Hamburg. Das neue Architekturjahrbuch befasst sich kritisch mit der Zukunft der Metropolen – und zeigt zugleich, dass die Stadt schöner wird.
Es ist ein wenig wie bei der Henne und dem Ei: Hat Hamburg als einzige Metropole seit über 30 Jahren ein Architekturjahrbuch, weil hier ein besonderes Interesse an der Entwicklung der Stadt besteht – oder gibt es dieses Interesse, weil jedes Jahr wieder liebevoll aufbereitet Neubauten und aktuelle Debatten präsentiert werden?
„Das Jahrbuch ist das Architekturgedächtnis für ein Dritteljahrhundert in Hamburg“, sagt Steffen Hermann vom Junius-Verlag. „Fast könnte man sagen, dass sich der Verlag mit solch einem Projekt auch in die Stadtgeschichte einschreibt.“ Von den 33 erschienenen Bänden sind nur noch 14 lieferbar, 19 immerhin komplett vergriffen.
Stadtentwicklung: Jahrbuch zeigt gelungene Bauten
Schon beim Durchblättern sieht man: Der 2020er-Jahrgang ist gelungen. Zu Recht sind zwei besonders brillante Projekte in der Innenstadt vorangestellt: die Revitalisierung des Alten Walls mit Büros, Gastronomie, Einzelhandel und dem Bucerius Kunst Forum und die liebevolle Restaurierung von Martin Hallers Bankpalast direkt am Jungfernstieg. Beide Projekte machen die Stadt schöner und attraktiver. Auch die Kran-Bauten in der Neuen Mitte Altona, der Carlsen-Campus in Bahrenfeld oder der Neubau der Sophie-Barat-Schule werden in der jüngsten Ausgabe umfangreich gewürdigt.
Das Spannende am Jahrbuch aber ist, dass es eben auch den Blick öffnet für Bauten, die sonst unter der Aufmerksamkeitsschwelle zurückbleiben. Dazu zählen etwa das neue Desy-Schullabor („licht und einladend wie der Showroom eines Premium-Automobilherstellers“), die sanierte Kleiderkasse in der Neuen Mitte Altona mit Kita, Büros und Restaurant („Wahrzeichen für den noch jungen Stadtteil“) oder das muslimische Wasch- und Gebetshaus auf dem Friedhof Finkenriek: Dessen muslimisch geprägte Nutzung sei nicht versteckt worden, „aber der Bau schreit sie auch nicht geradewegs heraus“.
Jahrbuch bewertet kritisch die Qualität neuer Bauten
Mitunter schleicht sich ein recht zeitgeistiger Ton ins Jahrbuch: Die Investitionen in den Schulbau mit der Elbphilharmonie in Beziehung zu setzen wirkt etwas unterkomplex für ein Architekturjahrbuch wie auch die Kritik an investorengetriebener Innenstadtentwicklung. Wie man ausgerechnet im Text zur erfolgreichen Revitalisierung am Alten Wall den „drohenden Leerstand im Zentrum … als Wiederbelebung der europäischen Stadt in vormoderner Vielfalt“ feiern kann, bleibt das Geheimnis des Verfassers. Aber auch ein Jahrbuch ist ein Kind seiner Zeit. Kritisch bewertet es die Qualität neuer Quartiere zwischen Pergolenviertel und Jenfelder Au oder diskutiert die Renaissance der Gartenstadt.
Ein Muss ist – wie immer – das Feuilleton im Buch. Darin geht es um die Belebung der Innenstadt mit unorthodoxen Ideen, wenn etwa Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard völlig zu Recht sagt: „Es ist mir ein Rätsel, warum wir in der Hamburger Innenstadt nirgendwo schwimmen können, da ist doch überall Wasser.“
„Wachstum ohne Ende“ in Hamburg wird angezweifelt
HCU-Professor Thomas Krüger schlägt vor: „Wenn die Busse erst einmal raus sind aus der Mönckebergstraße, sollten wir sie wie die Ramblas in Barcelona bespielen – nicht nur mit Currywurst und Fischbrötchen.“ Der Stadtentwickler Rolf Kellner träumt von Musikclubs im Herzen der Stadt: Bis 1984 gab es „immerhin noch 14 Etablissements in der Innenstadt im Betrieb und bis 4 Uhr morgens geöffnet“. Das Jahrbuch versteht sich immer auch als Impulsgeber, Verstärker – mitunter auch als Stachel im städtischen (Sitz-)fleisch.
Denn hier wird das viel besungene „Wachstum ohne Ende“ substanziell infrage gestellt. Das Ende des Mythos der Metropolen klingt deutlich bei Harald Simons an: Er schaut auf die ärgerlicherweise nur eingeschränkt erhobenen Daten zur Wanderung zwischen den Städten. Die Binnenwanderungssalden der Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit zeigt aber: „Der Wanderungssaldo ist nicht nur in allen Top-7-Städten, sondern in fast allen kreisfreien Städten klar negativ.“
Viele junge Leute wollen aus der Stadt wegziehen
Gewinner sind zum einen natürlich die Umlandkreise, zum anderen gewinnen auch die wirklich ländlichen Räume. Der Trend wird nur überlagert durch die Zuwanderung aus dem Ausland. Seine These geht noch weiter: „Die heutige Ausgangssituation ist vergleichbar mit jener in den 1960er-Jahren“ – damals begannen die Metropolen zu schrumpfen. Während sich Hamburg noch für eine Schwarmstadt hält, bewegen sich die Schwärme schon in eine andere Richtung.
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Auch die Aufarbeitung von Umfragen und Daten lässt aufhorchen: Allein wegen einer Kostensteigerung von 80 Prozent seit 2000 lässt sich frei finanziert heute kein Wohnraum in der Hansestadt mehr unter 13 Euro Kaltmiete bauen – und die Gestehungskosten liegen hier bei 4200 Euro pro Quadratmeter. Angesichts dieser Preise haben viele junge Leute schon mit der Stadt als Idee abgeschlossen. In einer Befragung der Bausparkassen wünscht nur noch ein Fünftel das Leben in der Großstadt, ein Viertel hingegen sehnt sich nach dem kleinen Dorf.
Stadtentwicklung: Jahrbuch ist teurer geworden
Kostensteigerungen gibt es nicht nur am Bau, sondern auch beim Papier – erstmals kostet das Jahrbuch 44 Euro. „Die letzte Preisänderung haben wir nach der Umstellung von DM zu Euro 2002 vorgenommen, also fast 20 Jahre lang den Preis stabil gehalten“, sagt Hermann.
„Die drastisch gestiegenen Papierpreise waren nun der Anlass für die schon länger nötige Anpassung, außerdem sind wir jetzt natürlich im Fahrwasser der insgesamt steigenden Buchpreise.“ Den großen Zehnersprung wollte Junius nicht wagen und ist jetzt gespannt, „wie der etwas ungewöhnliche Preis von 44 Euro im Buchhandel und bei den Kunden ankommt“.
Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2021/22. Junius-Verlag, 240 Seiten, 44 Euro