Hamburg. Gabriel Riesser war in der Nationalversammlung der erste jüdische Richter Deutschlands – und wollte ein Duell mit Heinrich Heine.
Was mag Gabriel Riesser wohl gefühlt haben an diesem 3. April 1849, als er um 12 Uhr mittags im Rittersaal des Berliner Schlosses dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. gegenübersteht? Er, dem seine Vaterstadt Hamburg die Zulassung als Anwalt verweigert hatte. Dem sie auch das Bürgerrecht nicht zuerkennen wollte – nur weil er Jude ist und sich nicht taufen lassen will.
Und jetzt steht er hier, als Vize-Präsident der aus der Revolution hervorgegangenen Deutschen Nationalversammlung, in einem wahrlich geschichtsträchtigen Moment. Die Nationalversammlung, das erste frei gewählte gesamtdeutsche Parlament, hatte eine Verfassung zu einer konstitutionellen Monarchie verabschiedet – mit dem preußischen König als neuem Kaiser an der Spitze.
Parlament: König lud Delegierte zum Abendessen ein
Mit Parlamentspräsident Eduard Simson hatten sich 32 Abgeordnete nach Berlin aufgemacht, um Friedrich Wilhelm die Kaiserkrone anzutragen. Der uralte Traum der deutschen Einheit, mit einem frei gewählten Parlament im Zentrum, schien greifbar nahe. Der König zeigte sich bewegt, ließ sich alle Delegierten vorstellen, lud sie zum Abendessen ein. Er hielt eine Rede, in der er betonte, dass er zustimmen werde – aber nur, falls alle deutschen Fürsten und freien Städte ihr Einverständnis erklärten. Riesser gehörte zu denen, die noch hofften, doch das war bald dahin: Ende des Monats sagte der König endgültig ab.
Er hatte es nie ernsthaft erwogen. Der sprunghafte, romantisch veranlagte Preuße glaubte daran, ein Monarch von „Gottes Gnaden“ zu sein. Schon im Dezember 1848 schrieb er einem Berater: „Jeder deutsche Edelmann, der ein Kreuz oder einen Strich im Wappen führt, ist hundertmal zu gut dazu, um solch ein Diadem aus Dreck und Letten der Revolution, des Treubruchs und des Hochverrats geschmiedet, anzunehmen.“ Die Reaktionäre bekamen nun Oberwasser, die wieder aufflammende Revolution wurde von preußischen Truppen zusammengeschossen. Der gut ein Jahr währende Traum von Einheit und Freiheit war geplatzt. Riesser zog sich frustriert und Erholung suchend nach Bad Godesberg zurück.
Jüdisches Leben existierte nicht öffentlich
Als Gabriel Riesser am 2. April 1806 in Hamburg geboren wurde, herrschte ein intolerantes Klima den Juden gegenüber. Obwohl die Gemeinde mit rund 6000 Mitgliedern eine der größten in Deutschland war, gab es kein öffentliches jüdisches Leben (im Gegensatz zum liberalen Altona). Juden durften weder Bürger werden, noch öffentliche Ämter bekleiden. Und die von den Franzosen während der Besatzungszeit (1806 bis 1814) eingeführte Gleichstellung wurde gleich wieder rückgängig gemacht.
Riessers Familie stammte aus Schwaben, sein Vater Lazarus ging 1794 nach Altona, um beim Rabbiner Raphael Cohen zu studieren – bald heiratete er dessen Tochter Frommaid (Fanny). Die Familie zog nach Hamburg und 1813 weiter nach Lübeck, wo Lazarus als Pächter der städtischen Lotterie zu Wohlstand kam. Gabriel besuchte das Katharineum und ab 1820, zurück in Hamburg, das Johanneum, um anschließend in Kiel und Heidelberg Jura zu studieren. Er promovierte mit „summa cum laude“, die Habilitation aber wurde ihm als Juden verwehrt – und in Hamburg durfte er nicht mal als Anwalt arbeiten.
Riesser wurde Bürgerrecht in Bockenheim verwehrt
Viele andere Juden wie Heinrich Heine konvertierten; auch sein Schulfreund Ferdinand Haller (später Bürgermeister und Vater des Rathaus-Architekten Martin) war schon als Kind getauft worden. Riesser aber wollte nicht um der Karriere willen Christ werden – und kämpfte lieber als Publizist für die Juden-Emanzipation. Dank familiärer Zuwendungen und einer Redakteursstelle beim Börsenblatt war er finanziell unabhängig und machte 1831 mit der Schrift „Über die Stellung der Bekenner des Mosaischen Glaubens“ erstmals auf sich aufmerksam.
Riesser, ein zutiefst Bürgerlich-Liberaler mit optimistischem Zukunftsglauben, argumentierte, dass gleiche Pflichten auch gleicher Rechte bedürften. In den folgenden Jahren machte er sich als Autor einen Namen, war bei den deutschen Juden hoch angesehen, reiste viel (seine Leidenschaft) und siedelte – auch wegen judenfeindlicher Tumulte in Hamburg – nach Bockenheim bei Frankfurt über, wo ihm das erhoffte Bürgerrecht abermals verweigert wurde.
Riesser bekam in Hamburg ein Notariat
1840 ging es zurück nach Hamburg, wo er mit einer Sondergenehmigung ein Notariat bekam – er sah es als reinen Broterwerb. In diesen Jahren vor der Revolution lag eine Episode, die ihm später außerordentlich peinlich war: Riesser trug einen publizistischen Streit mit Heinrich Heine aus und hoffte, diesen mit (letztlich unwahren) Behauptungen zu einem Duell provozieren zu können. Die Sache versandete schließlich; als 1844 aber Heines Onkel Salomon starb und ihn im Testament mit sehr wenig Geld bedachte, gab er dem Testamentsvollstrecker Riesser die Schuld – zu Unrecht.
Als 1848 die Revolution ausbrach, konnte er sich bei den Wahlen in Hamburg nicht durchsetzen, wohl aber im Herzogtum Lauenburg. Berühmt wurde er mit seiner Rede vor der Nationalversammlung am 29. August, in der er die völlige rechtliche Gleichstellung der Juden forderte.
Nicht mal Nachtwächter hätte er in Hamburg sein dürfen
„Ich hätte bis vor Kurzem in meiner Vaterstadt nicht mal das Amt eines Nachtwächters ausüben dürfen“, sagte er. Jetzt aber könne er hier die „hohe Sache der Gerechtigkeit und Gleichheit“ verteidigen. Die Rede wurde begeistert aufgenommen, die Judenemanzipation beschlossen. Und Riesser wurde in den Verfassungsausschuss und zum Vize-präsidenten des Parlaments gewählt.
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Nach dem Scheitern der Revolution engagierte Riesser sich weiter als liberaler Politiker. Und erhielt 1849 endlich das Hamburger Bürgerrecht. Er zog in die nach endlosen Debatten um die neue Verfassung erstmals gewählte Bürgerschaft ein und wurde deren Vizepräsident. Und es war eine besondere Befriedigung, als der Senat ihn am 17. Oktober 1860 zum Obergerichtsrat ernannte – damit war er der erste jüdische Richter in Deutschland überhaupt.
Parlament: Riesser in Ohlsdorf begraben
Riesser starb am 22. April 1863 an den Folgen einer Gesichtsgeschwulst. Sein Grabmal steht auf dem Jüdischen Friedhof in Ohlsdorf. In der Rathaushalle findet sich ein Reliefbild des Kämpfers für die Gleichstellung der Juden.
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