Hamburg. Der Förderstopp bedroht in Hamburg den Bau von 2000 Einheiten – darunter ein preisgekröntes Projekt in Marmstorf.
Der überraschende Förderstopp für energieeffiziente Gebäude, den Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vergangene Woche verkündet hatte, stößt in Hamburg auf harsche Kritik. „Das ist eine Katastrophe für den Bau bezahlbarer Wohnungen“, sagte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf dem Abendblatt. Habeck müsse schnell einsehen, „was er da angerichtet hat“, und die Entscheidung revidieren. Diverse Projekte von Genossenschaften und anderen „sozialen“ Trägern stünden andernfalls vor dem Aus stünden, so Kienscherf.
Eines davon ist das der Baugemeinschaft „Wohnen hoch drei“: Sie will an der Elfenwiese in Marmstorf 24 Sozialwohnungen errichten, darunter auch zwei für Menschen mit Behinderungen. Dank ökologischer Bauweise erreiche man den hohen Energiestandard Effizienzhaus 40+ – doch auch dessen Förderung wurde Knall auf Fall ausgesetzt, weil die Fördermittel nicht ausreichen. „In unserer Finanzierung klafft nun plötzlich eine Lücke von 920.000 Euro“, sagen Wiebke Hansen und Dario Barcalay von der Gemeinschaft. Das Mehr-Generationen-Projekt, in das bereits 500.000 Euro Planungskosten investiert und das vergangenes Jahr mit dem „Nachhaltigkeitspreis“ der Bezirksversammlung Harburg ausgezeichnet wurde, stehe vor dem Aus – und das zwei Monate vor dem geplanten Baubeginn.
Förderstopp: Bau von 13.000 Wohnungen bedroht
So oder ähnlich geht es vielen Projekten. Der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), der vor allem Genossenschaften und öffentliche Vermieter wie die Saga vertritt, schätzt auf Basis einer Umfrage unter seinen Mitgliedern, dass in Norddeutschland mindestens 250 Millionen Euro an Fördermitteln fehlen werden. Die Errichtung und die energetische Modernisierung von mehr als 13.000 bezahlbaren Wohnungen sei bedroht.
Im Urteil der Jury schwang Begeisterung mit: „Alle Dimensionen der Nachhaltigkeit, also Ökologie, Ökonomie, Soziales und Partizipation, sind vorbildlich vertreten und werden konsequent umgesetzt.“ Und so ging der mit 2500 Euro dotierte „Harburger Nachhaltigkeitspreis 2020“ an das Projekt „Wohnen hoch drei“.
Habecks Förderstopp: Traum vom Wohnprojekt geplatzt
Die dahinter stehende Baugemeinschaft, 33 Erwachsene mit 24 Kindern, verfolgt tatsächlich einen sehr ambitionierten Plan: Zwei Gebäude mit insgesamt 24 Wohnungen, darunter zwei für Menschen mit Behinderung reserviert, will die Gruppe an der idyllischen Elfenwiese in Marmstorf errichten – als Sozialwohnungsbau mit gedeckelten Mieten. Durch nachhaltige Holzbauweise, Photovoltaik und Batteriespeicher soll der hohe Energiestandard „Effizienzhaus 40+“ erreicht werden. Nebenbei ist das Ganze ein Mehr-Generationen-Projekt: Der älteste künftige Bewohner ist Ende 60, die jüngsten lernen gerade Laufen. Kurzum: Ein Traum für Sozial-, Klima- und Wohnungspolitiker.
Doch zehn Monate nach der Preisverleihung und nur zwei Monate vor dem geplanten Baubeginn droht der Traum jäh zu platzen – weil Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vergangene Woche völlig überraschend die staatliche Förderung für den Bau von Energiespar-Gebäuden vorerst gestoppt hat. „In unserem Projekt klafft jetzt plötzlich eine Finanzierungslücke von 920.000 Euro, das sind 13 Prozent der Gesamtkosten“, berichten Wiebke Hansen und Dario Barcalay.
Unklare Lage zieht Rattenschwanz von Problemen nach sich
Die beiden Mitglieder der Genossenschaft stapfen neben der frisch asphaltierten Baustraße zu „ihrem“ Grundstück: Es liegt in einer Ecke des kleinen Neubaugebiets, komplett von hohen Bäumen umgeben. Dazwischen türmt sich Gestrüpp, das die Gemeinschaft bereits gerodet hat. Mit roter Farbe besprühte Holzpflöcke markieren, wo die beiden Gebäude entstehen sollen. Dort drüben werde das gemeinsame Treppenhaus entstehen, erklärt Wiebke Hansen und zeigt auf dem Handy ein Foto von dem Projekt. Es soll Gemeinschafts- und Begegnungsräume enthalten, die künftigen Bewohner kennen sich lange und sind sich sicher: Das passt. Nach mehr als fünf Jahren Planung sei die Vorfreude auf den Baustart am 1. April riesig gewesen, sagt Hansen.
Nur die Finanzierung, die passt jetzt nicht mehr. Die unklare Lage ziehe einen ganzen Rattenschwanz an Problem nach sich, betont Dario Barcalay. Steht der Generalunternehmer auch später noch zur Verfügung? Wie entwickeln sich die derzeit rasant steigenden Baukosten? Hält die städtische Investitions- und Förderbank (IFB), über die die Hauptfinanzierung läuft, ihre Konditionen aufrecht? Und vor allem: Springen Genossenschaftsmitglieder ab, wenn es teurer wird? Derzeit werde mit 450 bis 500 Euro Eigenanteil pro Quadratmeter Wohnfläche kalkuliert, sagt Wiebke Hansen. Ohne die staatliche Förderung wäre es locker das Doppelte – für viele Mitglieder nicht zu stemmen. Mehr als 500.000 Euro hat die Genossenschaft bereits in Planungsleistungen investiert.
Habeck begründet radikalen Schritt mit "Fehlsteuerung"
„Die Ungewissheit und der unbestimmte Zeitverzug nehmen uns das Fundament für jegliche weiteren Schritte, stellen die Realisierung des Wohnungsbauvorhabens komplett in Frage und führen in jedem Fall zu erheblichen Baukostensteigerungen“, schreibt die Gemeinschaft auf ihrer Homepage. Die Hoffnung ist nun, dass der Bund seinen Förderstopp zumindest für soziale und ökologische Projekte wie das in Marmstorf zurücknimmt oder die Stadt Hamburg in irgendeiner Form einspringt.
Dass der Bund nach dem 31. Januar keine Förderanträge mehr für die „Effizienzhäuser 55“ (verbrauchen höchstens 55 Prozent der Energie eines herkömmlichen Neubaus) annehmen wird, sei ja angekündigt worden, räumt Wiebke Hansen ein. Aber dass dann am 24. Januar urplötzlich die gesamte „Bundesförderung für effiziente Gebäude“ durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) eingestellt wurde, habe niemand ahnen können. „Wohnen hoch drei“ hatte den Förderantrag da noch gar nicht gestellt, weil zunächst der Erbpachtvertrag mit der Stadt unterschrieben werden muss.
Förderstopp kostet soziale Vermieter 250 Millionen
Bundeswirtschaftsminister Habeck hatte den radikalen Schritt mit einer „Fehlsteuerung“ begründet: Nachdem die alte Bundesregierung angekündigt hatte, Effizienzhäuser 55 nicht mehr zu fördern, da dieser Bautyp sich längst als Standard etabliert habe, habe eine Antragsflut eingesetzt, für die die Fördermittel gar nicht ausreichen. Allein von November 2021 bis heute seien Anträge mit einem Volumen von rund 20 Milliarden Euro eingegangen. Habeck will aber nicht im großen Stil einen Haustyp fördern, der ohnehin längst Standard ist, sondern stattdessen die Mittel auf KfW-40-Häuser und energetische Sanierungen konzentrieren. Entsprechende Programme sollen „zügig“ erstellt werden.
Doch wann wird das sein? Der Förderstopp koste in Norddeutschland die sozialen Vermieter von Wohngebäuden mindestens 250 Millionen Euro, warnt der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). Die Errichtung und energetische Modernisierung von mehr als 13.000 bezahlbaren Wohnungen, darunter allein 2000 in Hamburg, sei bedroht. „Der Förderstopp legt die Axt an den Bau und die energetische Sanierung bezahlbarer Wohnungen im Norden Deutschlands“, kritisierte VNW-Direktor Andreas Breitner.
SPD an Habeck: Förderstopp zurückzunehmen!
Entsprechend alarmiert ist die Politik. „Der Bundeswirtschaftsminister muss einsehen, was er da angerichtet hat“, sagt Dirk Kienscherf, SPD-Fraktionschef in der Bürgerschaft. Länder wie Hamburg seien zwar auch bereit, sich zu engagieren. Aber jetzt sei der Bund am Zug: „Der Förder-Stopp ist eine Katastrophe für den Bau bezahlbarer Wohnungen“, so Kienscherf. „Das muss revidiert werden, und es braucht jetzt schnell ein Signal für eine Anschluss-Förderung.“
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Auch Dennis Paustian-Döscher, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen in der Bürgerschaft, räumt ein: „Der kurzfristige Stopp der Auftragsvergabe ist im höchsten Maße ärgerlich“, sei aufgrund der Antragsflut aber „leider zugleich unumgänglich“ gewesen. Er begrüße Habecks Ankündigung, „kurzfristig ein neues, auf die Klimaziele abgestimmtes Förderprogramm aufzulegen“, so Paustian-Döscher. „Der Bund muss sicherstellen, dass kein klimaschonendes Bauprojekt durch den Stopp der jetzigen Förderkulisse aufgegeben werden muss. Notfalls muss geprüft werden, ob sonst auch Mittel der IFB helfen können.“
Behörde stellt Einspringen der städtischen Förderbank in Aussicht
Ein Einspringen der städtischen Förderbank stellt auch die Stadtentwicklungsbehörde in Aussicht: „Im Rahmen der Hamburger Wohnraumförderung können Projekte des sozialen Wohnungsbaus, die von der Einstellung der KfW-Darlehensprogramme betroffen sind, von der IFB Ergänzungsdarlehen erhalten“, schreibt die Behörde auf Abendblatt-Anfrage und betont: „Hierzu zählen insbesondere auch Baugemeinschaftsprojekte.“ Dem Projekt „Wohnen hoch drei“ würde so eine „Lösung“ aber kaum helfen. Denn ein Darlehen muss samt Zinsen zurückgezahlt werden – eine Förderung nicht. Und der mögliche Kreditrahmen sei bereits „komplett ausgereizt“, so die Genossenschaft.
Bleibt vorerst nur der Punkt, auf den auch die Stadtentwicklungsbehörde setzt: Man erwarte, dass der Bund „in Kürze“ seine Vorstellungen für eine Neuregelung der Förderung vorstellen wird. Wiebke Hansen, Daria Barcalay und ihre Mitstreiter können nur hoffen, dass „in Kürze“ wirklich bald ist.