Hamburg. Viele junge Leute gehen ausgelassen feiern, bevor die Clubs womöglich wieder schließen. Bei manchen tanzt das schlechte Gewissen mit.

Die Nacht zum Sonntag, es ist 1.22 Uhr. Aus dem alten Backsteingebäude unter den Messehallen hämmert der Bass, der schnelle Beat bringt ungeduldige Füße bereits jetzt zum Zappeln. Es ist kalt, doch zum Glück ist die Schlange vor dem Hamburger Techno-Club PAL heute nicht ganz so lang: eine halbe Stunde anstehen, höchstens. Das Publikum ist jung, viele sind in Schwarz gekleidet, tragen Doc Martens und hippe Mützen, die gerade so über dem Ohr enden.

Der Fernsehturm ragt über ihnen auf, während noch das letzte Weg-Bier ausgetrunken wird. Impf- und Personalausweis sind schon griffbereit für die Kontrolle, damit es so schnell möglich ins Innere gehen kann. Und dann endlich: feiern, tanzen, den Alltag vergessen. Und die Pandemie auch.

Clubs in Hamburg: Junge Menschen im Zwiespalt

Der Nachtclub PAL an der Karolinenstraße hat erst vor Kurzem den regulären Clubbetrieb wieder aufgenommen. Was in anderen Hamburger Clubs schon früher wieder möglich ist, gilt jetzt auch hier: feiern gehen wie vor der Pandemie – also ohne Abstand, ohne Maske, ohne Beschränkungen im Innern des Clubs. Lediglich die Kontrolle am Eingang, durch die Überprüfung des 2G-Nachweises und das Einchecken der Luca-App dauert ein wenig länger als davor.

Endlich wieder Party machen: Nachdem die Clubs und Bars coronabedingt viele Monate geschlossen bleiben mussten, freuen sich gerade junge Menschen über die Wiedereröffnungen. Doch viele sind auch im Zwiespalt: Auf der einen Seite ist die Lust groß, wieder tanzen zu gehen nach so langer Zeit. Auf der anderen Seite schießen die Infektionszahlen bundesweit in die Höhe, die Inzidenz steigt, Krankenhäusern droht eine Überlastung. Was bewegt junge Menschen dazu, trotz Corona feiern zu gehen?

„Beim Feiern kann ich endlich mal frei von allem sein"

Luise steht mit ihren drei Freunden in der Schlange – relativ weit vorne, lange warten muss sie nicht mehr. Schon jetzt spürt man ihre Vorfreude auf eine lange Club-Nacht. Für die 23 Jahre alte Jura-Studentin ist es nicht das erste Mal, seitdem es wieder möglich ist: Sie war schon vergangene Woche unterwegs. „Es tat so gut, einfach mal wieder feiern zu gehen und sich die Beine abzuzappeln.“

Auf dem Weg in eine durchtanzte Nacht: die Schlange vor dem PAL.
Auf dem Weg in eine durchtanzte Nacht: die Schlange vor dem PAL. © Elisabeth Gefeller  | Elisabeth Gefeller 

In dieser Nacht hat Luise gemerkt, wie sehr sie es vermisst hat zu feiern. Es bedeutet für sie mehr, als nur zu tanzen. „Sich gehen zu lassen, nicht über den Alltag nachzudenken, sich in der Masse treiben zu lassen. Beim Feiern kann ich endlich mal frei von allem sein, meinen Kopf ausschalten.“ Bei all den Glücksgefühlen hat Luise trotzdem Bedenken. Angesichts steigender Infektionszahlen hat sie ein schlechtes Gewissen – aber durch die 2G-Regelung fühlt sie sich sicherer.

Sie fände es nicht fair, wenn die Clubs wieder schließen müssten in Hamburg: „Wir haben uns alle impfen lassen, damit es vorbeigeht. Gerade wir jungen Menschen haben uns so krass eingeschränkt während der Pandemie und die Maßnahmen eingehalten, aus Solidarität. Mich jetzt wieder wegen Menschen einzuschränken, die sich nicht impfen lassen wollen: Das sehe ich nicht ein.“

Junge Hamburger fürchten zweiten Winter-Lockdown

Auch Lara und Arold haben sich in die Schlange gestellt. Lara, 22 Jahre alt und aus Bayern, war sich unsicher, ob sie heute wirklich feiern gehen sollte – aber die Angst war zu groß, dass die Clubs schon bald wieder zumachen könnten, wie in ihrem Bundesland. Ihre Zweifel bleiben jedoch: „Das Problem ist, dass man leider sehr einfach Impfausweise fälschen kann. Viele Leute sind so egoistisch und nehmen es in Kauf, andere Leute zu gefährden. Aber irgendwie riskiert man es selbst dann doch – es ist echt eine Zwickmühle.“

Auch Arold möchte nicht die vielleicht letzte Chance verpassen, noch mal feiern zu gehen. Die Vorstellung, ein weiteres Mal einen langen Winter im Lockdown zu erleben, ohne Kneipen und Clubs, bereitet ihm Sorgen: „Mir ging es teilweise psychisch echt nicht gut während der Pandemie. Jetzt, wo die dunkle Jahreszeit kommt, will ich noch einmal einen Lichtblick mitnehmen.“ Er hat eine klare Einstellung, wenn es ums Partymachen in Corona-Zeiten geht: „Es ist eine Entscheidung, die jeder Einzelne für sich selbst treffen muss. Aber wir bewegen uns im legalen Rahmen. Wenn wir nicht mehr feiern gehen dürfen, bleibe ich eben wieder zu Hause.“

Clubs in Hamburg: Fünf Betriebe mussten schließen

Die Bilanz der Hamburger Polizei vom Wochenende zeigt: Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung und der Betriebe hält sich an die Regeln zur Eindämmung der Pandemie. Bei mehr als 420 kontrollierten Betrieben – darunter Bars, Clubs und Restaurants – stellten die Beamten 50 Verstöße fest: Mangelnde Zugangskontrollen, unzureichende Kontaktdatenpflege oder Verstöße gegen die Maskenpflicht. Fünf Betriebe mussten schließen.

Luise ist mittlerweile beim Tür­steher angekommen: Erst muss sie ihren Impfausweis vorzeigen, dann den Personalausweis. In der Luca-App ist sie bereits eingecheckt. Bevor sie in ihre Party-Nacht startet, möchte sie noch etwas loswerden: „Ich wäre echt traurig, wenn die Clubs wieder zumachen. Die letzten anderthalb Jahre wurden mir von meiner Jugend genommen. Und ich weiß, dass sie mir niemand zurückgeben kann.“