Hamburg. Vor 60 Jahren brach die Flutkatastrophe über Hamburg herein. Welche Gedenkveranstaltungen nun geplant sind verrät diese Serie.
Andreas Barke und Harald Krüger würden in diesem Jahr wohl ihren 62. Geburtstag begehen. Marita Werner wäre 64, Holger Schwedler 61 geworden. Ebenso wie 310 andere Hamburger verloren diese Kinder im Februar 1962 ihr Leben. In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar brachte die verheerende Sturmflut Tod, Elend und Verzweiflung in die Hansestadt. 13 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik war es die größte Katastrophe der Nachkriegszeit. Allein die Familie Bennewitz verlor drei Mädchen und zwei Jungs zwischen vier und neun Jahren.
Infolge des Hochwassers brachen im Stadtgebiet an 60 Stellen die Deiche. Nicht nur Wilhelmburg stand unter Wasser. Etwa 220 Millionen Kubikmeter Wasser überschwemmten Hamburg. So viel wird im Schnitt in drei Jahren von allen Haushalten verbraucht. 26.000 Helfer, gestellt von Bundeswehr, Polizei, Feuerwehr und ausländischen Einheiten, packten kraftvoll an. Als Polizeisenator nahm damals ein junger Politiker namens Helmut Schmidt das Heft in die Hand. Durchsetzungsstark, entschlossen. Organisationstalent und Macherqualitäten beflügelten seine spätere Karriere bis zur Kanzlerschaft. Am 26. Februar 1962 nahmen 150.000 Bürger an der Trauerfeier auf dem Rathausmarkt teil. Das Mitgefühl mit dem Leid der Mitmenschen war enorm.
Das Flutmuseum ist noch immer nicht realisiert
60 Jahre später ist die Tragödie unvergessen. Zeitzeugen und Medien hielten die Erinnerung an die unfassbaren Naturgewalten am Leben. Im Schulunterricht steht das Thema auf dem Lehrplan. Schon unsere Vorfahren reichten ihre Erfahrung an nachfolgende Generationen weiter: Hüte dich vor Sturm und Hochwasser. Der „Groten Mandräke“ („Großes Ertrinken“) auf den Tag sechs Jahrhunderte zuvor forderte im heutigen Norddeutschland bis zu 100.000 Menschenleben. Während der Weihnachtsflut anno 1717 ertranken mehr als 11.000 Menschen und rund 100.000 Tiere. Die Katastrophe von 1962 traf Hamburg auch deshalb besonders hart, weil man sich ob vermeintlich hoher Deiche auf der sicheren Seite wähnte. Seitdem wurden immer gewaltigere Deichanlagen errichtet. Parallel erreichte das Elbhochwasser einstmals unvorstellbare Dimensionen. Es ist ein bizarrer Wettlauf.
In einer sechsteiligen Serie erinnert das Abendblatt ab Montag an die historische Katastrophe. Es gibt ein Sondermagazin „Die Flut“ mit 106 Seiten, bewegenden Fotos und beeindruckenden Dokumenten sowie einen aktuellen Podcast. Bei einer Gedenkfeier in Wilhelmsburg spricht Bürgermeister Peter Tschentscher. Die Helmut-Schmidt-Stiftung bietet auf Twitter ein Live-Projekt mit dem Titel „Die Nacht der großen Flut“. Am kommenden Donnerstag (17. Februar, 18 Uhr) organisiert die Institution eine Diskussionsveranstaltung: „Zurück in die Gegenwart: 60 Jahre Hamburger Sturmflut“. Via Internet-Stream kann man dabei sein.
Flutkatastrophe: Wie Hamburg das Jahr 1962 aufarbeitet
Nicht in jedem Fall stehen große Worte im Einklang mit der Realität. Zwar hält Hamburg die Erinnerung an 1962 grundsätzlich in Ehren, doch gibt es auch Makel. Ein Beispiel ist die Posse um ein ehrgeizig geplantes, bisher jedoch nicht umgesetztes Flutmuseum. Diese Gedächtnisstätte soll Teil des ehrwürdigen Museums Elbinsel Wilhelmsburg sein. Ursprünglich war die Einweihung zum 60. Jahrestag der Sturmflut vorgesehen, also in der kommenden Woche, tatsächlich wird nun 2025/2026 angepeilt. Statt anfangs 9,9 Millionen Euro stehen für die Restaurierung der Villa an der Kirch-dorfer Straße nun 5,9 Millionen Euro zur Verfügung. Die Voraussetzungen für eine umfangreiche Unterstützung des Bundes waren schlicht falsch recherchiert worden. Wer in den Behörden Verantwortung für diesen peinlichen Patzer trägt, wurde öffentlich nie geklärt.
Der Museumsverein will das Beste aus der misslichen Situation machen. „Nur einmal am Jahr am Gedenkstein stehen und dort alle zehn Jahre eine Rede des Ersten Bürgermeisters hören – das reicht nicht“, sagt Vorstandschef Gerd Nitzsche im Namen des Museums-vereins: „Wir brauchen ein Flutmuse-um.“ Er wird noch ein paar Jahre Ge-duld haben müssen. Ebenso lange wird es dauern, bis das Mahnmal „Die Welle“ auf dem Vorplatz des Heimatmuseums einen würdigen Platz erhält. Nach der Neugestaltung des Stübenplatzes in Wilhelmsburg wurde die Skulptur verlegt. Für das angedachte Wasserspiel stand kein Geld bereit. Nun befindet sich das Mahnmal verloren und wenig sinnvoll in der Nähe des Vogelhüttendeichs.
Mehrere Denkmäler in Hamburg zur Flutkatastrophe
Auch mit einem weiteren Denkmal ist wenig Staat zu machen. Zwei weiße, unterschiedlich lange Quader in einem kleinen Park am Siedenfelder Weg erinnern an die Katastrophe von 1962: „Den Toten zur Ehre. Den Lebenden zur Mahnung.“ Dort organisiert der Regio-Ausschuss der Bezirksversammlung Harburg am Mittwochabend, 16. Februar, eine Flutgedenkfeier. Erwartet werden gut 150 Gäste, davon mehrere Dutzend Fackelträger. Es wird eine Feuerschale entflammt; und es gibt eine Schweigeminute. Zuvor ergreifen neben Bürgermeister Peter Tschentscher und Gerd Nietsche vom Museumsverein Pastor Malte Detje von der Kreuzkirchengemeinde und der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Michael Weinreich das Wort.
„Die Elbinsel wird nur bestehen, wenn wir weiter den Ringdeich ausbauen und ihn dem steigenden Meeresspiegel anpassen“, sagt der gebürtige Wilhelmsburger Weinreich. „Unsere Sicherheit liegt in den Händen des Katastrophenschutzes mit seinen vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern.“ Es passt ins Bild, dass bei der Gedenkveranstaltung Vertreter der freiwilligen Feuerwehren, der Deichwacht, des THW und der Hunderettungsstaffel präsent sind.
Peter Tschentscher: Flut hat "großes Leid" gebracht
„Die Sturmflut hat großes Leid über unsere Stadt gebracht“, sagte Bürgermeister Peter Tschentscher dem Abendblatt. „Sie hat aber auch gezeigt, dass die Hamburgerinnen und Hamburger in der Not zusammenstehen.“ Am 16. Februar wird auch in der Bürgerschaft innegehalten. Zu Beginn der Sitzung, die online übertragen wird, hält Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit eine Rede zum Thema. „In einer gewaltigen Anstrengung, die wohl nie wieder nachlassen darf, stemmt sich Hamburg seither mit immer höheren Deichen gegen die Fluten“, sagt die SPD-Politikerin. „Wenn wir nicht mit aller Kraft gegen Erderwärmung und steigende Meeresspiegel vorgehen, werden spätestens unsere Enkel den Kampf verlieren.“
In der sechsteiligen Abendblattserie werden Erinnerungen großgeschrieben. In einem Gespräch mit dem Schmidt-Biografen Reiner Lehberger geht es um die Frage, ob Helmut Schmidts Ruf als taffer Krisenmanager zu Recht besteht – oder ob die Rolle rückblickend erhöht und teilweise glorifiziert wurde.
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Und da das Hochwasser 2021 im Südwesten Deutschlands zeigte, dass Naturkatastrophen nicht der Vergangenheit angehören, arrangierte das Abendblatt ein spezielles Zusammentreffen: Eine betroffene Familie aus Rheinland-Pfalz reiste nach Hamburg, um einen Zeitzeugen von 1962 zu treffen. Die Namen der 315 Hamburger Todesopfer sind in einem Buch aufgelistet, das Teil der Schmidt-Ausstellung in der Innenstadt ist. Der Titel: „Das dankbare Hamburg seinen Freunden in der Not. 17. Februar 1962.“ Unvergessen.