass die Fachleute sich nach eigener Aussage nicht mehr sicher waren, Warburg ein Cum-Ex-Geschäft nachweisen zu können und Sorge vor Regressansprüchen hatten, wenn sie den Zusammenbruch der Bank auslösen sollten.
Warburg zahlte über 150 Millionen Euro zurück
Und darauf habe weder er noch jemand anders politischen Einfluss genommen, so der Bürgermeister: „Ausdrücklich auch nicht Herr Scholz.“ Im Übrigen sei die Strategie, juristische Risiken zu vermeiden und dennoch Ansprüche geltend machen zu können, am Ende doch aufgegangen. „Das Geld ist in der Kasse“, so Tschentscher. Tatsächlich hat Warburg, nachdem Gerichte die Cum-Ex-Geschäfte für illegal erklärt hatten, inklusive Zinsen mehr als 150 Millionen Euro an die Stadt zurückgezahlt.
Doch ob solche und andere Hinweise sowie eine grundsätzliche Auskunftsbereitschaft ausreichen werden, um aus dem 6. Mai für den Bürgermeister einen „Freedom Day“ im Sinne eines Befreiungsschlags zu machen, bleibt noch abzuwarten. Seine Befragung werde völlig anders als die von Scholz, sagen Abgeordnete. Denn anders als vor einem Jahr liegen dem PUA inzwischen sämtliche Akten vor, sodass man Tschentscher mit Details wie E-Mails und Vermerken konfrontieren könne: „Er wird in größere Erklärungsnot kommen als Scholz“, prophezeit ein PUA-Mitglied. Sich mit Erinnerungslücken herauszuwinden, könne sich der Bürgermeister nicht leisten – zumal er immer wieder erklärt hat, wie gut er die Steuerverwaltung kenne und dass er über den Vorgang informiert war.
Cum-Ex: Wird Tschentscher die Aussage verweigern?
Dennoch befürchten einige, dass Tschentscher doch noch die Aussage verweigern könnte: Wenn nämlich die Staatsanwaltschaft bis dahin entscheiden würde, aufgrund Strates Anzeige Ermittlungen aufzunehmen. Als Beschuldigter in einem Strafverfahren hätte der Bürgermeister dann das Recht zu schweigen, um sich nicht selbst zu belasten. Doch ob es so weit kommt, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.
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Aus Sicht von Milan Pein, SPD-Obmann im PUA, enthält die Strafanzeige „keinerlei neue Fakten oder Erkenntnisse“. Zudem habe die Staatsanwaltschaft ja schon diverse Anzeigen gegen Scholz und Tschentscher geprüft und die Verfahren eingestellt, weil kein Anfangsverdacht bestanden habe. Außerhalb der Sozialdemokratie heißt es hingegen, die Strate-Anzeige habe eine ganz andere Qualität, darauf müsse die Staatsanwaltschaft mit Ermittlungen reagieren.Letztlich hängt es also auch an dieser Entscheidung, ob der Bürgermeister seinen „Freedom Day“ erleben wird. Oder eher ein Waterloo.