Hamburg. Die Erklärung der Polizei zu den Durchsuchungen lässt Deniz Celik nicht gelten und wirft der Polizei “fehlende Fehlerkultur“ vor.
Die schweren Vorwürfe, die im Zuge der „Pimmelgate“-Affäre um Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) laut werden, reißen nicht ab: „Es wurde versucht, die Öffentlichkeit über die Faktenlage zu täuschen“, sagte der Linken-Politiker Deniz Celik, nachdem er eine Kleine Anfrage zu dem Vorfall an den Senat gestellt hatte.
Es verstärke sich der Eindruck, dass das Verfahren „nicht frei von politischen Interessen“ geführt werde. Grund für die Aufregung ist die Frage, wie viele Durchsuchungen es in vergleichbaren Fällen tatsächlich gibt. Wie berichtet, war eine Wohnung von sechs Beamten durchsucht worden, nachdem ein Twitter-Nutzer den Innensenator als „Pimmel“ bezeichnet und Grote daraufhin Strafantrag gestellt hatte.
Nach „Pimmelgate“: Polizei weist Vorwurf der Täuschung zurück
Unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe hatte die Polizei davon gesprochen, dass die Razzia auf St. Pauli keineswegs ein Einzelfall sei: Eine „mittlere zweistellige Zahl“ ähnlicher Aktionen habe es in dem Bereich bereits seit Jahresbeginn gegeben.
Die jüngste Anfrage des Linken-Politikers Celik ergab jedoch, dass wegen politisch motivierter Beleidigungen im Internet in diesem Jahr nur sieben Durchsuchungsbefehle in Hamburg vollstreckt worden sind. Die Polizei wehrt sich aber dagegen, eine Falschinformation betrieben zu haben.
Polizei beruft sich auf „unterschiedliche Fragestellungen“
Die Polizeisprecherin Sandra Levgrün sagte dem Abendblatt, es komme darauf an, welche Durchsuchungen man zum Gesamtaufkommen hinzuzähle. Im Bereich der Hasskriminalität insgesamt habe es sehr wohl die „mittlere zweistellige Zahl“ an Durchsuchungen seit Jahresbeginn gegeben. Dies schließe auch etwa Razzien nach politisch motivierten Angriffen mit ein.
Die Aussage über Häufigkeit habe man unmittelbar nach Bekanntwerden der Affäre auf Medienanfragen getroffen. In der Anfrage der Linken sei dann dezidiert die Zahl der Durchsuchungen wegen Beleidigungen im Internet abgefragt worden. Die Antwort des Senats, wiederum unter Berufung auf Daten der Polizei: Inklusive des aktuellen Falls habe es sieben solcher Aktionen im Bereich der politisch motivierten Kriminalität gegeben. „Das waren also zwei unterschiedliche Fragestellungen mit entsprechend unterschiedlichen Antworten“, betont Levgrün nun.
Linke spricht von „politisch motivierter Durchsuchungswelle“
Diese Darstellung der Polizei lässt Celik nicht gelten: "Genau das ist eindeutig nicht der Fall: Bei Beleidigungen im Internet wurden dieses Jahr sieben Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt. Zumindest bevor mit einer politisch motivierten Durchsuchungswelle nach Bekanntwerden des Skandals diese Zahlen in Rekordzeit aufgebessert wurde."
Die insgesamt mehr als 50 Durchsuchungen im Bereich politisch motivierter Straftaten hält der Innenpolitiker in diesem Zusammenhang für "irrelevant". In dieser Zahl steckten "auch völlig andere, absolut nicht vergleichbare Sachverhalte". Celik wirft der Polizei abschließend eine "fehlende Fehlerkultur" vor: "Diese Rechtfertigungsversuche sind fast so peinlich wie der Vorgang selbst."
„Pimmelgate“: Innensenator Grote wusste nichts von Razzia
Wie es bereits zuvor in Polizeikreisen geheißen hatte, sei die Durchsuchung bei dem Twitter-Nutzer auf St. Pauli nicht wie üblich zunächst durch die Polizei angeregt worden. Vielmehr beantragte die Staatsanwaltschaft sie demnach aus eigener Initiative, um mögliche Beweismittel sicherstellen zu können. Der Schritt sei verhältnismäßig gewesen, so eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.
Innensenator Andy Grote (SPD) wusste nach eigenen Angaben nicht davon, dass es in diesem Fall eine Razzia geben würde. Dass er überhaupt einen Strafantrag gestellt hatte, begründete er mit einer Offensive des Senats gegen „Hate Speech“. Es sei wichtig, grenzüberschreitende Äußerungen zur Anzeige zu bringen. „Niemand muss sich in Deutschland beleidigen lassen“, sagte Grote.
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CDU kritisiert Justizsenatorin Gallina
Federführend bei der Offensive – und auch verwaltungstechnisch zuständig für die Staatsanwaltschaft – ist die Behörde von Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne). Diese geriet wegen der vermeintlich mäßigen Gesamtbilanz beim Thema „Hate Speech“ ebenfalls unter Druck.
Auf eine weitere Kleine Anfrage der CDU hatte der Senat zunächst mit falschen Zahlen geantwortet: Aus diesen schien hervorzugehen, dass sich die Zahl der eingestellten Verfahren in den ersten neun Monaten dieses Jahres im Vergleich zum gesamten Vorjahr bereits verdoppelt habe.
„Pimmelgate“-Affäre: Justizbehörde muss Zahlen korrigieren
Am Donnerstag korrigierte die Justizbehörde die Zahlen, die durch einen "Übertragungsfehler in der Senatsantwort" falsch übermittelt worden seien. Tatsächlich liegt die Zahl der eingestellten Verfahren im Herbst bei etwas mehr als der Hälfte im Vergleich zum Gesamtjahr 2020.
Die Zahl der Anklagen und Anträge auf einen Strafbefehl liegt im Herbst auch in der korrigierten Fassung bei nur einem guten Drittel des Vorjahresniveaus. Nach Angaben der Justizbehörde könnten weitere bereits erhobene Anklagen jedoch noch nicht in das Computersystem eingetragen worden und deshalb nicht in der Statistik enthalten sein.
Durch „Pimmelgate“-Affäre sei schlimmer Eindruck entstanden
Die Justizbehörde hatte Kritik der CDU an der bisherigen Bilanz entgegnet, dass erst im April die neue Kampagne „Ohne Hass“ mit einem Online-Meldetool an den Start gegangen sei. Für eine Evaluierung, ob die Maßnahmen bereits Wirkung zeigen, sei es deshalb zu früh. Auf konkrete Handungen der unabhängigen Staatsanwaltschaft darf auch die Justizbehörde keinen direkten Einfluss nehmen.
Sowohl von SPD als auch Grünen in den Regierungsfraktionen ist zu hören, dass durch die „Pimmelgate“-Affäre ein zwar falscher, aber schlimmer Eindruck entstanden sei: Dass die Justiz nur dann tätig werde, wenn eine Beleidigung einen hochrangigen Politiker betrifft. „Dabei ist es ganz elementar, dass alle Opfer von ‚Hate Speech‘ die Beleidigungen auch zur Anzeige bringen“, heißt es.