Hamburg. Viele Betreiber sind verzweifelt. Besonders die Sperrstunde um 23 Uhr und die 2G-plus-Regel führen zu massiven Umsatzverlusten.
Nachbarländer wie Österreich und Dänemark haben es bereits getan: Trotz hoher Infektionszahlen lockerten sie ihre Corona-Beschränkungen. Auch in Norddeutschland wird der Ruf nach einer Öffnungsperspektive insbesondere für die von den Einschränkungen stark betroffene Gastronomie lauter.
„Die Gefahr, dass Betriebe schließen, besteht gerade in der Gastronomie, da viele von den Maßnahmen so stark betroffen sind und durch die Hilfen zwar einen Teil ihrer Betriebskosten ausgleichen können, die Frage aber bleibt, wovon sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen?“, sagt der FDP-Landesvorsitzende Michael Kruse dem Abendblatt. „Wir sehen, dass die Delta-Welle durch ist und dass die Omikron-Welle nicht mehr dieselbe Bedrohung darstellt, was den Übergang in die endemische Phase bedeuten könnte. Es muss daher auf jeden Fall eine Perspektive für die Branche geben.“
Auch Wirtschaftsminister spricht sich für baldige Lockerungen aus
Zuvor hatte sich auch Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) für baldige Lockerungen in Einzelhandel und Gastronomie ausgesprochen: „Wir müssen zweifellos vorsichtig bleiben. Aber sobald Kliniken dank der scheinbar milderen Omikron-Infektionsverläufe nicht mehr Gefahr laufen, überlastet zu werden, gibt es für 2G oder 2G-plus keine Rechtfertigung mehr.“
Der Gastronom Patrick Rüther, der gemeinsam mit Tim Mälzer die Bullerei und zusammen mit Axel Ohm das Überquell betreibt, begrüßt den Vorstoß. „Die Situation ist für sehr viele Gastronomen wirtschaftlich schwierig.“ Zwar seien viele Restaurants und Kneipen derzeit auf den ersten Blick ordentlich besucht, aber für einen wirtschaftlichen Betrieb reiche es nicht. „Ein halb voller Laden lohnt sich nicht, weil die festen Kosten von der Miete über Versicherungen bis hin zum Personal ja trotzdem anfallen. Und die Sperrstunde tut ihr Übriges. Da brechen schon 25 Prozent Umsatzminus vielen das Genick“, sagt Rüther, der mit seiner Tellerrand Consulting auch Gastronomen berät. Es seien genau diese 25 Prozent Rückgang, die am Ende über die Marge, über Gewinn oder Verlust entscheiden.
Sperrstunde in Hamburg: "Größtes Ärgernis"
Kritik an der Sperrstunde übt das Barkombinat Hamburg. „Das ist für uns aktuell das größte Ärgernis“, sagt Maik Hennig, Vorstandsmitglied des Vereins und Betreiber des Gun Club – St. Pauli. „Das ist unsere Haupteinnahmezeit. Wenn wir um 23 Uhr schließen, sind wir noch keine Bar gewesen“, so Hennig. „Man muss bedenken, welche Regeln bei uns bereits gelten und an was wir uns alles halten: Maskenpflicht, 2G-plus-Zugangsmodell, Sitzplatzpflicht, Tanzverbot. Uns ist nicht ersichtlich, wie Uhrzeiteinschränkungen da noch irgendeinen Einfluss haben sollen.“
Das Barkombinat fordert daher die Abschaffung der Sperrstunde und kontrollierte Lockerungsschritte. „Wir freuen uns über jede Lockerung, die uns das Arbeiten erleichtert“, sagt Hennig. Fraglich sei zudem, ob die Wirte die Daten der Gäste zurzeit umsonst erfassten. Von den fast 60 Bars, die dem Barkombinat angehören, sei keine einzige in den letzten zwei Monaten vom Gesundheitsamt kontaktiert worden, so Hennig. „Es ist kein Problem die Datenerfassung durchzuführen, aber wenn es unnötig ist, würden wir das unseren Gästen und dem Personal gerne ersparen.“
Gastronom Rüther: "Gastronomie kein Pandemietreiber"
Gastronom Rüther sieht indes die Wirtschaftshilfen der Politik kritisch. „Diese Programme setzen bei einem Umsatzminus von 30 Prozent an – ich kenne aber viele Gastronomen, die alle Hebel in Bewegung gesetzt haben und „nur“ bei einem Minus von 17, 19, 25 oder 28,7 Prozent liegen.“ Er vermisst in der Politik und Verwaltung das Verständnis für seine Branche: „Wir schaffen die Wertschöpfung, wir beleben die Viertel, wir ermöglichen Begegnungen unter Corona-Regeln mit Kontaktverfolgung.“
In den bisherigen Wellen der Pandemie sei die Gastronomie kein Infektionstreiber gewesen. Je mehr Kneipen und Restaurants schließen müssten, umso mehr Kontakte verlagerten sich in den privaten Bereich. „Es gibt ja viele Menschen, die feiern und sich begegnen wollen“, sagt Rüther. „Ich kenne keinen, der 2019er-Umsätze hat.“ Er spürt viel Verzweiflung in der Branche und schätzt, dass derzeit nur noch die Hälfte der Gastronomen ihre alten Öffnungszeiten aufrechterhalten. Andere hätten nur noch fünf Tage in der Woche oder gar nur am Wochenende geöffnet. Zugleich seien viele Mitarbeiter auf dem Absprung. Mit Kurzarbeit kommen sie nur noch auf 80 Prozent ihrer Bezüge, das Trinkgeld entfällt ganz, sodass sich manche beruflich neu orientieren.
Gastronomen fehlt es an Planungssicherheit
Das bestätigt auch Niklaus Kaiser von Rosenburg, Vizepräsident des Branchenverbands Dehoga in Hamburg. „Es gibt immer noch keine wirkliche Planungssicherheit, was Überbrückungshilfen und Kurzarbeit nach dem Auslaufen Ende Februar betrifft. Das belastet natürlich.“ Viele Betriebe wüssten nicht, wie es ab März weitergehen soll, da sie auf Kurzarbeit angewiesen seien. „Wir sehen, dass die Betriebe auf kleiner Flamme laufen oder ganz geschlossen haben. Sie sind erschöpft und entnervt“, sagt Kaiser von Rosenburg. „Die Absage des Hafengeburtstags war ein Schlag ins Kontor. Es ist schwer, bei den Betrieben und Mitarbeitern noch Zukunftsvisionen oder positives Denken zu erzeugen.“
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Seiner Meinung nach sei es notwendig, dem etwas entgegenzusetzen und eine Öffnungsperspektive zu schaffen. „Alles, was psychologisch hilft, ist gut. Eine Inaussichtstellung, eine Vision haben zu können, wann und wo es wieder losgeht.“ Auch FDP-Landeschef Kruse fordert Planungssicherheit für die betroffenen Branchen: „Wir müssen wegkommen von einem Ad-hoc-Entscheidungsmodus und nachvollziehbare und evidenzbasierte Maßnahmen ergreifen, die nicht im Wochenrhythmus geändert werden müssen. Dafür braucht es eine Lockerungs- und Öffnungsperspektive. Das muss rechtzeitig geschehen und nicht wöchentlich bei der Landespressekonferenz.“ Die Verkündungen neuer und kurzfristiger Maßnahmen bereiteten gerade der Gastronomie große Anstrengungen, so Kruse.
„Warum sind wir so ängstlich?“, fragt Gastronom Rüther mit Blick auf Nachbarn wie Dänemark, die trotz höherer Inzidenzen längst das Land wieder öffnen. Angesichts der Bedingungen in Deutschland wird er das Überquell ab Donnerstag bis Ende Februar schließen. „Unter den derzeitig gültigen Umständen kann man individuelle Gastronomie nicht mehr betreiben.“