Hamburg. Peter Michelis, Hochschullehrer und langjähriger Mitarbeiter der Baubehörde, beklagt den Abriss von immer mehr Villen.
Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Als Peter Michelis 1969 aus London nach Hamburg kam, in die Stadt, die er zu retten half, fand er eine müde Metropole: „Ich war sehr skeptisch, weil ich zuvor in Berlin und London gelebt hatte und eine bunte Restaurant- und Kneipenszene kannte, die ich in Hamburg vermisste.“
Zwar habe der Hafen der Stadt eine besondere Atmosphäre verliehen, aber der Rest wirkte „fast langweilig“ auf ihn. „Die Menschen waren sehr verschlossen und man hatte wenig Kontakt untereinander.“ Heute hat der 81-Jährige längst seinen Frieden mit Hamburg gemacht: „Die Stadt hat sich seit damals unglaublich positiv entwickelt. Heute bin ich froh, hier zu wohnen.“
Stadtentwicklung Hamburg: Peter Michelis ist um Elbvororte besorgt
Der gebürtige Brandenburger hat dazu beigetragen, dass sich die Stadt so positiv entwickelt hat. Als langjähriger Mitarbeiter der Baubehörde half er mit, das alte Hamburg zu retten und die verrücktesten Ideen für seine Neugestaltung zu verhindern. Ende der Sechzigerjahre verfolgten die Planer bizarre Pläne: Der wohl bekannteste war das Monstrum Alsterzentrum – ein gigantischer Hochhauskomplex, den die Neue Heimat auf den Trümmern des alten St. Georg entwickeln wollte. Die Messe wollte das Karo-Viertel fressen, die City West ausgerechnet dort, wo heute Ottensen pulsiert, als weitere Geschäftsstadt in die Höhe wachsen. Die Deichstraße sollte dem Straßenausbau weichen und der Großneumarkt der Druckerei des Axel Springer Verlags. Das alte Hamburg sollte fallen, eine neue Stadt entstehen, die heute vermutlich furchtbar alt aussähe.
„Das hat mich von Anfang an gestört“, erinnert sich Michelis. „Ich habe schon damals nicht verstanden, wie man solche amerikanischen Dimensionen in eine historisch gewachsene Stadt hineinpflanzen kann. Ein Teil dieser Ideen sei gebaut worden, etwa Neu-Altona. Bis heute wirkt dieser gegliederte und aufgelockerte Stadtteil zwischen St. Pauli und Ottensen wie ein Fremdkörper im Leibe Hamburgs. „Da konnte man sehen, wohin diese autogerechte Stadt mit ihren großen Trassen führt.“
„Ein Stadtteil hinter dem Hauptbahnhof hat immer einen bitteren Geschmack“
Als Michelis 1971 in der Baubehörde anheuerte, war das alte Denken omnipräsent. „Es war schwierig, sich gerade gegenüber den Verkehrsplanern durchzusetzen: Sie dachten nur an den Autoverkehr, entscheidend war für sie, dass man schnell in die Stadt hineinfährt und auch wieder herauskommt. Aber die Stadt ist doch zum Leben da und sollte wie ein Lebewesen behandelt werden.“
Michelis kann sich diese Begeisterung für das Neue und die Ablehnung des Alten heute kaum erklären. Selbst der Erste Bürgermeister Prof. Herbert Weichmann habe damals das geplante Alsterzentrum mit seinen fünf Wolkenkratzern in den höchsten Tönen gelobt. „Meiner Meinung nach hat das Trauma des Dritten Reichs und die Zerstörung im Krieg dazu geführt, dass der Respekt vor der Geschichte, der Respekt vor der Baukultur verloren gegangen ist. Nur so kann ich mir erklären, dass man so radikal an das Neue glaubte, das ja noch keiner kannte.“
Allerdings verrottete und verfiel die Altbausubstanz zeitgleich – in Erwartung der Flächenabrisse investierten viele Grundeigentümer nicht mehr in ihre alten Häuser, die Wohnungen mit alten Kohleöfen und dem Klo auf halber Treppe galten als nicht mehr zeitgemäß. „Es war praktisch eine Totenstille eingetreten in St. Georg“, erinnert sich Michelis. „Und ein Stadtteil hinter dem Hauptbahnhof hat immer einen bitteren Geschmack.“
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Überraschend: Die Lange Reihe hat sich positiv entwickelt
Hinzu kamen auch finanzielle Erwägungen: „Ich weiß, dass die Finanzbehörde sehr glücklich über die Idee des Alsterzentrums war und auf die Realisierung wartete, weil sie auf Erlöse aus ihren Grundstücksverkäufen hoffte.“ Dementsprechend wenig begeistert reagierten die Haushälter, als sich in der Baubehörde ein neues Denken durchzusetzen begann und der Rahmenplan St. Georg – an dem Michelis mitwirken konnte – das Ziel definierte, das Alte zu erhalten und nur vorsichtig zu ergänzen.
Den Durchbruch brachte dann 1971 das Städtebauförderungsgesetz durch die Bundesregierung: St. Georg wurde zum Sanierungsgebiet erklärt, und durch Einsatz dieses Gesetzes konnten die Eigentümer ihre Häuser modernisieren und instand setzen oder ihre Grundstücke neu bebauen. Doch ohne die intensive Beteiligung der noch ansässigen Bewohnerschaft am Sanierungsprozess wäre die Erneuerung gescheitert. Michelis staunt noch immer, was aus der Langen Reihe, dieser dem Verfall preisgegebenen Straße, geworden ist, „Das hätte damals niemand geahnt, wie positiv diese Straße und die Umgebung sich entwickeln.“
Steenkampsiedlung sollte geschützt werden
Insgesamt wurden es bis Ende der 1980er-Jahre 22 Sanierungsgebiete, die das gewachsene Hamburg vor der Zerstörung bewahrten. Überall da, wo die Menschen sich heute besonders wohlfühlen, wurde die Abrissbirne gestoppt, etwa im Schanzen- oder im Karolinenviertel. Die Neustadt rettete, dass der Springer Verlag seine zentrale Druckerei schließlich in Ahrensburg errichtete. So konnten rund um den Großneumarkt Hunderte von Altbauwohnungen saniert und 500 neue Sozialwohnungen entstehen. Nur eine Sache bedauert Michelis: Zwischen dem Großneumarkt und dem Michel wünschten Bewohner und Initiativen schon damals einen Zebrastreifen als Verbindung über die Verkehrsschneise zwischen beiden Plätzen. „Diese Diskussion ist 50 Jahre her, aber hat bis heute kein positives Ende gefunden.“
Gut ging es hingegen für die Deichstraße aus – die ebenfalls Sanierungsgebiet wurde. Ursprünglich hatte Hamburgs Kleinod als Verbindungsstück zwischen der Ost-West-Straße und einer geplanten Hafentangente fallen sollen – dieser Plan scheiterte am Widerstand einiger engagierter Bürger und an dem Verein „Rettet die Deichstraße“. „Das ist ein großer Schatz für die Stadt: Es ist die einzige Stelle, an der die sieben sogenannten Schwestern aus der Zeit des 17. Jahrhunderts noch erhalten sind.“
Michelis sieht vor allem die Elbvororte bedroht
Michelis zieht ein positives Resümee: „Hamburg hat viel Glück gehabt.“ Und damit ist die Stadt auch Modell für andere Metropolen geworden; Fehler wie etwa in Berlin, wo ganze Stadtteile wie der Gesundbrunnen abgerissen und als Hochhausstadt (Märkisches Viertel) ein paar Kilometer weiter neu errichtet wurden, konnte Hamburg verhindern: St. Pauli, Ottensen, die Neustadt oder St. Georg gibt es noch. „Uns ist eine behutsame Stadterneuerung durch harte Arbeit gelungen.“
Insgesamt sieht er Hamburg auf einem guten Weg, stadtentwicklungspolitische Fragen würden offen und behutsam diskutiert. Trotzdem sieht er Probleme. Der Othmarscher sieht gerade die Elbvororte durch die explodierenden Immobilienpreise bedroht: „Die Elbvororte verlieren ihr Gesicht. Durch die finanzielle Entwicklung der letzten fünf Jahre ist fast eine Sucht ausgebrochen, ältere Einfamilienhäuser oder die historischen Villen abzureißen und durch marktoptimierte Luxuswohnungen zu ersetzen.“ An dieser Stelle sieht Michelis den Denkmalschutz in der Pflicht: „Er muss sich für diese Stadtgeschichte des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts stärker interessieren und für deren Erhalt einsetzen.“
Kommerzielle Flächenangebote müssen dringend in die Innenstadt
Noch ein weiteres Thema treibt ihn um – der Schutz der Steenkampsiedlung: „Eine wunderbare Gartenstadt, die von genossenschaftlichen Kräften um den Ersten Weltkrieg herum aufgebaut worden ist. Es ist mir ein Rätsel, dass diese Siedlung noch nicht unter Denkmalschutz steht.“ Vier Jahre arbeitete Michelis nach der Wiedervereinigung in Dresden: „Dort habe ich mich mit der Gartenstadt Hellerau – als Mutter deutscher Gartenstädte bekannt – beschäftigt und weiß, wie wichtig der Denkmalschutz auch für die Zukunft ist.“
Vorbehalte hegt der 81-Jährige gegenüber dem Bau des Elbtowers an den Elbbrücken: „Ich verstehe die Idee, für Hamburg einen weiteren Höhepunkt zu setzen. Aber ich fürchte um die Silhouette der Stadt.“ Wenn man in Zukunft von Süden her in die Stadt fahre, schiebe sich dieser Wolkenkratzer in das Bild der fünf Türme der Stadt, die über Jahrhunderte gewachsen sind. „Dazwischen liegen zwar drei Kilometer, aber die massive Höhe des Towers wird sich negativ auf die Silhouette der Innenstadt auswirken.“
Die Kirchtürme, das Rathaus, aber auch die Elbphilharmonie waren Gemeinschaftsaufgaben der Bürger. „Der Elbtower ist die Idee eines Einzelnen, der sich profilieren will.“ Hinzu kommt für Michelis ein weiteres Argument: „Der Elbtower mit seinen 64 Geschossen bietet Flächen für Gastronomie, für ein Hotel, für Büros. Aber solche kommerziellen Nutzungen brauchen wir dringend in der inneren Stadt.“ Gerade nach Corona müssten wir alles tun, um nicht zusätzliche kommerzielle Flächenangebote außerhalb der City zu schaffen. „Das ist meiner Meinung nach eine städtebauliche Untat.“
Michelis über Oelsner: „Dieser Mann muss einfach geschätzt werden“
Dem Städtebau in der Hansestadt fühlt sich der frühere Hochschullehrer seit Jahrzehnten verpflichtet. Lange war Peter Michelis Schriftführer in der Fritz-Schumacher-Gesellschaft und gründete dann 2005 die Gustav-Oelsner-Gesellschaft, deren Vorsitzender er bis heute ist: „Ich habe über hamburgische Stadt- und Baugeschichte Vorlesungen gehalten. Da war Schumacher immer präsent. Gustav Oelsner hingegen war vergessen, und sein Werk konnte seitdem wieder ins Leben zurückgerufen werden.“
In Forschungsseminaren widmete er sich fortan dem Altonaer Stadtbaurat, den die Nazis 1933 aus dem Amt entfernten. Michelis beeindrucken sowohl die „expressionistischen Fassaden“ des Architekten Oelsner als auch dessen innovativen „Wohnungsgrundrisse für sogenannte kleine Leute, die den kommunalen Wohnungsbau stark befördert“ haben. „Oelsner war auch Chef-Architekt in den Gründungsjahren der Saga“, sagt er. „Dieser Mann muss einfach geschätzt werden. Er muss in die Öffentlichkeit und als Vorbild auch für nachfolgende Generationen dienen.“
Fünf Fragen
Meine Lieblingsstadt ... ist Berlin. Das ist eine dynamische Stadt und ein Ort, mit dem ich sehr viele Erinnerungen verbinde. Ich habe dort die Teilung erlebt, den Mauerbau, aber auch den kulturellen Aufbruch damals in West-Berlin. Das war ein Zentrum Europas.
Mein Lieblingsstadtteil ... ist St. Georg. Als ich 1971 in der Baubehörde im Amt für Stadterneuerung anfing, hatte ich sofort mit den Plänen für St. Georg zu tun. Damals sollte der Stadtteil für das Alsterzentrum geopfert werden. Die neu eingeführte Städtebauförderung hat geholfen, mit viel Geld und klaren Vorgaben die historisch gewachsenen Städte zu bewahren. Heute ist St. Georg einer der reizvollsten Teile der Stadt, insbesondere das Gebiet um die Straße Lange Reihe.
Mein Lieblingsort ... ist der Altonaer Volkspark. Es ist unglaublich, dass mitten in der Stadt ein wirklicher Wald-Park entstanden ist, in dem man sich binnen weniger Minuten außerhalb der Stadt fühlt. Der Volkspark ist hügelig, mit Tälern versehen, mit verwunschenen Wegen und dem fast barocken Schulgarten. Der damalige Gartenbaudirektor Ferdinand Tutenberg hat eine fantastische Landschaft geprägt. Leider ist der Volkspark etwas schwer zu finden. Da fehlen mir die Hinweisschilder.
Mein Lieblingsgebäude ... sind die fantastischen Wohnungsbauten von Gustav Oelsner in Ottensen zwischen der Schützen- und der Bunsenstraße. Seine expressionistische Architektur mit dem bunten Klinker ist ein wahrer Schatz für Altona. Genauso großartig ist seine Berufsschule am Platz der Republik in Altona, ein einmaliger Stahlbetonbau.
Einmal mit dem Abrissbagger ... würde ich das Bürohaus an der Ludwig-Erhard-Straße, in dem früher KPMG saß, wegreißen. Wenn man von der Reeperbahn kommt, verdeckt dieses Hochhaus den Turm des Michels. Das hätte niemals genehmigt werden dürfen. Und das zweite Ärgernis ist das Hochhaus an der Königstraße Nr. 7 in Altona-Altstadt, das fast an der Stelle des ehemaligen barocken Altonaer Rathauses steht. Dieses ehemalige Postler-Wohnheim verdeckt den Kirchturm der Trinitatis-Kirche. Es ist ein Jammer, wie es die ganze Umgebung negativ beeinflusst.