40 Prozent weniger Menschen nutzen die S-Bahn in der Pandemie. Priorität hat bei Chef Kay Uwe Arnecke aber noch ein anderes Thema.

  • Weniger Menschen nutzen den HVV Hamburg in der Pandemie
  • Die S-Bahn meldet 100 Millionen weniger Fahrgäste
  • Doch große Projekte stimmen Chef Kay Uwe Arnecke zuversichtlich

Die S-Bahn Hamburg hat aktuell bedingt durch die Pandemie deutlich weniger Fahrgäste. Im Vergleich zum Jahresanfang 2020, also vor Corona, liege das Fahrgastaufkommen aktuell bei etwa 60 Prozent, sagt Kay Uwe Arnecke, Vorsitzender der Geschäftsführung, dem Abendblatt.

Insgesamt hatte das Verkehrsunternehmen im vergangenen Jahr rund 150 Millionen Fahrgäste, im Jahr 2019 waren es knapp 250 Millionen. „Nun dauert die Pandemie noch immer an, und wir sind auch zu Beginn des neuen Jahres weit entfernt von alten Fahrgastzahlen. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich, dass die Ampel-Koalition auch für 2022 eine finanzielle Unterstützung für den ÖPNV zugesichert hat“, sagt Arnecke.

Das sei ein wichtiges Signal für alle, die auch in diesen Zeiten auf eine verlässliche S-Bahn und ein stabiles Nahverkehrsangebot angewiesen seien – und nicht zuletzt für die eigenen Beschäftigten und den Klimaschutz.

HVV Hamburg: S-Bahn verliert viele Abo-Kunden

Das Verkehrsunternehmen, das die Großkunden im Hamburger Verkehrsverbund betreut, hat zugleich etwa 20 Prozent der 240.000 Profi-Ticket-Kunden verloren. „Das ist natürlich dadurch bedingt, dass viele Menschen gegenwärtig im Homeoffice sind. Aber die Zeiten werden sich auch wieder ändern, und wir gehen davon aus, dass wir viele dieser Stammkunden zurückgewinnen können“, hofft der S-Bahn-Chef.

Es gibt noch ein anderes Thema, das aktuell bei der Deutschen-Bahn-Tochter höchste Priorität hat. Im Oktober im Rahmen des Weltkongresses für Intelligente Systeme (ITS) gab es eine Weltpremiere: Gemeinsam mit dem Technikkonzern Siemens präsentierte die S-Bahn den ersten automatisch fahrenden Zug. Ein Lokführer ist nur noch zur Überwachung der Fahrt und des Fahrgastwechsels an Bord. Auf rund 23 Kilometern zwischen den Haltestellen Bergedorf und Aumühle haben die Unternehmen die Strecke digitalisiert und bereits vier Züge umgerüstet.

Die S-Bahn Hamburg wird digital: Siemens-Chef Roland Busch, Bürgermeister Peter Tschentscher und Bahnchef Richard Lutz (v. l.) vergangenen Herbst vor der neuen automatisierten Lok in Bergedorf.
Die S-Bahn Hamburg wird digital: Siemens-Chef Roland Busch, Bürgermeister Peter Tschentscher und Bahnchef Richard Lutz (v. l.) vergangenen Herbst vor der neuen automatisierten Lok in Bergedorf. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Eigentlich sollten die neuen Züge ab Dezember zum Fahrplanwechsel im Regelbetrieb auf der Strecke fahren. Doch daraus wurde zunächst nichts. „Wir sind noch dabei, unsere Lokführer auf diesen Fahrzeugen zu schulen, und das hat sich auch durch Corona ein wenig verzögert“, sagte Arnecke.

Im HVV Hamburg fährt bald eine digitale S-Bahn

Aber bald soll es so weit sein: Von März an sollen die vier Fahrzeuge dann tatsächlich im Regelbetrieb zwischen Altona und Bergedorf eingesetzt werden. Wichtig sei, dass die Digitalisierung für das gesamte Hamburger S-Bahn-Netz vorangetrieben und die Politik für dieses wichtige Thema sensibilisiert werde. „Wir werden nun ein Konzept erarbeiten, in welcher Reihenfolge einzelne Streckenabschnitte digitalisiert werden sollen“, kündigt der S-Bahn-Chef an.

Schrittweise sollen die anderen 190 S-Bahn-Züge mit der neuen Technik ausgerüstet werden. Die Stadt hat bereits weitere 64 Züge bestellt, die mit der digitalen Technik ausgestattet sind. Um das gesamte rund 150 Kilometer lange Netz der S-Bahn Hamburg zu automatisieren, sind Investitionen von rund 800 Millionen Euro notwendig, wie eine Mach­barkeitsstudie ergab. Dabei entfallen 620 Millionen Euro auf die Infrastruktur – die Kosten müsste der Bund übernehmen – und 180 Millionen Euro in die Digitalisierung der Züge. „Die digitale S-Bahn ist die Zukunft“, sagt Arnecke. „So können auf der vorhandenen Infrastruktur bis zu 30 Prozent mehr Züge fahren.“

HVV-Kunden bemängelten Verspätungen bei der S-Bahn

Immer wieder gab es zuletzt Schlagzeilen wegen Verspätungen bei der S-Bahn. Die neuen Fahrzeuge der Baureihe 490 „hatten ihre Kinderkrankheiten, wie zum Beispiel Türstörungen. Diese Pro­bleme sind längst behoben. Das wirkt sich positiv auf unsere Zuverlässigkeit aus.“ Im vergangenen Jahr habe die S-Bahn eine Pünktlichkeitsquote von 94,6 Prozent erreicht.

Der S-Bahn-Chef ist zufrieden. „Wir haben eine Zielverein­barung mit dem HVV, dass wir 94 Prozent erreichen wollen, diese haben wir übertroffen.“ Allerdings gibt es eine negative Entwicklung, die nicht die S-Bahn zu verantworten hat. „Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Polizei- und Rettungswageneinsätze innerhalb des S-Bahn-Netzes weiter gestiegen. Das ist höhere Gewalt, aber der Fahrgast nimmt natürlich auch diese Ereignisse als Störungen wahr“, sagte Kay Uwe Arnecke.

S-Bahn Hamburg kündigt Erweiterung nach Süden an

Im Mai vergangenen Jahres ist der Startschuss für den Bau der neuen Linie S 4 gefallen. Diese soll von 2027 an zwischen Altona und Rahlstedt und von 2029 an bis Bad Oldesloe fahren. Dafür werden fünf neue Stationen gebaut und ein neuer 17 Kilometer langer Streckenabschnitt zwischen Hasselbrook und Ahrensburg.

Wissenswertes zu den S-Bahnen der Baureihe ET 490

  • Die Elektrotriebzüge der Baureihe 490, kurz ET 490, sind die modernsten S-Bahnen im Hamburger Schienennetz
  • 60 Züge sollten Ende 2018 in den regulären Betrieb gehen – wegen Lieferschwierigkeiten verzögerte sich die Auslieferung immer wieder
  • Die dreiteiligen, durchgängigen Züge sind 66 Meter lang und bieten 190 Sitz- und 280 Stehplätze
  • Die ET490 ist die erste S-Bahn-Baureihe, die mit einer Klimaanlage ausgestattet ist

Außerdem kündigte Kay Uwe Arnecke eine Erweiterung in den Süden an. „Das Angebot auf der Strecke nach Harburg soll verstärkt werden, deshalb planen wir dort eine neue Linie. Der Arbeitstitel ist S32. Sie soll ab Mitte der 2020er-Jahre zwischen Elbgaustraße und Neugraben fahren. Dafür wird auch ein neues Stellwerk im Bereich Harburg geplant.“

Um all diese Projekte realisieren zu können, benötigt die S-Bahn mehr Personal. „Wir haben aktuell rund 1500 Mitarbeiter, bis 2030 brauchen wir 500 zusätzliche Mitarbeiter. Hinzu kommen etwa 1000 Kolleginnen und Kollegen, die altersbedingt ausscheiden und ersetzt werden müssen“, sagte Kay Uwe Arnecke. Aktuell sucht das Verkehrsunternehmen übrigens 50 neue Lokführer – auch Quereinsteiger sind willkommen.