Hamburg. Wo heute Luxushotel, Geschäfte und Wohnungen stehen, wurden früher Tausende Menschen gefoltert. So soll der Opfer nun gedacht werden.
Wulstige, rote Narben ziehen sich bald durch den Gehweg an der Ecke Stadthausbrücke und Neuer Wall. Seit Montag bricht das Künstlerinnenduo „missing icons“ den Fußgängerweg vor den heutigen Stadthöfen mit schwerem Gerät auf und füllt die dadurch entstehenden Vertiefungen mit Gummigranulat und einer hellroten Schicht aus Granulat und Splitt.
Der neue Bodenbelag wird leicht federn, unter den Schuhen nachgeben und somit die Eigenschaften einer Narbe nachempfinden. In acht Wochen sollen die Fußgängerinnen und Fußgänger das fertige Kunstwerk betrachten können.
Nationalsozialismus: Gestapo folterte und mordete in den Stadthöfen
Es geht um ein ebenso spektakuläres wie bewusst irritierendes Kunstprojekt, mit dem an die dunklen Kapitel in der Geschichte dieses Ortes erinnert werden soll – während der NS-Zeit hatte die Gestapo im Stadthaus ihr Hamburger Hauptquartier. Tausende Menschen wurden hier gefoltert, viele getötet.
Die beiden Hamburger Künstlerinnen hatten 2019 den künstlerischen Wettbewerb, den die Behörde für Kultur und Medien umgesetzt hatte, mit ihrem Konzept gewonnen. Andrea Knobloch und Ute Vorkoeper setzen deshalb das auf den Namen „Stigma“ getaufte Projekt um. Die rosarote Farbe der Narben soll an Haut, Fleisch und Blut erinnern und dafür sorgen, dass die Menschen die Taten der Nationalsozialisten nicht vergessen.
Die rote Narbe im Boden solle Passanten irritieren
Viele Passantinnen und Passanten laufen völlig ahnungslos an dem ehemaligen Hauptquartier der Gestapo vorbei. „So wie wir hier stehen, wird es bald nicht mehr möglich sein“, sagt Vorkoeper im Hinblick auf das Kunstwerk. Die rote Narbe im Boden solle die Fußgängerinnen und Fußgänger irritieren und so auf die Verbrechen der Gestapo in der NS-Zeit aufmerksam machen, so Kultursenator Carsten Brosda (SPD).
- Wie die Stadthöfe attraktiver werden sollen
- Gestapo-Mahnmal in Hamburg: Nun soll es endlich kommen
- Kunst im Schaufenster: Schlendern und kaufen in Hamburg
Für das Mahnmal wurden von der Bürgerschaft 250.000 Euro bewilligt. Auch der Haushalt der Behörde für Kultur und Medien unterstützt das Projekt mit 30.000 Euro. Brosda sagte, man setzte „ein starkes Denkzeichen im öffentlichen Raum um, das uns unmittelbar dazu veranlasst, über die Geschichte dieses Ortes nachzudenken. Das Grauen, das von diesem Ort ausging, hat tiefe Narben hinterlassen.“ Jahrzehntelang erinnerte an dem Haus wenig an die dunkle Zeit. 1981 war auf Initiative von Behörden-Mitarbeitern zumindest eine kleine Gedenktafel angebracht worden. Erst als das Gebäude an einen Investor verkauft und die Stadthöfe entstanden waren, begann eine öffentliche Debatte.
Mit dem Bau soll eine Informationstafel zur Dokumentation am Gedenkort aufgestellt werden – auch ein Film über die Entstehung des Kunstwerks ist geplant und wird vor Ort und online gezeigt.
Kritiker: Kunstwerk kleiner als ursprünglich geplant
Doch an der Projektplanung gibt es auch Kritik. Ursprünglich war vorgesehen, das Kunstwerk entlang der gesamten Fassade einzuarbeiten. Mittlerweile sieht die Planung eine verkürzte Form vor. Insgesamt 200 Quadratmeter soll das Bodenrelief groß werden, es zieht sich von der Ecke Stadthausbrücke/Neuer Wall entlang des ehemaligen Hauptsitzes der Gestapo bis zur Brücke über den Bleichenfleet
Außerdem wurde der angekündigte Lernort, der ursprünglich größer sein sollte, deutlich verkleinert. Nun gibt es lediglich eine 50 Quadratmeter große Informationsfläche in der Buchhandlung „Lesesaal“. Kritikerinnen und Kritiker, unter anderem solche von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, fordern eine Vergrößerung des Lernortes. Für sie ist die Ausstellung wenig mehr als nur eine Erstinformation zum Thema.