Niedersachsen. Erinnerungen wecken: Ehrenamtliche bringen ihr Lieblingsthema im Kofferformat in Heime, Kirchengemeinden und Nachbarschaftstreffs.
Die Gläser sind mit Eierlikör gefüllt, der Tisch ist gedeckt mit selbst gebackenen Plätzchen, Schokonikoläusen und leuchtenden Weihnachtskerzen: Das Seniorenheim in Buchholz ist liebevoll dekoriert an diesem dritten Advent. Zusätzlich zu der harmonischen Stimmung wird allerdings noch ein wenig Schwung in die Bude kommen – zwölf der insgesamt 60 Bewohnerinnen und Bewohner warten in voller Vorfreude auf die besondere Veranstaltung: „In drei Minuten Erinnerungen von drei Jahren wecken … Das kann nur die Musik.“ Unter diesem Motto möchte der Veranstalter Gerhard Klußmeierdie Bewohnerinnen und Bewohner auf einen nostalgischen Nachmittag einladen.
Die Veranstaltung findet im Rahmen des Projekts „Kultur im Koffer“ statt. Die Initiative wurde von der Fachstelle „Leben im Alter“ des Kirchenkreises Hamburg-Ost, dem Seniorenwerk Hamburg und der Fachstelle „Älter werden“ des Kirchenkreises Hamburg-West ins Leben gerufen. Die Idee ist es, ähnlich wie bei „Essen auf Rädern“, „Kultur auf Rädern“ anzubieten. Wenn der Konzert- oder Theaterbesuch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich ist, kommt die Kultur eben nach Hause – im Kofferformat.
„Kultur im Koffer“: Veranstaltungen erinnern Senioren an schöne Zeiten
Ehrenamtliche Mitarbeitende sind als Kulturbotschafter unterwegs und bringen ihr jeweiliges Herzensthema ins Altenheim, die Kirchengemeinde oder zum Nachbarschaftstreff. Neben „Eine Reise durch die Speicherstadt“, „Die Heilkraft der Farben“ und „Japanische Haiku“ stehen viele verschiedene Themen zur Auswahl. Interessierte können sich für eine Kulturveranstaltung entscheiden und mit den Ehrenamtlichen einen passenden Zeitpunkt finden.
Auch Herr Klußmeier hat seinen Koffer gepackt – voll mit prägenden, aber fast vergessenen Ohrwürmern: „Jeder wird eine andere Erinnerung bei den Musikstücken haben. Somit ist es für jeden die eigene, kleine Zeitreise, die ich bieten möchte.“ Auf dem Fernseher spielt er nacheinander die Musikvideos großer Hits von früher. Und es funktioniert: Während anfangs bei Mungo Jerry „In the Summertime“ noch eher zaghaft mit dem Kopf oder Fuß gewippt wird, wird zu „Noch einen Tanz“ von Esther und Abi Ofarim fröhlich mitgeträllert und geklatscht. Nach einer Stunde verlangen die Bewohner lautstark nach einer Zugabe: De Randfichten mit „Lebt denn der alte Holzmichel noch?“ heizen ordentlich ein.
Kulturangebote wichtig für Wohlbefinden und Gesundheit der Bewohner
Auch Christa Reichelt hat sich mitreißen lassen: Die 91-Jährige lebt seit fünf Jahren in dem Seniorenheim in Buchholz und fühlt sich sehr wohl – besonders Veranstaltungen wie diese gefallen ihr: „Hier ist immer irgendwas los. Das hält fit.“ Ihr Lieblingssong an diesem Nachmittag war „Only You (And You Alone)“ von der amerikanischen Band The Platters. „Das erinnert mich an meinen Mann – wir hatten den gleichen Musikgeschmack und haben damals alles zusammen gehört. Das kommt dann wieder hoch.“
- Hausbesuch bei den Nesthockern vom Vogelkamp
- Omas gegen Rechts demonstrieren gegen Querdenker
- Wie Pflegekräfte Belastungen besser standhalten
Pflegerin Lydia Fredebohm empfindet Angebote wie diese als enorm wichtig – sowohl für das Wohlbefinden als auch für die Gesundheit der Bewohner. „Das macht den ganzen Alltag lebendig. Wenn man nur im stillen Kämmerlein sitzt, gehen die kognitiven Leistungen verloren. Gesellschaftliche und kulturelle Angebote fördern den Geist.“
„Das baut die Menschen auf und lässt sie zurückerinnern“
Das findet auch Herr Klußmeier. Er ist schon seit vielen Jahren ehrenamtlich für „Kultur im Koffer“ tätig und hat dabei einiges erlebt. Zum Beispiel, als er vor demenzkranken Menschen „Rock Around the Clock“ von Bill Haley gespielt hat: „Rechts von mir saß einer mit einem Krückstock und wippte rum. Und auf einmal – ich dachte, du liebe Zeit, was passiert denn nu? – Da stand er auf und spielte Luftgitarre.“ Klußmeier möchte dazu aufrufen, Veranstaltungen wie diese auf professioneller Ebene und im breiten Rahmen anzubieten – zum Beispiel von den Sozialbehörden oder den Heimen selbst. „Das baut die Menschen auf und lässt sie zurückerinnern – das muss doch irgendwas bedeuten!“
Frau Reichelt hat die Veranstaltung etwas bedeutet – sichtlich beseelt verlässt sie den Gemeinschaftsraum, im Kopf den Ohrwurm „Only You“.
Mehr Informationen unter www.kultur-im-koffer-hamburg.de