Hamburg. In diesem Semester sollten fast 70 Prozent der Veranstaltungen in Präsenz angeboten werden. Laut AStA sind es viel weniger.

Einen echten Neustart, den hatten sich Hamburgs Studenten vom kommenden Semester erhofft. Doch viele wurden enttäuscht. Zum Beispiel Frederico Bormann. Der 23-Jährige hatte sich nach drei Semestern und einer Bachelorarbeit in der Corona-Zeit gefreut, endlich wieder Veranstaltungen in Präsenz besuchen zu können. Er studiert Informatik im zweiten Mastersemester.

Doch er hatte sich zu früh gefreut. „Bei mir ist es so, dass ich, zumindest Stand jetzt, nur digitale Veranstaltungen habe. Die Vorlesungen werden entweder als Videos bereitgestellt oder als Zoom übertragen. Und auch die Übungen sind eben nur so ein Treffen in einem Zoomraum.”

Universität Hamburg: Weniger Präsenz als gedacht

Dabei hatte die Universität Hamburg den Studenten versprochen, dass zwei Drittel der Veranstaltungen wieder in Präsenz stattfinden sollten. „Wir planen das Präsenzsemester als Normalfall“, – so hatte es Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) Ende August formuliert.

Umgesetzt wurde dieser Plan bisher offenbar nur unzureichend, zumindest nicht an der Universität, wie der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) kritisiert. Er schätzt den Anteil der in Präsenz stattfindenden Veranstaltungen insgesamt auf weniger als die Hälfte ein. An der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) fänden aber schon 80 Prozent der Veranstaltungen in Präsenz statt, so der AStA.

Entscheidungen liegen bei Dozierenden

Wie viele Seminare und Vorlesungen in Präsenz stattfinden, kann die Universität Hamburg nicht genau sagen. Der Uni-Start sei „gut” angelaufen, hieß es. Auf die Frage des Hamburger Abendblatts, wie hoch der Anteil von Präsenzveranstaltungen sei, antwortete die Universität: „Das Verhältnis kann aufgrund der dezentralen Verantwortung der Lehre nicht zentral erhoben werden.” Laut AStA überlässt es die Uni den Fakultäten, die Veranstaltungen zu planen. Die Fakultäten wiederum lassen den Dozierenden freie Hand: Sie entscheiden, ob sie die Veranstaltungen digital oder in Präsenz anbieten.

Wie leer gefegt: Die Hörsäle der Universität Hamburg konnten zur Hochzeit der Corona-Krise nicht besucht werden.
Wie leer gefegt: Die Hörsäle der Universität Hamburg konnten zur Hochzeit der Corona-Krise nicht besucht werden. © imago stock&people | imago stock

Auch Benedikt Osterdorf, Fredericos Kommilitone, ist mit der Situation unzufrieden. Der 22-Jährige schätzt: „An unserem Fachbereich sind ein bisschen mehr als 60 Prozent rein digital, der Rest verteilt sich dann auf Hybrid- und Präsenzveranstaltungen.” In den folgenden Wochen werde sich daran wahrscheinlich auch nichts ändern.

Gründe nicht nachvollziehbar

Frederico erzählt, ein Professor überlege noch mal, ob er auf Präsenz umstellen soll. Aber: „Aus den anderen Veranstaltungen habe ich bisher nur gehört, wir ändern das nicht, weil wir Planungssicherheit wollen.” Je öfter die beiden diesen Grund hören, desto weniger können sie ihn nachvollziehen. Benedikt meint: „Wir haben es zu Beginn der Pandemie hinbekommen, von jetzt auf gleich eine digitale Lehre hinzustellen, da sehe ich nicht, dass man das nicht noch mal machen könnte.”

Momentan versuchen sie, die Erlaubnis dafür zu bekommen, in Räumen – gemeinsam mit ihren Kommilitonen – an digitalen Veranstaltungen teilzunehmen. Doch daran hindere sie die Bürokratie. Das Semester habe ja auch schon begonnen. „Es wäre natürlich viel leichter gewesen, wenn das vor Semesterbeginn klar gewesen wäre.“

Hamburgs Studierende sind frustriert

Für Studenten und Studentinnen, die das vorherige Uni-Leben kennen und wissen, was sie verpassen, ist so ein digitales Semester nach all den Versprechen natürlich frustrierend. „Offen gestanden, man ist in den letzten anderthalb Jahren so oft von der Politik und der Uni enttäuscht worden, dass die meisten nicht mehr daran glauben, dass wir in Präsenz gehen können. Es besteht kein ernsthaftes Interesse daran, auf die Interessen der Studierenden zu hören.” Und weiter: „Ich kann in einen Club mit 200 Leuten ohne Maske, ohne Abstände gehen, aber nicht in eine Vorlesung. Warum liegt die Priorität nicht auf den Hochschulen?”

Doch auch für Erstsemester ist so ein Uni-Start deprimierend. Helen Stein (Name geändert), die mit 18 Jahren gerade das Lehramts-Studium begonnen hat – Erziehungswissenschaften, Deutsch und Sozialwissenschaften –, sagt: „Die Uni wirbt ja damit, dass man Präsenz hat, und ich habe alles digital, außer einen einzigen Kurs.”

Einige Aufzeichnungen kommen aus dem Vorjahr

Zwar konnte sie wählen, jedoch waren die Zeiten der Präsenzveranstaltungen so schlecht gelegt und die Absprachen zwischen den verschiedenen Fakultäten so miserabel, dass sie nicht anders konnte, als digitale Veranstaltungen zu belegen. Ähnlich deprimierende Erfahrungen haben auch die Biologiestudentinnen Feline Bludau, Lia Dietel, Leonie Bleyer und Sophie Braun gemacht.

Sie besuchen fast ausschließlich nur digitale Veranstaltungen – wählen konnten sie nicht. Ihr Stundenplan sei ihnen vorgegeben worden. Schlimmer noch: Einige der digitalen Vorlesungen seien Aufzeichnungen und stammten aus dem Vorjahr. „Vor allem bei physikalischen und mathematischen Berechnungen, bei denen ich wirklich Probleme habe, kann ich nicht mal eine Frage stellen“, sagt Feline Bludau.

Universität Hamburg: AStA kritisiert Raumplanung

Ein wenig bereut es Leonie Bleyer, dass sie für das Studium in eine fremde Stadt gezogen ist – eine Stadt, in der sie anfangs niemanden kannte.

Der AStA kritisiert zudem, dass nicht genug Räume bereitgestellt werden, um an der Uni zu bleiben, wenn vorher eine Veranstaltung in Präsenz stattgefunden hat. Auch Helen äußert sich dazu: „Viele Räume sind wegen Corona zu, das heißt, ich müsste mich irgendwo auf die Straße setzen.”