Hamburg. Wartelisten mit bis zu 400 Mitgliedern – was entmutigend klingt, kann sich trotzdem lohnen. Das muss man bei einer Bewerbung beachten.
Miteigentümer sein, lebenslanges Wohnrecht haben, wenig Miete zahlen und unkompliziert in eine andere Wohnung im Bestand umziehen können, wenn die eigene zu groß oder zu klein geworden ist – als Mitglied einer Genossenschaft hat man viele Privilegien. Daher ist die Nachfrage nach dieser Wohnform groß. Vor allem in besonders nachgefragten Quartieren gibt es lange Wartelisten.
Rund 135.000 Wohnungen bieten die mehr als 50 Genossenschaften derzeit in Hamburg an – das sind gut 20 Prozent aller Mietwohnungen, ein Viertel davon ist öffentlich gefördert. Um das Angebot zu erweitern, sind mehrere Tausend neue Wohnungen geplant oder befinden sich gerade im Bau.
Mietwohnungen in Hamburg: So bewirbt man sich für eine Genossenschaft
Die Genossenschaftsidee, die im November 2016 als Immaterielles Kulturgut ausgezeichnet wurde, gibt es in Deutschland seit mehr als 200 Jahren. Die ersten Wohnungsgenossenschaften entstanden angesichts großer Wohnungsnot in der Gründerzeit. An ihrem Zweck, ihren Mitgliedern eine gute, sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung zu gewährleisten, hat sich bis heute nichts geändert.
„Mit ihren Grundprinzipien Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung sind Wohnungsgenossenschaften nach wie vor eine sehr demokratische Unternehmensform“, sagt Alexandra Chrobok, Vorsitzende des Vereins Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften und Vorständin des Eisenbahnbauvereins Harburg.
Genossenschaftsanteile ersetzen Kaution und Provision
Das bilde sich nicht nur im Wohnungsbestand ab, der stets den Bedürfnissen der Mitglieder angepasst und verwaltet werde, sondern auch in der Unternehmensstruktur. So wählen die Mitglieder einer Genossenschaft alle fünf Jahre eine Vertreterversammlung, die wiederum die Mitglieder des Aufsichtsrates wählt, der den Vorstand bestellt, berät und überwacht.
Kaution und Provision gibt es bei Genossenschaften nicht: Wer Mitglied wird, kauft Genossenschaftsanteile, die verlässlich verzinst und – bei einem möglichen späteren Austritt – zurückgezahlt werden. Außerdem setzen sich Genossenschaften für die Zufriedenheit der Mitglieder, Familienfreundlichkeit und ein soziales Miteinander ein – betreiben Quartierstreffpunkte oder führe Feste und Veranstaltungen durch.
Bis zu 400 Mitglieder auf der Warteliste
Die älteste Wohnungsbaugenossenschaft in Hamburg ist die 1875 gegründete Schiffszimmerer-Genossenschaft. Zunächst für den Ankauf und Betrieb von Schiffswerften gegründet, errichtete sie 1900 mit dem Gebhardthof in der Neustadt die erste Wohnanlage für die Schiffszimmerer (und baute ihn 1959 neu auf).
Heute gehört die Genossenschaft mit rund 15.000 Mitgliedern und 9000 Wohnungen zu den größten in der Metropolregion. Eine generelle Warteliste gebe es nicht, sie unterscheide sich von Wohnanlage zu Wohnanlage, sagt Vorstand Matthias Saß. „In begehrten Innenstadtlagen wie Eimsbüttel oder dem Portugiesenviertel stehen bis zu 400 Mitglieder auf der Warteliste für eine Wohnung, in Langenhorn oder in Eilbek sind es weniger.“
Derzeit sind rund 230.000 Hamburger Mitglieder in einer Genossenschaft. Die größte ist mit 22.800 Mitgliedern und rund 14.500 Wohnungen der 1899 gegründete Bauverein der Elbgemeinden (BVE). Die Zahl der Menschen, die sich dort auf Wartelisten haben registrieren lassen, liegt im niedrigen vierstelligen Bereich.
So bewirbt man sich um eine Genossenschaftswohnung
Denn im Gegensatz zu früher, als man sich mit ein paar Anteilen in eine Genossenschaft „einkaufen“ konnte, ohne im Bestand zu wohnen, kann man heute ausschließlich durch das Anmieten einer Wohnung Mitglied einer Genossenschaft werden. Die Wohnung kann man auch bekommen, ohne bislang Mitglied gewesen zu sein, betont Vorstand Saß. „Wir bieten externen Interessenten die betreffende Wohnung aber nur dann an, wenn sie nicht von unseren Mitgliedern nachgefragt wird.“
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Für die Vergabe an Externe gelten bei den Wohnungsgenossenschaften strenge Richtlinien. Üblicherweise bewirbt man sich um eine Wohnung. Das geht oft per Internet, meistens muss man aber persönlich vorbeikommen. Bei der Schiffszimmerer-Genossenschaft etwa füllt man in der Beratungsstelle an der Fuhlsbüttler Straße einen Fragebogen mit persönlichen Daten und Suchbedingungen aus. Wurde nach einem Jahr noch keine Wohnung vermittelt, werden die Dokumente vernichtet. Besteht weiterhin Interesse, muss der Bewerber erneut vorbeikommen.
Genossenschaften arbeiten nicht gewinnorientiert und sind weder Aktionären noch Anteilseignern verpflichtet, sondern einzig und allein ihren Mitgliedern. Erwirtschaftete Überschüsse werden in den Bestand investiert. Im vergangenen Jahr etwa steckten Hamburgs Wohnungsbaugenossenschaften insgesamt 1,03 Milliarden Euro in den Neubau, die Instandhaltung und die Modernisierung von bezahlbarem Wohnraum. Mit 1581 Wohnungen wurden 453 mehr als im Jahr 2019 fertiggestellt. In diesem Jahr werden nach Auskunft des Vereins Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften 1,11 Milliarden Euro investiert und weitere 800 Wohnungen übergeben.
In Nachbarschaftsquartieren wird das Miteinander gepflegt
Die Netto-Kaltmiete pro Quadratmeter liegt derzeit bei durchschnittlich 7,03 Euro. Zum Vergleich: Die Anfangsmiete im geförderten Wohnraum liegt in diesem Jahr im Neubau bei 6,80 Euro (erster Förderweg) und 8,90 Euro (zweiter Förderweg). „Für die Stadt sind Genossenschaften ein wichtiger Partner beim Bündnis für Wohnen“, sagt Susanne Enz, Sprecherin der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW). „Sie leisten einen wichtigen Beitrag zu bezahlbarem und qualitätsvollem Wohnen. Außerdem sind sie sozial orientiert, pflegen ihren Gebäudebestand und haben durch die langjährigen Mietverhältnisse einen engen Bezug zu den Quartieren.“
Andreas Breitner vom Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen, dem die meisten Genossenschaften angehören, erwartet, dass der Senat die Genossenschaften gezielter unterstützt: beispielsweise bei der Vergabe von bezahlbaren Baugrundstücken. „Die Entscheidung, öffentliche Baugrundstücke vornehmlich im Wege des Erbbaurechts zur Verfügung zu stellen, wird bei den Genossenschaften sehr kritisch gesehen. Der Grund liegt in schlechteren Finanzierungskonditionen beim Neubau.“