Hamburg. Heute vor 77 Jahren wurde das KZ Auschwitz befreit. Politik und Gesellschaft gedenken der Opfer der Nazis. Eine Stimme fehlt.
"Ihr tragt keine Schuld für das, was passiert ist. Aber Ihr macht Euch schuldig, wenn es Euch nicht interessiert." Dieses Zitat der im vergangenen Jahr verstorbenen Hamburger Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano knüpft an die Mahnung von Max Mannheimer ("Ihr seid nicht für das verantwortlich, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.") an, der wie Bejarano das Konzentrationslager Auschwitz überlebte. Heute vor 77 Jahren, am 27. Januar 1945, wurde das KZ von sowjetischen Truppen befreit. Der Jahrestag der Befreiung ist in Deutschland seit 1996 und international seit 2005 der Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus.
Auch in Hamburg gedenken Politik und Gesellschaft an diesem Tag der Opfer des Terrors, der von Deutschland aus die Welt überzog: Millionen von Juden, von Sinti, Roma, Homosexuellen und politisch Andersdenkenden wurden von den Deutschen und ihren willigen Helfern gezielt verfolgt, verschleppt, gefoltert und ermordet.
#WeRemember: Holocaust-Gedenken digital – auch in Hamburg
Neben offiziellen Gedenkstunden, Kranzniederlegungen und anderen Veranstaltungen hat nicht zuletzt aufgrund der Pandemielage auch das digitale Gedenken an Bedeutung gewonnen: Der Jüdische Weltkongress hat dazu aufgerufen, unter dem Hashtag #WeRemember Gesicht zu zeigen. Die Bilder, die weltweit dazu gepostet werden, sind in Auschwitz-Birkenau zu sehen – als Zeichen des internationalen Gedenkens. Auch Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) beteiligte sich, er schrieb bei Twitter: "Wer die Vergangenheit vergisst, verliert die Zukunft. Der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau ist eine Mahnung an uns alle, wachsam zu sein und entschieden gegen Hass, Diskriminierung & Antisemitismus einzutreten."
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Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) schrieb im Namen des Hamburger Stadtparlaments: "Heute gedenken wir der Frauen, Männer und Kinder, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Sich die Opfer vor Augen zu führen, ist so schmerzhaft wie notwendig. Es ist ein Akt des Erinnerns, aber auch ein Beitrag zum Verhindern." Veit übte darüber hinaus bei einer szenischen Lesung im Rathaus zudem scharfe Kritik an Impfgegnern, die sich bei ihren Protestaktionen einen Judenstern anheften. „Welch beschämender Übergriff auf die Würde der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, welcher Ungeist, wenn sich Bürgerinnen und Bürger unserer demokratisch verfassten Stadt einen Judenstern annähen, um auf den angeblichen Verlust ihrer Individualrechte zu verweisen“,.
Innensenator Andy Grote (SPD) spannte ebenfalls den Bogen vom Nationalsozialismus bis in die Gegenwart: "Wenn in diesen Tagen Corona-Leugner und Querdenker mit Judenstern und gestreifter Häftlingskleidung auftreten, Anne Frank und Sophie Scholl für sich vereinnahmen wollen, ist das ein widerwärtiger Missbrauch des Leids der Opfer" und eine gefährliche Verharmlosung des Holocaust, der man ebenso entschlossen entgegentreten müsse wie dem "erneut erstarkten Rechtsextremismus", so der Senator in einer Reihe von Tweets.
Holocaust-Gedenktag: Erinnerung auch an die eigene Verwicklung
Im Rahmen des Gedenkens erinnern Hamburger Unternehmen und Institutionen wie die Polizei und die Hochbahn auch an die eigene Verwicklung in der Nazizeit. Die Hochbahn zeigt auf ihrer Webseite, wie sie zum Teil des Systems wurde, Zwangsarbeiter beschäftigte und jüdische Fahrgäste diskriminierte – und verschweigt auch nicht, dass es Jahrzehnte dauerte, bis der "Mythos der eigenen Unschuld" widerlegt wurde. Die Aufarbeitung der NS-Zeit sei für die Hochbahn auch weiterhin nicht abgeschlossen, betont das Unternehmen.
Die Polizei verweist auf das Hamburger Polizei-Bataillon 101, das aktiv an der Shoah beteiligt und für mindestens 38.000 Morde direkt verantwortlich war. "Nicht zuletzt aufgrund der Verbrechen" dieser Einheit befasse sich die Hamburger Polizei regelmäßig mit den Gräueltaten der Nazi-Zeit: "Auch heute findet wieder eine Gedenkveranstaltung mit Vorträgen statt."
Holocaust-Gedenktag: Bejarano stand für aktiven Kampf gegen Rechts
Der FC St. Pauli erinnert zusätzlich daran, dass Esther Bejarano nicht nur für die historische Verantwortung eintrat – sondern Jahrzehnte ihres Lebens dem Kampf gegen den Faschismus und "gegen den neuen Rechtsruck" verschrieben hatte. Bejarano plädierte nie für nur passives Gedenken, sondern immer für den aktiven Kampf gegen Rechts.
Zum Holocaust-Gedenktag im vergangenen Jahr hatte sie einmal mehr gefordert, den 8. Mai – den Tag, an dem die Deutschen 1945 bedingungslos kapitulierten – zum gesetzlichen Feiertag zu erklären. Noch wenige Wochen vor ihrem Tod im Alter von 96 Jahren trat Esther Bejarano mit Vehemenz dagegen ein, dass das geplante Dokumentationszentrum Hannoverscher Bahnhof unter einem Dach mit dem Gas- und Ölkonzern Wintershall Dea entsteht: "Kein Gedenkort unter einem Dach mit einem Konzern mit dieser NS-Vergangenheit!" Ihr Protest hatte Erfolg: Das Dokumentationszentrum bekommt ein eigenes Gebäude.