Hamburg. Amt erklärte das Haus für unsicher. Doch die Stadtplanung lehnt geplante Modernisierung ab. Hausverwaltung und Mieter sind frustriert.

Die Fenster sind schmutzig, die Tür verbarrikadiert, der Vorgarten überwuchert. Martin Rockel steht vor seinem ehemaligen Zuhause in der Eimsbüttler Roonstraße und wirkt beklommen. Sein Name steht schon lange nicht mehr auf dem Klingelschild. Denn im Oktober 2020 musste er aus der Hausnummer 30 ausziehen.

„Das Bauamt und die Vermietung kamen vorbei und hielten uns einen rosa Zettel unter die Nase. Da stand drauf: Sie dürfen die Wohnung nicht mehr betreten. Das war der schrecklichste Moment meines Lebens“, erinnert sich Rockel. Der Grund für den erzwungenen Auszug: Gefährdung der Standsicherheit und Brandschutzmängel, laut einem vom Bauherrn in Auftrag gegebenen Gutachten. In den letzten zehn Jahren seien keine Sanierungen an dem Haus vorgenommen worden, so Rockels Nachbarn Stefanie Siegl und Roland Ihlenburg. Zusammen mit einer anderen Mieterin waren die drei die übrig gebliebenen Parteien, die ihr Zuhause nicht aufgeben wollten.

Mietern wurde Aufhebungsvertrag angeboten

Rockel zog seine Kinder in der Roonstraße 30 groß, auch Siegl und Ihlenburg wohnten fast 24 Jahre lang im dritten Stock. Die anderen Wohnungen stehen schon seit Längerem leer, eine seit 2014. Ein Jahr zuvor wurde die Immobiliengesellschaft Erste IVA der neue Eigentümer, eine Neuvermietung und Instandsetzung der frei gewordenen Wohnungen erfolgte nicht.

„2016 bekamen wir einen Anruf, in dem uns mitgeteilt wurde, dass das Haus saniert und umgebaut werden soll und wir einen Aufhebungsvertrag unterschreiben sollen“, so Siegl. Allen Mietern sei eine kleine Abfindung angeboten worden. Diejenigen, die den Aufhebungsvertrag nicht unterschrieben haben, hätten eine Kündigung bekommen. Das sahen die übrigen Mietparteien im zweiten und dritten Stock jedoch nicht ein. „Ich habe einen unbegrenzten Mietvertrag“, betont Rockel. „Das ist doch kein Pullover, den ich ausgeliehen habe und zurückgeben muss.“

Bezirksamt erklärte Altbau für unbewohnbar

Daraufhin klagte der Eigentümer gegen die verbliebenen Mietparteien – vergeblich. Rockel, Siegl und Ihlenburg gewannen alle Prozesse am Amtsgericht und Landgericht. Gebracht hat ihnen das wenig. Im Herbst 2020 wurde das Haus vom Bezirksamt Eimsbüttel für unbewohnbar erklärt, und Rockel und die anderen mussten innerhalb von zwei Wochen in Übergangswohnungen ziehen. Immerhin: Die Mietverträge bleiben bestehen, und nach einer fertiggestellten Renovierung dürfen sie wieder einziehen, bei einer maximalen Mieterhöhung von 3 Euro pro Quadratmeter. „Aber das Haus steht jetzt seit einem Jahr komplett leer, und es ist überhaupt nicht in Sicht, dass irgendetwas gemacht wird“, bemerkt Siegl.

Woran das liegt? Dazu nun zur anderen Seite der Geschichte: Eine Woche später stehen Heike Grahlmann und Torsten Thiede vor der Roonstraße 30, jeweils mit einem dicken gelben Ordner unter dem Arm. Sie sind die Geschäftsführer der Hausverwaltung, die sich für die IVA um die Sanierung kümmert. „Wir wollen einfach nur bauen, und das schnellstmöglich“, so Grahlmann. Damit ist gemeint: ein Dachgeschossausbau, Einbau einer Zentralheizung, neue Elek­trik, vergrößerte Balkone, und vor allem: Die Trockenlegung und Stabilisierung des Hauses.

Antrag von der Stadtplanung abgelehnt

All das hätten sie schon 2018 beantragt, berichtet Thiede. „Unser Antrag wurde abgelehnt, und zwar nur von der Stadtplanung. Alle anderen Instanzen, inklusive des Denkmalschutzes, haben unserem Vorhaben zugestimmt.“ Im ablehnenden Bescheid heißt es, die Modernisierung sei nicht vereinbar mit der sozialen Erhaltungsverordnung. Stattdessen solle eine „behutsame Holzinstandsetzung“ vorgenommen werden. In der Praxis bedeutet das: Alle Holzbalken, die von Hausschwamm und Fäule befallen sind, müssten ausgetauscht werden – ohne, dass Fliesen oder Sanitärobjekte entfernt werden dürften. „Das ist technisch unmöglich“, beklagt Thiede.

Das Haus an der Roonstraße muss dringend saniert werden.
Das Haus an der Roonstraße muss dringend saniert werden. © Marlene Jacobsen | Marlene Jacobsen

Die Hausverwaltung legte Ende 2019 Widerspruch ein und wartet bis heute auf eine Entscheidung. Das Ganze befinde sich aktuell in der gerichtlichen Prüfung, so Kay Becker, Sprecher des Bezirksamts Eimsbüttel. „Wir haben bereits im Fe­bruar 2020 eine Untätigkeitsklage eingereicht, woraufhin das Verwaltungsgericht das Amt zu einer Teilgenehmigung aufforderte. Die allein würde uns enorm weiterhelfen“, so Thiede. Passiert sei dennoch weiterhin nichts.

Hausverwaltung wollte Mietverträge aufheben

Unterdessen planen die verbliebenen Mietparteien eine Instandsetzungsklage gegen die Hausverwaltung. Von dem festgefahrenen Antragsverfahren wussten die Mieter anscheinend nichts. Dennoch wollte Rockel eine Einladung zu einem Gespräch mit Grahlmann nicht annehmen. Zu groß ist ihre Wut auf die Hausverwaltung. Denn die Mieter haben den Eindruck, es sei alles versucht worden, um sie aus dem Haus rauszubekommen.

Tatsächlich gibt Grahlmann zu, auf eine Aufhebung der Mietverträge abgezielt zu haben. „Den zuvor angebotenen Lösungsdialog hatten die Mieterinnen und Mieter abgelehnt. Wir mussten etwas tun, um voranzukommen.“ Sie fügt hinzu: „Neue Mietverträge orientieren sich meist an der Marktmiete, in bestehenden Verträgen sind Anpassungen der Miete für sanierte Wohnungen streng limitiert.“ Logisch also, dass Rockel und seine Nachbarn unbedingt den Vertrag behalten wollten.

„Die Mieter wollten, dass wir um sie herumsanieren"

Mittlerweile sind die Emotionen ziemlich hochgekocht und verzerren den Blick auf die Realität. Selbst ein Jahr nach dem Auszug ist Rockel überzeugt, seine Wohnung sei völlig in Ordnung. Dass man manche Schäden jedoch nicht auf den ersten Blick sieht, demonstriert Thiede. Mit seinem Fuß übt er leichten Druck aus auf einen teils freigelegten Holzbalken, der die Küche in Rockels Wohnung trägt.

Das morsche Holz zerbröckelt. „Die Mieter wollten, dass wir um sie herumsanieren. Aber so ein Gebäude zu kernsanieren im teilbewohnten Zustand geht technisch nicht“, so Thiede. Die Mieter jedoch beteuern, sie seien jederzeit zu einer temporären Unterbringung in Übergangswohnungen bereit gewesen – nicht aber zu einem endgültigen Auszug.

Mieter und Hausverwaltung kritisieren Bezirksamt

Trotz aller Konflikte können sich Mieter und Hausverwaltung zumindest auf eines einigen: Aufseiten des Bezirksamts ist wohl einiges schiefgelaufen. Rockel spricht von „Behördenversagen“, denn die Stadt sei offenbar nicht in der Lage, Wohnraum zu schützen. Auch Thiede und Grahlmann üben Kritik: Die Ablehnung ihrer Modernisierungspläne verursache nicht nur unnötig Leerstand und Kosten, sondern verhindere zudem Klimaschutzmaßnahmen.

Die Roonstraße 30 ist nicht der einzige Fall von Verfall und Leerstand im Eimsbütteler Wohnraum. Zwei Altbauten an der Methfesselstraße und der Grindelallee sind in einem ähnlichen Zustand. Von einer Häufung des Phänomens will Becker allerdings nicht sprechen. Die bekannten Fälle zögen hochkomplexe Verfahren nach sich, die teilweise noch liefen und vom Bezirksamt rechtssicher durchgeführt würden, so Becker.