Hamburg. Auch Monate nach einer Erkrankung lassen sich Spuren an Organen nachweisen: Besonders ein Befund überraschte die Forscher.
Mit schwerwiegenden Folgen einer Covid-19-Erkrankung haben sich schon viele Forschende beschäftigt. Weniger umfangreich waren bisher die Arbeiten zu der Frage, welche Spuren das Coronavirus Sars-CoV-2 bei der mit Abstand größten Gruppe der Corona-Betroffenen hinterlassen kann: jenen, die glimpflich davongekommen sind und sich offensichtlich erholt haben.
Neue Erkenntnisse liefert nun eine große Studie von Forschenden des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE), die im „European Heart Journal“ veröffentlicht wird. Demnach zeigen sich schon bei milden bis moderaten Verläufen noch mittelfristig leichte Schäden in Herz, Lunge, Nieren und Beinvenen – zumindest lässt sich das für Ungeimpfte sagen.
Corona Hamburg: Welche Auswirkung eine Erkrankung auf den Körper hat
Um solche Auswirkungen ganzheitlich zu untersuchen, hatten sich 38 Forschende aus zehn Kliniken und Instituten des UKE um den Studienkoordinator und Ärztlichen Leiter des Universitären Herz- und Gefäßzentrums, Prof. Stefan Blankenberg, zusammengetan. Die Wissenschaftler rekrutierten insgesamt 443 Menschen aus der Metropolregion Hamburg im Alter zwischen 45 und 74 Jahren, die sich nachweislich mit Corona angesteckt hatten im Verlauf der ersten und der zweiten Pandemiewelle 2020, als noch keine Impfungen zugelassen waren. Im Durchschnitt der Gruppe lag die Corona-Infektion 9,6 Monate zurück. 93 Prozent der Probanden hatten einen milden bis moderaten Verlauf und mussten nicht im Krankenhaus behandelt werden.
Als Vergleichsgruppe dienten 1328 Teilnehmer der schon 2016 gestarteten Hamburger Langzeitgesundheitsstudie HCHS (insgesamt umfasst diese Studie rund 15.000 Menschen), die zum Zeitpunkt ihrer letzten medizinischen Untersuchung nicht mit Corona infiziert waren. Sie hatten allerdings das gleiche siebenstündige Programm durchlaufen, das die UKE-Forschenden für die Corona-Studie auch mit den 443 Probanden nach überstandener Infektion durchführten. Auf jeden dieser Probanden kamen drei hinsichtlich Alter, Geschlecht und Bildung passende HCHS-Teilnehmer. Die Kohorte aus der HCHS steht für die Allgemeinbevölkerung.
Atemwege verlieren an Elastizität
Zu den Untersuchungen zählten etwa eine Magnetresonanztomografie (MRT) des Herzens, ein Lungenfunktionstest, Ultraschall-Untersuchungen der Nieren und der Gefäße, Bluttests, neurologische Untersuchungen, Gedächtnistests sowie Befragungen, um die Lebensqualität zu erfassen.
Bei den Probanden, die eine Corona-Infektion hinter sich hatten, war das Gesamtlungenvolumen im Mittel um drei Prozent geringer im Vergleich zur Kontrollgruppe. Der Atemwegswiderstand hatte im Mittel um acht Prozent zugenommen, was darauf hindeuten könnte, dass die Atemwege geringfügig an Elastizität verloren hatten.
Wert für Herzbelastung im Mittel um 41 Prozent erhöht
Auch die Herzuntersuchungen ergaben Hinweise auf leichte Beeinträchtigungen. Die Pumpkraft des Herzens war im Mittel um ein bis zwei Prozent geringer im Vergleich zur Kontrollgruppe.
Das Hormon NT-proBNP, eine Art „Stress-Anzeiger“ des Herzens, das bei Dehnung der Herzkammern von den Herzmuskelzellen abgesondert wird und als Hinweisgeber auf eine Herzmuskelschwäche genutzt wird, war im Mittel um durchschnittlich 41 Prozent erhöht.
Ein Protein, das bei Formen der akuten oder chronischen Herzmuskelschädigung wie einer Minderdurchblutung aus Herzmuskelzellen freigesetzt wird (Kardiales Troponin I), war bei den Probanden nach überstandener Corona-Infektion im Schnitt um 14 Prozent erhöht. Die Filterleistung der Nieren (GFR) war im Schnitt um zwei Prozent geringer.
UKE-Studie: Keine Zeichen für Hirnschädigungen
Besonders überraschend fanden die UKE-Forschenden einen weiteren Befund: In Ultraschall-Untersuchungen der tiefen Beinvenen zeigten sich bei den Probanden nach einer Corona-Infektion zwei- bis dreimal häufiger Hinweise für eine zurückliegende Venenthrombose. „Bekannt war dies bisher für schwere Verläufe mit Krankenhausaufenthalten. Aber es kommt offenbar auch bei milden Verläufen deutlich häufiger vor als bisher angenommen“, sagt Prof. Raphael Twerenbold, wissenschaftlicher Studienzentrumsleiter und Kardiologe im Universitären Herz- und Gefäßzentrum.
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Die Forschenden fanden keine Zeichen, die auf eine Hirnschädigung und neurokognitive Beeinträchtigung hindeuten. Auch auf die Lebensqualität der Betroffenen hatte sich die Corona-Infektion mittelfristig nicht negativ ausgewirkt, ergaben zumindest Befragungen.
Unklar, ob sich Organe wieder völlig erholen
Wie sind die Ergebnisse einzuordnen? Ob die beschriebenen Organveränderungen auch langfristig bestehen bleiben oder sich wieder vollständig normalisieren, sei unklar. Alle Mittelwerte seien innerhalb einer Spannbreite von Werten, die nicht zwingend als krankhaft gelten, sagt Raphael Twerenbold. Aber: „Trotz der mehrheitlich geringen Organverschlechterungen sind diese aus gesundheitspolitischer Sicht in Anbetracht der hohen Anzahl an Betroffenen in Deutschland, Europa und global von hoher Relevanz“, so der Kardiologe.
„Beispielsweise weiß man aus großen Analysen, dass selbst eine sehr geringe Einschränkung der Herzmuskelkraft mit einer schlechteren Langzeitprognose und einem häufigeren Auftreten von zukünftiger Herzmuskelschwäche einhergehen kann.“
Ärzte: Vorsorge kann Verschlechterung verhindern
Um vorzubeugen, dass zunächst noch leichte Organschäden womöglich langfristig zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen, seien Vorsorgeuntersuchungen ratsam, sagt Studienkoordinator Stefan Blankenberg. Zusammen mit den anderen Autorinnen und Autoren der UKE-Studie empfehlen die beiden Forscher, dass Menschen nach einem milden bis mittelschweren Corona-Verlauf nach sechs bis neun Monaten routinemäßig zwei Blutwerte kontrollieren lassen: NT-proBNP fürs Herz und den GFR/Kreatininwert für die Nieren. Und: Schon bei geringstem Verdacht auf eine Beinvenenthrombose – etwa neue einseitige Schwellungen einer Wade oder neue Schmerzen in einem Bein – sollten Betroffene das ärztlich abklären lassen
Die Ergebnisse der Studie beziehen sich auf die erste und zweite Pandemiewelle im Jahr 2020. Allerdings sei anzunehmen, dass auch Infektionen mit der Omikron-Variante, die analog zur untersuchten Studienpopulation ebenfalls wohl mehrheitlich mit einem milden Verlauf einhergehen, zumindest bei Ungeimpften mittelfristig zu leichten Organschäden führen könnten, sagt Raphael Twerenbold. Ob Impfungen vor leichten Organschäden infolge einer Infektion schützen, sei zwar unklar und Gegenstand laufender Studien. Es sei aber anzunehmen, dass Impfungen das Risiko verringern könnten.