Harsefeld. Viebrockhaus startet Modellprojekt für Neubaugebiete mit autarker Stromversorgung und recycelten Baustoffen.
Die erste Bodenplatte ist schon gegossen und ein Zelt darüber errichtet, damit auch im Winter ohne Unterbrechungen gebaut werden kann. Auch erste Materialien für das künftige Einfamilienhaus in einem Neubaugebiet der niedersächsischen Gemeinde Harsefeld nahe Buxtehude sind schon angeliefert, etwa Klinker zum Verblenden, die nicht mehr ganz neu aussehen. „Ja, das sind gebrauchte Steine, aber das verbessert die CO2-Bilanz beim Hausbau“, sagt Sebastian Klare, Technik-Vorstand des Massivhausbauers Viebrockhaus AG aus Harsefeld. Gleich daneben liegen neue Klinkersteine, die dann mit dem recycelten Material kombiniert werden sollen.
Doch auch die neuen Steine eines regionalen Herstellers sind mit Bedacht auf Nachhaltigkeit produziert. „Sie sind luftgetrocknet, und für den Brennprozess werden Kirschkerne statt Gas verwendet, ein Abfallprodukt der Marmeladenindustrie“, sagt Elena Paul, Ingenieurin bei Viebrockhaus. „Damit werden sie CO2-neutral produziert.“ Sie hat die Ideen des Unternehmens rund um die Themen erneuerbare Energien und Ressourcenschonung auf der Weltklimakonferenz in Glasgow vorgestellt.
Immobilien: CO2-Emission des Betons wurde verringert
„Durch die Kombination verschiedener Maßnahmen konnten wir beispielsweise die CO2-Emission unseres Betons um die Hälfte verringern.“ Das gelingt, indem sogenannte Kartoffelsteine von den Feldern, die die Bauern ohnehin beim Pflügen behindern, gewaschen, gemahlen und mit CO2-armem Zement vermischt werden. So ist es das Ziel, durch die Auswahl entsprechender Baustoffe die neue Siedlung schon CO2-neutral zu errichten. Fenster werden aus zu 100 Prozent recyceltem Kunststoff eingebaut.
Für die rund 1000 Häuser, die Viebrockhaus bundesweit jährlich errichtet, wird die CO2-Emission in der Herstellung schon heute auf andere Weise kompensiert. Für jedes Haus werden 150 Quadratmeter Regenwald für 50 Jahre geschützt. „Damit lässt sich das freigesetzte CO2 bei der Herstellung eines Hauses mehr als ausgleichen, und der Käufer bekommt darüber ein Zertifikat“, sagt Wolfgang Werner, Vorstand der Viebrockhaus AG.
Zusammenarbeit mit Greenpeace
Bis zum Mai 2023 soll in Zusammenarbeit mit Green Planet Energy (vormals Greenpeace Energy) und der Gesellschaft für innovatives Bauen die CO2- neutrale Ökosiedlung entstehen, eine sogenannte Smart City. Der Begriff beschreibt Konzepte, mit denen Städte durch den Einsatz moderner Technologie klimaschonender und lebenswerter werden sollen. In Harsefeld entstehen mit der Smart City 19 Einfamilienhäuser, die in der Bau- und der Betriebsphase CO2-Neutralität erreichen sollen.
„Die besonders energiesparenden Häuser sind miteinander vernetzt, werden mit einer Wärmepumpe beheizt und mit vor Ort produzierter Sonnenenergie möglichst autark versorgt“, sagt Paul, die Projektleiterin der Smart City. „Von recycelten Baustoffen bis hin zu begrünten Schrägdächern ist hier alles berücksichtigt, was nachhaltiges und klimaneutrales Bauen heute leisten kann.“
Viebrockhaus setzt schon lange auf Energieeffizienz
Das ist für das Familienunternehmen noch einmal ein großer Sprung, obwohl es sich seit Jahrzehnten zu ressourcenschonendem Bauen verpflichtet fühlt. Seit mehr als zwei Jahrzehnten setzt Viebrockhaus auf Energieeffizienz. Bereits 1999 brachte das Unternehmen ein Niedrigenergiehaus auf den Markt. Es verbrauchte 70 Prozent weniger Heizenergie als konventionelle Häuser. Um es Bauherren anschaulich zu machen, nannte man es Drei-Liter-Haus: drei Liter Heizöl pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr. Mehr Energie war für Heizung und Warmwasser nicht nötig. Doch Öl und Gas als Energieträger sind bei Viebrockhaus längst überwunden – bundesweit aber noch lange nicht.
1990 machten die Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor noch 210 Millionen Tonnen CO2 aus. Dank energieeffizienter Neubauten und Sanierungen sanken die Emissionen in dem Sektor bis 2020 auf rund 120 Millionen Tonnen CO2. Bis 2030 sollen sie auf 67 Millionen Tonnen CO2 reduziert werden.
Gebäude erzeugen Strom größtenteils selbst
„Seit 2007 bieten wir keine Häuser mehr an, die mit Öl oder Gas beheizt werden“, sagt Werner. „Damals führte das noch dazu, dass wir manche Kunden, die unbedingt eine konventionelle Heizung haben wollten, wieder nach Hause schicken mussten.“ 2010 hatte bereits jedes dritte Haus eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach. 2012 wurde erstmals eine Batterie, so groß wie ein Kühlschrank, für die Speicherung überschüssigen Solarstroms in die ersten Häuser eingebaut. „Inzwischen haben 100 Prozent unserer Häuser eine Wärmepumpe und über 80 Prozent eine Fotovoltaikanlage und eine Batterie“, sagt Werner. Das führt dann zum KfW-Standard Effizienzhaus 40 Plus.
Mit diesem Energiestandard entstehen auch die neuen Häuser in Harsefeld. Bauliche Maßnahmen wie Wärmepumpe, Fußbodenheizung und zentrales Lüftungssystem sorgen dafür, dass ein solches Gebäude seinen benötigten Strom größtenteils selbst erzeugt, speichert und nutzt. Das bezieht sich bei Häusern außerhalb der Öko-Siedlung aber nur auf den Strombedarf, der für Heizung, Kühlung und Warmwasser benötigt wird. Die staatliche KfW-Bank fördert solche Neubauten mit einem Kredit von bis zu 150.000 Euro und einem Tilgungszuschuss von 25 Prozent. 37.500 Euro müssen also nicht zurückgezahlt werden.
Begrünte Steildächer und Fotovoltaikanlagen
Die Steildächer der neuen Häuser werden auf der einen Seite komplett begrünt sein und auf der anderen Seite mit einer Fotovoltaikanlage bestückt. Klassische Dachpfannen werden nicht mehr benötigt. „Die Begrünung der Dächer, die Gartengestaltung und die Wasserdurchlässigkeit der Straßen- und Wegebeläge ermöglicht es, dass der durchschnittliche versiegelte Anteil der Flächen beim Hausbau von 50 Prozent auf elf Prozent sinkt“, sagt Paul. An der Grundfläche der Häuser ändert sich nichts. „Wir werden auch Fenster aus 100 Prozent recyceltem Kunststoff einsetzen“, sagt Paul.
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Die großen Fotovoltaikanlagen und die Vernetzung der Häuser werden eine weitgehende autarke Energieversorgung ermöglichen. Dennoch gibt es einen öffentlichen Stromanschluss. „Neben den Batterien in den Häusern wird es einen Wasserstoffspeicher und einen Kalksteinspeicher geben, um nicht benötigte Sonnenenergie zu speichern für Zeiten mit vielen Wolken“, sagt Klare. Aber auch die Vernetzung der Häuser soll Sonnenstromproduktion und Verbrauch ausgleichen. Ist eine Batterie voll, wird es noch andere geben, die den Sonnenstrom aufnehmen können. Hat ein Haushalt seine Reserven aufgebraucht, kann er die Überschüsse der anderen nutzen. So soll eine möglichst autarke Versorgung das ganze Jahr über gewährleistet sein. Klare kann sich auch vorstellen, die Batterien der Elektroautos der Bewohner mit in dieses System zu integrieren.
Die neuen Öko-Häuser sind rund zehn Prozent teurer
Und wer zieht in die Häuser der Smart-City ein? „Wir bieten die Häuser vorzugsweise unseren Mitarbeitern für zehn Jahre zum Mietkauf an“, sagt Werner. So will Viebrockhaus auch Mitarbeiter an die eigene Firma binden und die Entwicklung der Häuser weiter vorantreiben. Auch dürfte damit das Verständnis der Bewohner größer sein, wenn nicht gleich alles klappt. Das Interesse sei groß. Nach zehn Jahren können die Mitarbeiter die Häuser zum Preis von heute erwerben, wobei die bisherigen Mietzahlungen angerechnet werden. Die neuen Ökohäuser sind etwa zehn Prozent teurer als bisherige Bauten, für die im Mittel 320.000 Euro (ohne Grundstück) bezahlt werden müssen. Protokoll führen über unvorhergesehene Ereignisse und Pannen in der Smart-Siedlung müssen die Bewohner nicht. Alle Daten werden automatisch erfasst und ausgewertet.