Hamburg/New York. Sebastian Winter studiert Komposition an der Juilliard in den USA. Wie er es an die Universität schaffte und welche Träume er hat.
Einmal die Woche betritt Sebastian Winter für eine Stunde das Arbeitszimmer von John Corigliano in New York. Neben dem schwarzen Flügel lehnt ein Schrank an der Wand, in dem einige Auszeichnungen dicht an dicht zusammenstehen: Ein Pulitzer-Preis, fünf Grammys und ein Oscar. Corigliano unterrichtet als Dozent an der Juilliard – der wohl bekanntesten Privatuniversität für Tanz, Schauspiel und Musik.
Sebastian Winter wuchs in Rahlstedt auf und saß schon mit vier Jahren vor dem Klavier. Sein Onkel habe ihm früh Akkorde und einige Songs beigebracht, sagt Winter. Mit fünf Jahren besuchte er mit seiner Familie das Musical „König der Löwen“. Der frühe Einstieg in die musikalische Welt habe ihn stark inspiriert. „Eigentlich wollte ich Klavierunterricht haben, aber meine Eltern haben mir aus irgendeinem Grund Blockflötenunterricht verschafft. Erst mit zwölf Jahren durfte ich Klavierstunden nehmen.“ In der Zwischenzeit hatte sich Winter das Spielen längst selbst beigebracht.
Hamburger Student: „Es ist eine umkämpfte Szene"
Die Liebe zur Musik der „Harry Potter“-Reihe und „Kevin allein zu Haus“ ebnete Sebastian Winter den Weg zur Film- und Orchestermusik. „Ich vergleiche Komposition mit einem guten Essen. Es schmeckt unglaublich gut, aber man weiß normalerweise nicht wie es hergestellt wird. Bei vielen Filmen hört man nur Sekunden der Filmmusik und wird sofort in eine magische Welt gezogen. Ich wollte lernen, wie dieses Rezept funktioniert.“
Doch die Branche, die sich Winter ausgesucht hat, ist hart: „Es ist eine umkämpfte Szene, weil heute jeder mit seinem Computer und einer Software komponieren kann.“ Doch darüber will er sich nicht den Kopf zerbrechen. Er ist sich sicher, dass er trotz der zunehmenden Konkurrenz Erfolg haben wird. „Ich weiß, dass Menschen meinen besonderen Klang hören wollen und den kann niemand kopieren“, ist Winter überzeugt. Neben Film- und Orchestermusik begeistert sich Winter auch für andere Musikrichtungen. Jazz, Hip-Hop, aber auch alte und neue klassische Musik laufen bei ihm rauf und runter.
Winter studierte zuerst in Manchester
„Als Filmkomponist musst du herausfinden, was Regisseure nicht über das Bild und die Sprache kommunizieren können“, so Winter. „In einem Film sieht man zum Beispiel zwei Menschen miteinander sprechen und hört, was sie zueinander sagen. Aber erst durch die Musik wird einem das Setting klar und man erfährt, ob die Situation gefährlich, traurig oder romantisch ist.“
Sein Weg führte ihn für ein Austauschjahr nach Kalifornien, wo er die amerikanische Kultur lieben lernte. Er machte 2015 sein Abitur am Gymnasium Oldenfelde und bewarb sich an fünf verschiedenen Universitäten in Großbritannien. Alle schickten eine Absage. „Das war mein bisher größter Rückschlag, der mir einen gewaltigen Stein in den Weg legte“, erzählt Winter. Dann ist er doch noch an der Royal Northern College of Music in Manchester angenommen worden.“ Dort hat Winter seinen Bachelor of Music absolviert.
Hamburger wurde zu fünf Gesprächen eingeladen
„Bereits im ersten Semester in Manchester habe ich mich für die Bewerbung an der Juilliard vorbereitet“, erzählt Winter. Für die Master-Zulassung an der Hochschule müssen sich Musiker mit drei selbst komponierten Stücken und einem themenbezogenen Motivationsschreiben bewerben. Einen Fehler gab es in der bis zur Perfektion ausgearbeiteten Bewerbung trotzdem: „Ich habe tatsächlich einmal Juilliard falsch geschrieben“, erzählt er.
Doch scheinbar stolperte niemand über den Fauxpas. Die Bewerbung überzeugte und der Hamburger wurde zu fünf persönlichen Gesprächen mit den Dozenten eingeladen. Bei den Vorbereitungen sei es wichtig gewesen, sich tiefgreifend auf die Unterhaltungen vorzubereiten. „Der Dozent Andrew Norman hat ein Stück geschrieben, das von Johannes Brahms inspiriert war“, so Winter. Als Hamburger sei das ein gelungener Gesprächseinstieg gewesen.
Kosten werden durch Stipendium und Spenden finanziert
Anfang April 2020 landete die E-Mail in Sebastian Winters Postfach, auf die er schon so lange hin fieberte. „Congratulations, you were admitted to The Juilliard School“ stand dort in großen Lettern geschrieben. Wenn Winter davon erzählt, strahlt sein Gesicht. Wären die Bewerbungsgespräche eine Woche später terminiert gewesen, so hätten sie wegen der Pandemie gar nicht stattgefunden.
Die Kosten für Studium und Leben in New York kann er dank Crowdfunding und einem Stipendium finanzieren. Rund 52.000 US-Dollar sind für ein Jahr Masterstudium nötig, einen Teil der Kosten kann Winter durch Spenden bezahlen. „Die Unterstützung vieler Freunde hat es erst möglich gemacht, das Studium überhaupt anzutreten. Dafür bin ich wahnsinnig dankbar“, sagt Sebastian Winter mit leuchtenden Augen.
„Nach einem Monat bin nach New York gezogen“
Den Semesterbeginn im Herbst 2020 erlebte Winter vom Bildschirm aus in Hamburg. „Nach einem Monat hatte ich die nächtlichen Vorlesungen satt und bin nach New York gezogen“, erzählt er. Im Big Apple habe es etwas gedauert, Anschluss zu finden. „Zu Beginn war ich noch nicht Teil von Juilliard, weil ich nur von meinem WG-Zimmer aus gearbeitet habe.“ Mittlerweile finden die Seminare aber wieder vor Ort statt – die Unterrichtsstunden mit John Corigliano sogar bei ihm zu Hause. Das sei bei Sitzungen zu zweit üblich und intensiviere die musikalische Arbeit, sagt er.
Um sein persönliches Ziel zu erreichen und auf seinem Weg Kontakte zu knüpfen, schreibt Winter regelmäßig Menschen an, die ihn inspirieren. Dabei unterstützt ihn sein stark ausgeprägtes Selbstbewusstsein und seine Zielstrebigkeit. Mit John Corigliano hat Winter schon vor seinem Studium Kontakt aufgenommen und mittlerweile ein freundschaftliches Verhältnis. „Vor drei Jahren habe ich Judith Dupré, Autorin eines Buchs über das One World Trade Center, angeschrieben und ihr von meinen Plänen für eine Symphonie über das Gebäude berichtet.“
„Es antworten mehr Menschen, als man anfangs glaubt“
Sie habe nach zehn Stunden geantwortet, ein Treffen vorgeschlagen und Winter unter anderem mit den Architekten David Childs und Daniel Libeskind bekannt gemacht. Der kreative Austausch mit Schriftstellerin und Architekten habe ihn sehr inspiriert. „Als Komponist ist es sehr wertvoll, mit anderen Kunstformen zusammenzuarbeiten“, so Winter. Die Kontaktaufnahme zu inspirierenden Persönlichkeiten ist für Winter ein Erfolgsrezept. „Es antworten mehr Menschen, als man anfangs glaubt“, sagt er. „Meine Hoffnung ist, dass die Symphonie in zwei Jahren bei der Eröffnung des Konzertsaals Performing Arts Center gespielt wird“, so Winter.
Der größte Traum von Winter ist es, irgendwann mit einem Oscar für seine Kompositionsarbeit ausgezeichnet zu werden. „Um mich zu motivieren stelle ich mir vor, wie ich mit dem Oscar in der Hand am Hamburger Airport lande und durch einen der Terminalausgänge laufe“, sagt Winter. Auch für das NDR Elbphilharmonie Orchester würde Winter gern eine Komposition schreiben und es vor Ort aufführen lassen. „Hamburg verbinde ich mit Sicherheit und einer Sehnsucht nach der großen weiten Welt“, sagt er. Die Musicals im Hafen und die Elbphilharmonie seien für ihn wie das Tor zu einer musikalischen Welt.
Winter: „Ich liebe, was ich tue"
Für die nächsten Jahre hat Winter bereits einen sorgfältigen Plan ausgearbeitet, wann er welche Sprossen seiner persönlichen Karriereleiter erklimmen möchte. „In einem Jahr will ich den Soundtrack eines Spielfilms mitkomponieren, in drei Jahren selbstständig an einer Filmmusik arbeiten.“ Und auch der Oscar hat schon ein genaues Datum verpasst bekommen: „Im Februar 2027, bei der 99. Preisverleihung der Academy Awards, möchte ich den Oscar gewinnen“, erzählt Winter. Es sei aber nicht schlimm, wenn es etwas länger dauere.
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Seine intrinsische Motivation hilft ihm beim Pläne schmieden. „Ich liebe, was ich tue und arbeite leidenschaftlich an meiner Musik.“ Auch von Schwächen lässt sich Winter nicht aufhalten. „Seitdem ich an der Juilliard studiere, wird mir klar, wie schlecht ich eigentlich Klavier spiele“, berichtet Winter. „Wichtiger ist es, sich auf seine Stärken zu fokussieren.“ So kann er wunderbar mit Deadlines arbeiten. „Unter Zeitdruck werde ich erst so richtig kreativ“, sagt Winter.
Hamburger Student vermisst in New York die Alster
An Hamburg vermisse er vieles, erzählt Sebastian Winter. „Hamburg hat zwei besondere Dinge, die New York nicht hat“, so der Student. „Das sind frische Franzbrötchen und die Alster.“ Hier habe er während seiner Zeit in Hamburg viel mit Freunden gesessen und die Fontäne betrachtet. Zurück nach Hamburg will er aber nicht ziehen. „Die Erfolgsaussichten in der Musikindustrie sind in den USA deutlich besser als in Deutschland“, sagt Winter. Bis wieder ein Besuch in der Heimat ansteht, wird Winter weiterhin in Coriglianos Arbeitszimmer Platz nehmen und mit ihm komponieren. Der Academy Award im Schrank dient jede Woche erneut als Ansporn.