Hamburg. Prof. Nicole Fischer vom UKE hofft, dass die Virusvariante den Weg aus der Pandemie weisen kann – falls die Impfquote hoch genug ist.
Die Omikron-Corona-Welle hat uns fest im Griff. Aber bietet diese Virusvariante, die oftmals vor allem bei Geimpften mildere Krankheitsverläufe hervorruft, auch eine Chance, aus der nun fast schon zwei Jahre andauernden Pandemie herauszukommen? Die Hamburger Virologin Prof. Nicole Fischer vom UKE ist da skeptisch. In den kommenden Monaten entscheide sich, ob wir aus der Pandemie herausfinden.
Ist Omikron auch eine Chance – könnte diese Variante uns den Übergang von der Pandemie in eine Endemie bescheren?
Prof. Nicole Fischer: Omikron hat uns an einen Punkt in der Pandemie gebracht, an dem wir bisher noch nicht waren. Das liegt daran, dass es sich um eine Immun-Escape-Variante handelt, das zeigen insbesondere Daten aus England aus den ersten beiden Dezemberwochen. Auch Geimpfte können das Virus weitertragen, selbst wenn sie selbst nicht schwer erkranken. Dadurch spitzt sich die Situation zu, was wir an den Fallzahlen derzeit sehen. Wir werden eine höhere Durchseuchung in Deutschland bekommen. Aber wir haben in Deutschland viel zu viele Menschen, die nicht geimpft sind und schwere Verläufe bekommen können. Deshalb ist die derzeitige Situation für all unsere Krankenhäuser durch eine hohe Belastung durch Patienten und Personalausfall eine angespannte Situation. Auch andere wichtige Infrastrukturen sind durch vermehrte Personalausfälle in einer schwierigen Situation.
Aber kann die hohe Zahl der Infektionen zu einer Immunisierung führen, die den Weg zur Endemie bereitet? Was erwarten Sie?
Prof. Nicole Fischer: Die derzeit sehr hohen Fallzahlen, die zunächst weiter steigen dürften, werden wie in den Vorjahren bei höheren Temperaturen in der wärmeren Jahreszeit wieder sinken. Die Frage wird sein: Was passiert im Herbst, wenn sich die Menschen wieder mehr in Innenräumen aufhalten? Wenn wir es nicht schaffen, bis dahin deutlich mehr Menschen insbesondere in den höheren Altersgruppen zu impfen, dann droht uns eine weitere neue Welle. Gelingt es uns aber, die Impfquote deutlich zu steigern, dann könnte diese Welle im Herbst und Winter schwächer sein – ähnlich wie bei einer starken Influenza-Saison. Dann würde die Pandemie zu einer Endemie, die sehr viel besser beherrschbar ist.
Bedeutet das eine vorsichtige Entwarnung?
Prof. Nicole Fischer: Noch bin ich in dieser Hinsicht unruhig und schaue mit Skepsis auf den nächsten Herbst. Ob es uns gelingt, aus der Spirale immer neuer, heftiger Corona-Infektionswellen herauszukommen, entscheidet sich in den kommenden Monaten. In dieser Zeit müssen wir es schaffen, ausreichend Menschen zu impfen.
Wie viele wären ausreichend?
Prof. Nicole Fischer: Unter den Menschen im Alter ab 50 Jahren, die besonders gefährdet sind, brauchen wir bis zum Herbst eine Impfrate von mindestens 90 Prozent oder möglichst mehr. Wichtig ist ein vollständiger Impfschutz, also auch die Boosterimpfungen.
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Einige Virologen glauben, dass Omikron das perfekte „Nach-Pandemie-Virus“ wäre, das in der Endemie immer wieder in Wellen Teile der Bevölkerung infiziert – aber ohne schwere Verläufe. Sehen Sie das auch so?
Prof. Nicole Fischer: Omikron kann ein Ticket in die Endemie sein. Aber die hohe Zahl der Infektionen, die wir derzeit haben, stellt unsere ganze Infrastruktur vor Herausforderungen. Die Verläufe mögen nicht so schwer sein wie bei der Delta-Variante, aber die unfassbar hohe Zahl der Neuinfektionen macht diesen Effekt zunichte. Besonders Ungeimpfte erkranken, teils auch schwer. Die Krankenhäuser füllen sich derzeit wieder. Betroffen sind nicht nur Intensiv-, sondern auch die Normalstationen, die viele Covid-Patienten versorgen. Und fast 28 Prozent der Deutschen sind immer noch nicht vollständig geimpft, eine Boosterimpfung haben ca. 45 Prozent der Deutschen erhalten.
Unvollständig Geimpfte könnten zu einem erheblichen Teil durch das Durchleiden einer Infektion immunisiert werden mit einem gegenüber dreifach geimpften Menschen deutlich erhöhten Risiko für eine Erkrankung.
Eine Immunisierung der Bevölkerung durch die Infektion wird lange dauern. Und die Delta-Variante ist ja nicht ganz verschwunden. In Hamburg macht sie zwar derzeit weniger als zehn Prozent der Infektionen aus, aber deutschlandweit ist das anders. Die Omikron- und die Delta-Welle laufen gerade nebeneinander her. Im kommenden Herbst könnten wir auch noch einmal eine weitere Verbreitung der Delta-Variante sehen. Wer aber ungeimpft ist und sich mit Omikron infiziert hat, wäre nicht geschützt vor Delta-Infektionen im Herbst. Das zeigen neuere Forschungsergebnisse, die Omikron als einen anderen Sero-Typ beschreiben. Menschen, die nicht geimpft waren und sich mit Omikron angesteckt haben, können sich mit Delta sehr gut wieder infizieren – sie haben gegen diese Variante so gut wie keinen Immunschutz.
Also ist Omikron eher keine Chance?
Prof. Nicole Fischer: Doch, Omikron lässt Licht am Ende des Tunnels erkennen, aber ich bin verhalten optimistisch, weil die Probleme auf dem Weg dahin größer sind als alle, die wir bisher gesehen haben. Andererseits haben wir bessere Schutzmaßnahmen als vor einem Jahr und wissen mehr über das Virus.
Erwarten Sie, dass weitere Varianten entstehen?
Prof. Nicole Fischer: Das lässt sich schwer vorhersagen, es ist aber möglich. Hohe Infektionszahlen sind bei einem Virus, das mutieren kann, immer gefährlich im Hinblick auf die Entstehung neuer Varianten.
Wie könnte eine endemische Lage aussehen?
Prof. Nicole Fischer: In einem solchen Szenario gäbe es weiterhin Infektionen und Infektionswellen, die Verläufe wären aber nicht so schwer – im Grunde wie Influenza, die sich ebenfalls in manchen Jahren stärker und in anderen schwächer ausbreitet. Wenn sich das so ähnlich entwickeln würde, würde man ebenfalls im Herbst vulnerable Gruppen impfen, um sie vor schweren Verläufen zu schützen. Man hätte aber eine Grundimmunität in der Bevölkerung, sodass wir nicht mehr diese hohen Infektionszahlen sehen würden.
Was glauben Sie: Wo stehen wir in einem Jahr?
Prof. Nicole Fischer: Ich hoffe, dass wir es schaffen, die Impflücke zu schließen. Dann hätten wir eine Welle, die nicht mit der in diesem oder dem vorigen Jahr vergleichbar ist. Die nächsten Monate entscheiden, wo wir in einem Jahr stehen werden. Wir haben es in der Hand.