Hamburg. Der Weg zur Macht – die Serie zur Kanzlerschaft des Hamburgers Olaf Scholz. Teil 7: Wie seine Beziehung sein Frauenbild widerspiegelt.

Dies ist die Geschichte eines Politikers, der belächelt und als „Scholzomat“ verspottet wurde, den die eigene Partei lange nicht geliebt hat und der trotzdem fest daran glaubte, eines Tages Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden. So fest, dass Olaf Scholz schon 2018 genau voraussagte, was drei Jahre später bei der Bundestagswahl passieren würde ...

Wenn Olaf Scholz über seine Frau spricht, dann nennt er sie nicht „meine Frau“, sondern Britta Ernst. Wenn Britta Ernst über ihren Mann spricht, dann nennt sie ihn nicht „meinen Mann“, sondern Olaf Scholz. Diese Eigenart, die auf manche spleenig wirken mag, illustriert das Grundverständnis, dass das Ehepaar Ernst/Scholz von einer Beziehung zwischen Mann und Frau und vom Verhältnis der Geschlechter hat. Olaf Scholz ist seit seiner Zeit als Juso ein Feminist, im Jahr 2021 wahrscheinlich der entschiedenste unter den männlichen Politikern jenseits der 60.

Olaf Scholz: Was die Beziehung zu Britta Ernst über sein Verständnis von Frauen aussagt

Während sich Edmund Stoiber, der ehemalige bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende, anlässlich seines 80. Geburtstages bei seiner Frau Karin bedankte, dass sie das Familienleben vier Jahrzehnte dem Rhythmus der Politik angepasst habe (was wenig anderes als das klassische „Meine Frau hat mir den Rücken frei gehalten, ohne sie hätte ich diese Karriere nicht machen können“ meinte), konnte Scholz schon ärgerlich werden, wenn Medien über Britta Ernst unter der Frage „Wer ist die Frau an der Seite des Kanzlers?“ berichteten.

Britta Ernst und Olaf Scholz halten nichts von dieser Formulierung, die suggeriert, dass die Leistung einer Frau darin bestehen könnte, die Partnerin eines Mannes zu sein. Seit sie verheiratet sind, seit 1998, wollten sie genau diesen Eindruck vermeiden und immer eine gleichberechtigte Partnerschaft auf Augenhöhe führen, die damit begann, dass Britta Ernst ihren Namen behielt und nicht, wie das Ende der 1990er-Jahre noch stärker üblich war als heute, den des Mannes annahm. Man hat die beiden in der Vergangenheit selten zusammen bei offiziellen Ereignissen gesehen, bei denen es darum ging, dass der eine den anderen begleitete, ohne eine eigene Rolle zu haben.

Es heißt immer noch "Frauenprogramm"

Nur nach den großen Wahlsiegen von Olaf Scholz hat Britta Ernst eine Ausnahme gemacht, etwa 2011 bei der Hamburgischen Bürgerschaftswahl oder eben 2021 bei der Bundestagswahl. Kurz nach der Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen, die die SPD vorne sahen, trat Britta Ernst zusammen mit Olaf Scholz auf die Bühne im Willy-Brandt-Haus, und man konnte beiden ansehen, dass sie mit der Situation fremdelten, Ernst noch mehr als Scholz. Während er in die Menge winkte, stand sie unbewegt anderthalb Meter daneben, vielleicht weil man das in so einer Situation so macht, vielleicht weil sie in diesem wichtigen Augenblick einfach in der Nähe ihres Mannes sein sollte.

Es ist schwer vorstellbar, dass es in der Legislaturperiode von Olaf Scholz oft zu ähnlichen Szenen kommen wird oder dass Britta Ernst bei Treffen mit anderen Staats- und Regierungschefs das sogenannte Frauenprogramm mitmacht, das immer noch so heißt, obwohl es in der Zwischenzeit auch etliche Männer gibt, die nicht Regierungschef, sondern Partner einer Regierungschefin sind.

Scholz und Ernst: Ein glückliches Paar mit tiefem Respekt füreinander

Das bedeutet nicht, dass Britta Ernst nicht zu Terminen mitkommen wird, die ihr Freude machen könnten. Entscheidend wird aber sein, dass sich ihre Rolle dabei nicht darauf beschränkt, „seine“ Frau zu sein, sondern dass sie und Olaf Scholz etwas davon haben. In Hamburg hat man die beiden öfter beim Presseball im Hotel Atlantic gesehen, wo sie gemeinsam bis tief in die Nacht getanzt haben, so wie das Paare tun, ganz gleich ob der eine nun Bürgermeister ist oder nicht.

Wer Ernst und Scholz zusammen erlebt, erlebt ein glückliches Paar, dessen Beziehung auch nach außen merklich von Respekt geprägt ist. Früh haben beide entschieden, Politik machen zu wollen, schnell entpuppten sich beide dafür als hochtalentiert. In ihren Eigenschaften sind sie sich dabei ähnlich. Ernst und Scholz sind eher ruhige, fleißige und akri­bische Menschen, die auf die Kraft von Argumenten und Fakten setzen.

Die angesehenste Schulexpertin in Hamburg soll Schulsenatorin werden

Während Olaf Scholz recht schnell seinen Weg nach Berlin und in die Bundespolitik ging, machte Britta Ernst, studierte Diplom-Volkswirtin und Diplom-Sozialökonomin, in Hamburg Karriere. Sie arbeitete als persönliche Referentin für die Stadtentwicklungssenatoren Traute Müller und Thomas Mirow, zog zum ersten Mal als Abgeordnete in die Hamburgische Bürgerschaft ein.

Lars Haider: „Olaf Scholz – Der Weg zur Macht“, 20 Euro, erhältlich in der Abendblatt-Geschäftsstelle (Großer Burstah 18–32), im Buchhandel und auf abendblatt.de/shop.
Lars Haider: „Olaf Scholz – Der Weg zur Macht“, 20 Euro, erhältlich in der Abendblatt-Geschäftsstelle (Großer Burstah 18–32), im Buchhandel und auf abendblatt.de/shop. © ? | Olaf Scholz der Weg zur Macht

Dort war sie unter anderem gleichstellungspolitische Sprecherin, das Thema ist auch politisch einer ihrer Schwerpunkte. Sie wurde stellvertretende Fraktionsvorsitzende und parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion. Vor allem entwickelte sie sich aber zur angesehensten Schulexpertin der Hamburger Politik, und bald war klar: Sollte die SPD bei einer der nächsten Wahlen die Rückkehr ins Rathaus schaffen und Bürgermeister Ole von Beust (CDU) ablösen, wäre Britta Ernst als die neue Schulsenatorin gesetzt.

Olaf Scholz' Wiedereinstieg bedeutete den Ausstieg für Britta Ernst

2011 war es dann so weit. Die SPD gewann mit fast der Hälfte aller Stimmen in Hamburg triumphal die Bürgerschaftswahl, konnte allein regieren und alle Senatorenposten besetzen. Der Bedarf an geeigneten Leuten war also groß. Und trotzdem ging Britta Ernst leer aus. Das hatte weder etwas mit ihren Fähigkeiten noch mit ihrer Bereitschaft, sondern ausgerechnet mit dem Thema zu tun, auf das sie sich spezialisiert hatte. Britta Ernst erlebte am eigenen Leib, wie die Karriere leiden kann, weil der Partner Karriere macht.

Der Mann, der in Hamburg neuer Bürgermeister wurde, war nämlich ihr Mann, Olaf Scholz. Sein Wiedereinstieg in die Hamburger Politik bedeutete ihren Ausstieg, und dass es so weit kommen konnte, kommen musste, haben beide als Niederlage empfunden. Denn genau gegen solche Situationen, gegen unfaire Abhängigkeiten einer Frau von dem, was ihr Mann unternimmt, hatten sie jahrelang gekämpft.

Mit dem falschen Mann verheiratet?

Dass dieser Kampf noch lange nicht beendet war, zeigte sich 2011, als in Hamburg vorsichtig darüber diskutiert wurde, ob es nicht auch möglich sein müsste, dass ein Ehepaar einer Regierung angehört. Ob es nicht ungerecht wäre, wenn eine Frau, die als die mit Abstand beste Kandidatin für das Amt der Schulsenatorin galt, dieses nur nicht erhält, weil sie mit dem falschen Mann verheiratet ist. Die Zeit war für eine solche Konstellation offenbar nicht reif.

In einer persönlichen Erklärung aus dem Jahr 2011 hat sie geschrieben: „In keinem Bereich ist es richtig, dass Veränderungen bei einem Partner mit dem Verzicht des anderen begleitet werden.“ Politisches Handeln werde ständig kon­trolliert, die Gefahr, dass private Verbindungen politische Beschlüsse beeinflussen, sei also gering. Ernst schrieb wörtlich: „Ich kann Bedenken gegen solche Konstellationen nachvollziehen, jedoch nicht, dass sie in jedem Fall zum Verzicht eines Teils führen müssen.“

Britta Ernst findet neue politische Heimat in Schleswig-Holstein

Infolge der Bürgerschaftswahl 2011 tauschten Ernst und Scholz ihre politischen Betätigungsfelder. Während er als Bürgermeister nach Hamburg zurückkehrte, ging sie nach einer kurzen Übergangszeit nach Berlin, um Verwaltungschefin der SPD-Bundestagsfraktion zu werden.

2014 wurde sie dann doch noch Schul- beziehungsweise Bildungsministerin, allerdings nicht in Hamburg, sondern in Schleswig-Holstein. Mein Kollege Peter-Ulrich Meyer formulierte dazu diese sehr klugen Sätze: „Dann ist ja alles in Ordnung, könnte mancher sagen. Sie hat eben nur einen Umweg nehmen müssen. Diese Interpretation führt in die Irre, denn es ging Ernst – wie auch Scholz – nie um eine Karriere nur um der Karriere willen. Und der notgedrungene Verzicht auf einen Senatsposten in Hamburg ist in ihrer Biografie deswegen so wichtig, weil er das Selbstverständnis der Politikerin Ernst exemplarisch beleuchtet.“

Die Enttäuschung aus dem Jahr 2011 in Hamburg schien vergessen, sie hatte in Schleswig-Holstein eine neue politische Heimat gefunden und war zuversichtlich, dort auch über das Jahr 2017, in dem eine neue Landtagswahl anstand, bleiben zu können. Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) lag wenige Monate vor dem Wahltermin in Umfragen deutlich vor der CDU, die sich vor allem mit internen Machtkämpfen beschäftigte.

Albig verlor die Wahl aufgrund von Anfängerfehlern

Aus denen blieb als Spitzenkandidat am Ende ein Mann übrig, der wie eine Notlösung aussah und den Albig lange nicht ernst nahm: Daniel Günther. Albig sah sich als sicherer Sieger, sprach in der „Bunte“ offen über die Trennung von seiner Ehefrau sowie die geplante Hochzeit mit seiner neuen Lebensgefährtin. In einem Gespräch sagte er mir: „Wir müssen auch die Menschen hinter den Politikern zeigen. Und das geht nicht, indem ich ausschließlich über Steuerrechtsveränderungen oder politische Machtspielchen rede.“

Den Wahlkampf im für die Entscheidung in Schleswig-Holstein so wichtigen Hamburger Umland überließ der Ministerpräsident in Teilen dem erfolgreichen Bürgermeister des Stadtstaates. Olaf Scholz machte Termine, als würde er selbst kandidieren, und Albig war dankbar. Warum ich diese Geschichte in einem Kapitel erzähle, in dem es um Britta Ernst und Olaf Scholz gehen soll? Weil Albig die Wahl am Ende und trotz Scholz’ massiven Einsatzes durch viele Anfängerfehler verlor und damit Britta Ernst ihre lieb gewonnene Rolle als Bildungsministerin.

Die Wahlniederlage erschütterte und betrübte sie und damit auch Olaf Scholz. Ernst tauchte ab, war wochenlang nicht zu sehen, bis sie Ende August dem Hamburger Abendblatt ein erstes Interview gab: „Ich vermisse meine Mitarbeiter, die Abgeordneten der SPD-Landtagsfraktion. Das sind Menschen, mit denen man mehr Zeit verbracht hat als mit dem Lebenspartner. Ich habe sie sehr gemocht und sie mich auch!“

„Wird Ihre Frau weiterarbeiten, sollten Sie Kanzler werden?“

Wer einen Olaf Scholz erleben will, der Gefühl zeigt, im Guten wie im Schlechten, muss ihn auf seine Frau ansprechen. Früher hat er sich schwergetan, über so etwas wie Liebe im Allgemeinen und die Liebe zu seiner Britta im Besonderen zu reden, inzwischen macht er das, für seine Verhältnisse, mit Herz und Leidenschaft. In der „Bunte“ sagte Scholz vor der Wahl: „Britta ist die Liebe meines Lebens, unverändert seit so langer Zeit. Ämter kommen und gehen, die Liebe bleibt.“ Deutlich kürzer, aber fast noch rührender ist der Satz, den er auf seiner Internetseite wie folgt vervollständigte: „Meine Frau bedeutet für mich … alles.“

Weil das so ist, empörte eine Frage bei „Brigitte Live“ Olaf Scholz wie wahrscheinlich keine andere im Wahlkampf 2021. Chefredakteurin Brigitte Huber und Meike Dinklage, die Leiterin des Ressorts Zeitgeschehen der Zeitschrift, hatten Scholz in einem bereits 43 Minuten dauernden Gespräch jede Menge hörenswerte Neuigkeiten und Einschätzungen entlockt, als auf der großen Leinwand hinter ihm ein Bild von Britta Ernst und ihm zu sehen war und Dinklage folgende Frage stellte: „Wird Ihre Frau weiterarbeiten, sollten Sie Kanzler werden?“ Scholz’ Gesichtszüge froren ein, der Blick wurde starr: „Meine Frau ist eine erfolgreiche Politikerin und jetzt in einem zweiten Bundesland Ministerin.“ Er brach ab. Dinklage fragte: „Heißt, sie wird weiterarbeiten?“

Eine Frage, die Olaf Scholz empört

Scholz: „Das ist ehrlicherweise eine Frage, die mich empört, wenn ich das ganz offen sagen darf. Ich weiß nicht, ob die auch Männern gestellt wird, die Ehegatten sind. Ich finde es schon so, dass es möglich sein muss, dass eine großartige Politikerin und ein Politiker eine Laufbahn haben können, dass nicht der eine davon abhängig ist, was bei der anderen passiert. Das ist für mich auch ein Ausdruck dafür, dass es bei uns in der Gesellschaft mit der Gleichstellung noch nicht so weit her ist, dass diese Fragen überhaupt erörtert werden.“ Und das auch noch bei einer Frauenzeitschrift!

Die Episode dürfte Scholz schmerzlich daran erinnert haben, dass er mit seiner Einschätzung aus Juso-Zeiten, die Probleme mit der Gleichberechtigung „haben sich in spätestens 20 Jahren“ erledigt, falschgelegen hatte. Er, der als einer der ersten Politiker lange vor der Gender-Diskussion damit begonnen hatte, immer von Wählerinnen und Wählern, Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen, musste die Tatsache, dass man so eine Frage im Jahr 2021 einem Mann wie ihm stellen konnte, wie einen Schlag ins Gesicht empfunden haben.

Der Bundeskanzler und die Bildungsministerin

Scholz hatte schon als Hamburger Bürgermeister Wert darauf gelegt, dass der Senat, wenn irgend möglich, zahlenmäßig annähernd gleich mit Männern und Frauen besetzt war. Er ließ einmal sogar die Stelle des Kultursenators lange offen, obwohl es mit Carsten Brosda einen über alle Maßen geeigneten Kandidaten gab, für den die Theater- und anderen Kulturschaffenden sogar Unterstützerbriefe schrieben. Scholz hatte nichts gegen Brosda, im Gegenteil, man muss ihn zum Kreis seiner engeren Vertrauten zählen. Aber Brosda war eben ein Mann, und die waren damals im Senat in der Überzahl (am Ende gab Scholz, eher untypisch für ihn, dem öffentlichen Druck nach und ernannte Brosda doch zum Kultursenator).

Scholz, der Bundeskanzler, und Ernst, die Bildungsministerin aus Brandenburg, werden sich nach der Bundestagswahl voraussichtlich noch weniger sehen als in der Vergangenheit, gemeinsame Zeiten sind rar und deshalb kostbar, aber auch das war so abgemacht. Die beiden haben ihr Leben – und jetzt wird es so pathetisch, wie es weder Britta Ernst noch Olaf Scholz jemals werden würden – dem jeweils anderen und der Politik geschenkt, wobei das vielleicht dasselbe ist. Und in einem Punkt ist es auf jeden Fall besser geworden: Ernst und Scholz wohnen endlich dauerhaft wieder in einer gemeinsamen Wohnung. Auch wenn die nicht in Hamburg, sondern in Potsdam liegt.

Lesen Sie morgen: Die Scholz-Story, Teil 8