Hamburg. Seit Jahren lebt eine Familie mit drei Kindern in einer kleinen Wohnung in Horn – sie sind in Hamburg dabei keine Ausnahme.

Der Alltag bei Familie Schmidt-Steinhaus kreist um das graue Übereck-Sofa im Wohnzimmer. Hier wird geschlafen, gespielt, für die Schule gelernt. Notgedrungen. Denn es ist der Mittelpunkt im größten Raum der 45 Quadratmeter-Wohnung in Horn, in der die Eltern seit acht Jahren mit ihren inzwischen drei Söhnen leben. Sechs dieser acht Jahre sind Sascha Schmidt und seine Partnerin Alice Steinhaus auf der Suche nach einer neuen, passenderen Unterkunft – ohne Erfolg, wie sie erzählen. „Es funktioniert nicht mehr, und wir wissen nicht mehr, was wir noch machen sollen“, sagt der 44 Jahre alte Vater.

Schmidts Partnerin Alice Steinhaus, ebenfalls 44, schläft mit den fünf und drei Jahre alten Kindern im Bett im kombinierten Schlaf-, Spiel- und Arbeitszimmer. Neben dem Bett passen noch ein Schreibtisch, zwei kleine Schränke und eine Sitzbank in den Raum. Auf dem Boden stehen Kisten mit Spielsachen und ein Plastikparkhaus für Spielzeugautos – viel mehr Platz zum Treten hat die Familie hier nicht. An der Wand ist eine Tapete mit Graffiti-Logos angebracht, das Zimmer ist auf die Kinder ausgelegt.

Fünf Menschen auf 45 Quadratmetern – und eine Katze

Schmidt schläft mit dem achtjährigen Sohn im Wohnzimmer. In der Laufgasse drumherum und auf dem verbleibenden Freiraum wird gespielt, in der Ecke vor dem Balkon steht der Kratzbaum für die sechs Monate alte Katze Lulu. Das Katzenklo steht neben der Waschmaschine unter der Spüle in der Küche. „Unser Mittlerer hat einen Sprachfehler. Die Katze sollte ihn zum Reden motivieren, sonst hätten wir uns gar keine ins Haus geholt“, sagt Schmidt.

Mehr als einen Freund können die Kinder nicht mit nach Hause bringen, Geburtstage würden sie draußen feiern. „Der Große möchte hier raus und in ein eigenes Zimmer, auch um Schularbeiten zu machen. Wenn die Kleinen dabei sind, schaffen wir das nicht. Die Schularbeiten machen wir im Moment oft spätabends“, erzählt der Vater. „Man hängt tagtäglich in einem Raum aufeinander. Wir können uns auch kaum privat unterhalten, die Kinder sind eigentlich immer dabei.“ Man habe kaum Rückzugsmöglichkeiten. „Ich bin froh, wenn ich im Sommer jeden Tag mit den Kindern rausgehen kann auf den Spielplatz“, sagt auch Mutter Steinhaus. „Wir treten uns hier auf den Füßen herum.“

Frau Steinhaus ist seit der Geburt der Kinder zu Hause

Steinhaus ist gelernte Kauffrau im Einzelhandel, seit der Geburt der Kinder ist sie zu Hause. Schmidt war früher bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt, inzwischen arbeiten beide Eltern schon länger nicht mehr. Wenn die Kinder von acht bis 16 Uhr in Schule und Kita sind, macht Schmidt – über das Amt vermittelt – eine Schulung für einen Pkw-Führerschein. Er möchte als Auslieferungsfahrer anfangen. Es ist nicht der erste Anlauf, Konzentration und Lernen seien in der aktuellen Situation schwierig.

Jeden Abend schreibt Steinhaus über Immoscout, eBbay-Kleinanzeigen und andere Anbieter um die 40 Anfragen für Wohnungen, sagt sie. An alle Ausschreibungen, die ins Budget passen – das seien momentan 1164 Euro kalt. Das Geld und die Kaution würden direkt vom Amt an den Vermieter gehen. Teilweise schreibe sie Anbieter auch mehrfach an, oft gebe es aber keine Antwort.

Anfragen bei der Saga und ein Dringlichkeitsschein half nicht

Auch über eine Anfrage bei der Saga und einen Dringlichkeitsschein vom Bezirksamt Mitte im Jahr 2020 habe es bislang nicht geklappt mit der neuen Wohnung. „Grundsätzlich ist der Bedarf schon seit Jahren höher als die verfügbaren Sozialwohnungen“, sagt Sprecherin Sorina Weiland vom Bezirksamt Mitte dazu auf Anfrage. „Daher klappt es mit Schein zwar oft, aber nicht immer direkt. Die Wohnungen müssen natürlich auch groß genug sein.“ Wie hoch die Versorgungsquote bei Dringlichkeitsscheinen aktuell ist, könne man nicht sagen. 2020 habe diese bezogen auf Hamburg-Mitte aber bei 32 Prozent gelegen.

Die wenigen Besichtigungen, zu denen Familie Schmidt-Steinhaus eingeladen wird – im vergangenen Jahr waren es drei – blieben erfolglos. Zur Begründung hören sie oft: Selbst Vier-Zimmer-Wohnungen seien zu klein für eine so große Familie oder dass man keine Hartz-IV-Empfänger im Haus wolle. Auch auswärts in Soltau hätten sie es schon versucht. Eigentlich möchten die Eltern aber in Hamburg bleiben, um ihren Sohn nicht aus der Sprachförderung in der Kita herausnehmen zu müssen. „Es ist doch unnormal, dass uns keiner haben will. Wir sagen auch: Sie waren doch auch mal klein und haben mit ihrer Familie eine Wohnung gebraucht“, sagt Vater Schmidt. Auch ihr aktueller Vermieter wünscht sich, dass die Familie sobald wie möglich ausziehe, weil die Wohnung nicht für fünf Personen ausgelegt sei, so Schmidt.

Mieterverein Hamburg kennt viele solcher Fälle

Die Familie ist mit ihrer Situation nicht allein, sagt Rolf Bosse, der Geschäftsführer des Mietervereins zu Hamburg: „Das ist sehr verbreitet, gerade was größere Familien angeht. Ich hatte in letzter Zeit vier konkrete Fälle, in denen Familien auf engstem Raum leben müssen. Das ist für sie selbst eine riesige Belastung, aber natürlich auch für die Nachbarn“, sagt Bosse. „Diese Situationen sind real und sehr hart, besonders für die Kinder.“ Vermieter holten sich außerdem ungern neue Parteien ins Haus, die bei den Nachbarn störend auffallen könnten. Besonders, da durch die heutzutage sehr unterschiedlichen Lebensgewohnheiten mit regulären Arbeitszeiten für die einen und flexibleren Stunden im Homeoffice für die anderen bereits Konfliktpotenzial bestehe. „Das ist für mich persönlich auch eine Vorverurteilung. Die finde ich nicht richtig, sie ist aber da“, berichtet Bosse.

Der Flächenbedarf sei in den vergangenen Jahrzehnten extrem gestiegen, so der Geschäftsführer des Mietervereins weiter. „Und unsere Ressourcen sind endlich. Da kommt die gesellschaftliche Debatte auf: Wollen wir allen alles ermöglichen? Dann müssen wir die passenden Wohnungen bauen. Oder wollen wir den Markt verengen und damit Zugangsbeschränkungen schaffen – eine Gesellschaft sein, die manche Menschen ausschließt? Das fände ich schrecklich. Aber wenn wir das nicht wollen, müssen wir Platz abgeben. Und als Vermieter auch sozial vermieten.“

Betroffene sollten dennoch nicht die Geduld verlieren

Er ermutigt Betroffene, nicht die Geduld zu verlieren: „Menschen, die in diesen schlimmen Situationen leben, dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Und wir als Gesellschaft müssen dafür Hilfestellung bieten. Auch wenn man keine Bewerbungsmappe mit Sternchen abgeben kann, darf niemand auf dem Wohnungsmarkt zurückbleiben.“

Wenn die Kinder bei Familie Schmidt-Steinhaus von der Schule nach Hause kommen und fragen, wann sie endlich in eine neue Wohnung ziehen können, sagen die Eltern nur: „Bald.“ Eine andere Antwort haben sie nicht.