Hamburg. Ihre Weggefährtin Helga Obens würdigt die KZ-Überlebende und unerschrockene Antifaschistin Esther Bejarano.

Hamburg nahm am vergangenen Sonntag bei einer Trauerfeier auf dem Jüdischen Friedhof Ohlsdorf Abschied von Esther Bejarano. Die KZ-Überlebende, Antifaschistin und Musikerin starb am 10. Juli im Alter von 96 Jahren. In einer neuen Folge des Podcasts „Geliebt & Unvergessen“ erinnert das Abendblatt noch einmal an ihr Leben. Weggefährtin Helga Obens, stellvertretende Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in Deutschland, würdigt Esther Bejarano als unerschrockene Kämpferin gegen Faschismus, Rechts und Ausländerfeindlichkeit, als „kleine, große Frau, die eine Starkmacherin“ war.

Wie Helga Obens erzählt, hatte Esther eine glückliche Kindheit in ihrer Geburtsstadt Saarlouis. Sie entstammt einer jüdischen Musikerfamilie, ihr Vater arbeitete als Kantor. „Mit ihren 1,47 war sie ein kleiner Mensch, ein Schelm.“ Ihr Vater fürchtete die Verfolgung durch die Nazis zunächst nicht. Schließlich kämpfte er im Ersten Weltkrieg, erlitt schwere Verletzungen und wurde mit Auszeichnungen und Orden geehrt.

Esther Bejaranos Überlebenschance im Vernichtungslager Auschwitz

Doch die Nazis schonten niemanden. Zwar konnte sich ein Teil der Geschwister ins Ausland retten. Doch Esther wurde 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Die einzige Chance, dort zu überleben, bestand darin, Akkordeonspielerin im sogenannten Mädchenorchester zu werden. Esther aber konnte gar nicht Akkordeon spielen. Aber mit Chuzpe und dem Willen zum Überleben griff sie beim Vorspielen in die Tasten und meisterte das perfekt.

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Das Mädchenorchester spielte immer dann, wenn die Transporte eintrafen. „Du hast Glück bei den Frau’n, bel ami“ – dieses Lied habe ihr das Leben gerettet, erzählt Helga Obens, die 40 Jahre lang mit ihr befreundet war. Nie habe sie es verwunden, wie die Nazis Musik missbrauchten. Die Juden sollten sich in Sicherheit wiegen. Und sie glaubten wohl tatsächlich: „Wo Musik ist, kann es nicht so schlimm werden.“ Die Wahrheit aber war: Kaum waren die Personenzüge mit den Juden aus Ungarn eingetroffen, wurden sie vergast. Die Musikerinnen wussten, wenn sie aufhören würden zu spielen, hätte das ihr eigenes Ende bedeutet. Also machten sie weiter.

Im KZ erkrankte Esther Bejarano schwer an Typhus

Sein Unwesen trieb im Vernichtungslager der „Schlächter von Auschwitz“, der SS-Hauptscharführer Otto Moll. Er leitete die Gaskammern und das Krematorium, erschoss wahllos Häftlinge, warf Babys in siedendes Menschenfett, ließ Frauen von Hunden zerfleischen. Im Kriegsverbrecherprozess berichteten zahllose Häftlinge von seiner Mordlust und den Verbrechen. Moll wurde schließlich zum Tode verurteilt.

Ausgerechnet dieser Mann bewahrte Esther Bejarano vor dem Tod, wie Helga Obens sagt. Die Akkordeonspielerin erkrankte damals an Typhus – eine Erkrankung, die für Jüdinnen und Juden den sicheren Tod bedeutete, weil es im KZ für sie praktisch keine medizinische Behandlung gab. Moll sei aber ein, man mag es kaum glauben, Musikliebhaber gewesen, und Esther sei ihm positiv aufgefallen. Also durfte die schwer kranke Jüdin in der Krankenbaracke für Nicht-Juden behandelt werden. Helga Obens: „Durch den Moll, diesen furchtbaren Schlächter, hat sie überlebt.“ In einem Interview antworte Esther Bejarano einmal auf die Frage, warum er das für sie getan hat: „Ich verstehe das auch nicht. Vielleicht war er auch in dieser Hinsicht pervers.“ Einer tschechischen Ärztin hatte er jedenfalls mit Erschießung gedroht, falls sie sterben würde.

Bis in die 70-Jahre schwieg Bejarano über ihre grausamen Erlebnisse

Helga Obens würdigt im Abendblatt-Podcast ausführlich das politische Engagement von Esther Bejarano. Seit 1960 lebte sie mit ihrer Familie in Hamburg. Bis Ende der 1970-Jahre hatte sie über die grausamen Erlebnisse geschwiegen, nicht einmal ihre Kinder wussten davon. Doch ein NPD-Infostand unmittelbar vor ihrer Boutique in Eimsbüttel brachte 1978 die Wende. Sie sprach daraufhin auf einer öffentlichen Veranstaltung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Der Auftritt endete mit einem Weinkrampf, eine Freundin musste ihren Text weiterlesen.

Erst im Lauf der Jahre vermochte es Esther Bejarano, Sprache für das Nicht-Sagbare zu finden – auch als Sängerin und Musikerin. Bis zu ihrem Tod war sie politisch aktiv im Auschwitz-Komitee, das sie selbst gegründet hatte. Bei der Trauerfeier am vergangenen Sonntag waren auch zahlreiche Antifa-Mitglieder dabei. Sie bekundeten ihre Entschlossenheit, das Vermächtnis Esther Bejaranos fortzuführen.

Wenige Stunden vor ihrem Tod versammelten sich Freunde an ihrem Krankenbett. Sie sangen. „Und Esther dirigierte, wie sie immer dirigiert hat.“ Diese kleine, starke, humorvolle Frau – sie werde fehlen.