Hamburg. Es geht um die Verbindlichkeit von Bürgerbegehren: Senat zieht vor Gericht, Linke unterstützt Initiative. Entscheidung im Februar.

Das Volksbegehren „Bürgerbegehren und Bürgerentscheide jetzt verbindlich machen – Mehr Demokratie vor Ort“ ist nun ein Fall für das Hamburgische Verfassungsgericht. Auf Antrag des rot-grünen Senats befasste sich Hamburgs höchstes Gericht am Dienstag in einer rund zweistündigen Verhandlung mit den möglichen Folgen und Auswirkungen des Volksbegehrens.

Eine Entscheidung trafen die Richterinnen und Richter um ihre Präsidentin Birgit Voßkühler nicht, sie ließen aber durchblicken, dass sie dem Ansinnen der Initiatoren in einigen Punkten aus verfassungsrechtlicher Sicht skeptisch gegenüberstehen. Ein Urteil will das Verfassungsgericht am 4. Februar 2022 um 10 Uhr verkünden.

Hamburger Senat soll an Bürgerentscheide gebunden sein

Ausgangspunkt des Verfahrens ist die im August 2019 gestartete Volksinitiative, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auf Bezirks- und Senatsebene verbindlich zu machen. In der Vorlage heißt es: „Senat und Bürgerschaft unternehmen unverzüglich alle notwendigen Schritte, damit in Bezirksangelegenheiten rechtlich für Bezirk und Senat Bürgerentscheide bindend sind.“

Bürgerbegehren dürften ab dem Tag ihrer Anmeldung nicht mehr be- beziehungsweise verhindert werden. „Erfolgreiche Bürgerentscheide oder der Beschluss des Bezirks über die Annahme von Bürgerbegehren dürfen nur im Wege eines neuen Bürgerentscheids abgeändert werden.“

Senat zog vor das Verfassungsgericht

In einem ersten Schritt war es der Initiative Ende Januar 2020 gelungen, die erforderlichen 10.000 Unterstützer-Unterschriften innerhalb von sechs Monaten einzusammeln. Nachdem die Bürgerschaft das Anliegen der Initiative nicht übernommen und deren Vorlage folglich nicht verabschiedet hatte, wollten die Initiatoren im Juni 2020 ein Volksbegehren als zweiten Schritt des dreistufigen Volksgesetzgebungsverfahrens starten. Dagegen wiederum zog der rot-grüne Senat einen Monat später vor das Verfassungsgericht.

Nach seiner Auffassung ist die Vorlage der Initiative verfassungswidrig. So würden mit ihr unter anderem Verfassungs- und Gesetzesänderungen verfolgt, ohne dafür einen konkreten Gesetzentwurf vorzulegen. Der politische Kernpunkt der Kritik des Senats an der Volksinitiative betrifft deren erforderte Änderungen der Verfassung zur Stärkung der Bezirke, die aus Sicht des Senats mit der Stadtstaatlichkeit als wesentlichem Strukturmerkmal der Hamburgischen Verfassung unvereinbar sei.

Senat kann Bürgerbegehren auf Bezirksebene aufheben

Hamburg ist eine sogenannte Einheitsgemeinde, die den sieben Bezirken nur sehr beschränkte Eigenständigkeit einräumt. Unter anderem kann der Senat Entscheidungen der Bezirksversammlungen, aber eben auch Bürgerbegehren und -entscheide (immer auf Bezirksebene) an sich ziehen („evozieren“) und damit faktisch aufheben, wenn ein gesamtstädtisches Interesse vorliegt. Dieser Begriff schließt einen gewissen Spielraum der Interpretation ein.

Von dem verfassungsrechtlichen Instrument der Evokation hat der Senat durchaus wiederholt Gebrauch gemacht. Seit Einführung der direkten Demokratie auf Bezirksebene 1998 hebelte der Senat nach Angaben des Vereins Mehr Demokratie 30 Bürgerbegehren und -entscheide aus. Ein Beispiel: Ein Bürgerentscheid hatte sich 2005 gegen den Abriss des Bismarck-Bades in Altona ausgesprochen. Der Senat zog das Verfahren aufgrund des gesamtstädtischen Interesses an sich, und das Bad wurde 2007 abgerissen. Insgesamt hat es in Hamburg bislang mehr als 140 Bürgerbegehren gegeben.

Hamburger Senat: Linke unterstützt Volksinitiative

Nach Ansicht des Senats verstößt die Vorlage der Initiative auch gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Abstimmungsklarheit und -wahrheit im Volksabstimmungsrecht, da das Ausmaß der erforderlichen Rechtsänderungen weder in der Vorlage noch in der Begründung klar werde.

Die Linke unterstützt die Volksinitiative. „Dass Bürgerbegehren und -entscheide endlich verbindlich werden, ist längst überfällig. Das ist nicht nur ein Zeichen des Respekts vor den vielen ehrenamtlichen Engagierten vor Ort, sondern auch eine Frage der Demokratie. Alles andere befördert Politikverdrossenheit und führt zu einer Politik gegen anstatt für die Bürgerinnen und Bürger“, sagte die Linken-Bürgerschaftsabgeordnete Carola Ensslen. Ein Bürgerschaftsantrag der Linken mit dem Ziel, Bürgerabstimmungen auf Bezirksebene verbindlich zu machen, war Ende Mai 2020 an der großen Mehrheit von SPD, Grünen und CDU gescheitert. Nur die AfD stimmte damals zu.