Hamburg. Er bietet nicht nur attraktive Geschäfte, sondern auch viele Chancen. Eine will nun der Investor Signa nutzen. Die Hintergründe.
Die Zukunft trägt die Hausnummer 50. In einem leer stehenden Geschäft der Gänsemarkt Passage hat der Eigner eine kleine Ausstellung organisiert. Hier zeigt die Signa Real Estate nicht nur, was ab 2023 am traditionsreichen Ort zwischen Gänsemarkt und Colonnaden entstehen wird, sondern auch die Entwürfe anderer, unterlegener Architekturbüros.
Man kann sich hier in die Zukunft denken – doch vor der schönen neuen Welt warten Staub und Zerstörung. „Die Gänsemarkt Passage wird abgerissen – sie lässt sich leider nicht weiternutzen“, sagt Signa-Niederlassungsleiter Torben Vogelgesang. Ende 2022 laufen die Mietverträge der Gänsemarkt Passage aus, ab 2023 beginne der Rückbau.
Signa plant Gebäudeensemble am Gänsemarkt
An gleicher Stelle plant Signa ein neues Gebäudeensemble, das 2025 fertiggestellt werden soll. Der spektakuläre Gebäudekomplex mit dem Arbeitstitel Lessinghöfe besteht aus drei Baukörpern, die sich ineinander verwoben vom Gänsemarkt zu den Colonnaden und zur Büschstraße erstrecken. Große Tordurchgänge sollen die Menschen ins Innere locken.
Der Entwurf stammt von den Hamburger Architekten Biwermau. „Das wird keine klassische Passage – die hat an der Stelle auch nicht funktioniert. Wir planen ein System mit Innenhöfen mit einem Durchgang zu den Colonnaden“, sagt Vogelsang. Das Gebäude soll mit 30 Wohnungen, kleinen Läden, Gastroflächen und Manufakturen besonders lebendig werden.
Neustart für den Gänsemarkt
Es wäre ein Neustart für den Gänsemarkt. Und nicht der erste. Die Passage galt bei ihrer Eröffnung am 18. Oktober 1979 als ganz großer Wurf. Die Hamburg-Mannheimer Versicherung hatte 60 Millionen D-Mark (rund 30,7 Millionen Euro) verbaut und eine Passage geschaffen, die in den höchsten Tönen gelobt wurde. „Eines der attraktivsten Shopping-Center, das dank seines hervorragenden Standortes und der guten Erschließung durch den öffentlichen Nahverkehr zu einem neuen Anziehungspunkt in der City werden dürfte“, jubelte das Abendblatt und schwärmte vom „völlig neuen Shopping-Gefühl“.
Damals boten Geschäfte auf drei Ebenen, was der Zeitgeist begehrte: Mode, Juwelen, Indianerketten und Pelze „für Leute von 15 bis 99“. Und „eine richtige Bierschwemme: ,To’n Klönschnack‘ soll das Lokal heißen, und zum Bier soll es auch einen Klaren geben“, freute sich die Presse. Zeitgenossen verglichen den Bau mit der berühmten Passage Jouffroy in Paris. Die Einkaufsmeile auf dem Boulevard Montmartre blieb bis heute ein Touristenmagnet, am Gänsemarkt sieht es anders aus: Gleich mehrere Geschäfte stehen leer.
König Friedrich VIII. starb am Gänsemarkt
Der Gänsemarkt schwankt seit Jahrzehnten zwischen seiner ruhmreichen Geschichten und der nüchternen Gegenwart, zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen dem Möglichen und dem Erreichten. Kein Platz in Hamburg – vielleicht abgesehen vom Burchardplatz – ist großstädtischer, keiner blickt auf eine bewegtere Geschichte.
Es war am Gänsemarkt, wo am 14. Mai 1912 ein elegant gekleideter Mann tot zusammenbrach: Der Mann war der dänische König Friedrich VIII., der offenbar in einem Edelbordell in der Schwiegerstraße einen Herzanfall erlitten hatte.
Ufa eröffnete neuen Filmpalast
Und es war am Gänsemarkt, wo die Ufa 1929 das damals größte Kino Europas errichtete. Die Zeitungen schwärmten von „einem märchenhaften Palast“ und feierten das „schönste Theater der Welt“. Das Kino war Teil des Deutschlandhauses der Architekten Fritz Block und Ernst Hochfeld, das inzwischen abgerissen worden ist. An derselben Stelle entsteht nun nach dem Entwurf von Hadi Teherani ein Neubau, der einen 35 Meter hohen Innenhof mit Glasdach und mehrere 20 Meter hohe Palmen an „umlaufenden Wasserbecken“ bekommen wird.
Die Fassade aus rotem Backstein und mit horizontalen Fensterfronten ist dem alten Deutschlandhaus nachempfunden. Und es war am Gänsemarkt, nur ein paar Meter entfernt, wo im Februar 1958 die Ufa ihren neuen Filmpalast eröffnete – mit der Schauspielerin Romy Schneider und der Premiere der Komödie „Scampolo“.
Das Areal liegt in einem Dornröschenschlaf
Und es war am Gänsemarkt, wo ein legendäres Viertel der Subkultur mit schettrigen Seemannskneipen in abrissreifen Altbauten einst die Nachtjacken anzog. Der Hamburger Schriftsteller Hubert Fichte hat der Kellerkneipe Palette in seinem gleichnamigen Roman ein Denkmal gesetzt. Der Platz der Nachkriegszeit war ein Verkehrsknotenpunkt, über den Straßenbahnen ratterten, auf dem Autos fuhren und Menschen hasteten.
Heute fehlt vieles, vor allem das Nachtleben – auch das dritte Kino am Platze, ein UFA-Multiplex, hat längst geschlossen, mit ihm gingen das McDonalds-Schnellrestaurant und die Jugend. Zurück blieb eine städtebauliche Schönheit, die aus ihrem Dornröschenschlaf wachgeküsst werden muss. So zählt die Finanzbehörde von Fritz Schumacher zu den ganz großen Bauten der Stadt – trotzdem wäre sie nach dem Krieg fast dem Wirtschaftswunder zum Opfer gefallen. Heute treffen sich im Souterrain die Angestellten zum Drink in Meyer Landskys Cocktailbar.
„Die Situation hat sich verbessert"
Auch als Einkaufsmeile hat der Platz durchaus Potenzial. Iris Friese, langjährige Leiterin des Modegeschäftes Thomas-i-Punkt am Gänsemarkt, sieht Verbesserungen: „Die Situation hat sich nach dem Umbau durch neue Bäume und großzügige Bänke verbessert, es gibt mehr Möglichkeiten zu verweilen.“ Die neue Außengastronomie belebe den Platz. Ihre ältere Schwester Alexandra erinnert sich noch gut an 1973, als ihr Vater Thomas dort sein Modegeschäft eröffnete und sie als kleines Mädchen oft mitnahm.
Zunächst offerierte er dort Kollektionen aufstrebender Marken wie Armani und Versace, später setzte Friese auf individuellere Mode. Er begann, eigene Kollektionen zu entwerfen und ließ sie in Nähereien in der Schützenstraße und der Eimsbütteler Straße fertigen. Bald galt das Geschäft als Heimstatt der Architektenmode mit perfekter Verarbeitung und hochwertigen Stoffen.
Thomas-i-Punkt: Nachhaltigkeit und Regionalität
Thomas-i-Punkt war schon nachhaltig, als keiner das Wort überhaupt kannte. „Wir haben Fertigungsbetriebe eröffnet, als andere schlossen“, erinnert sich Alexandra Friese. Und sagt: „Heute kommen 95 Prozent der Eigenproduktion Omen aus unserer Strickerei in Rothenburgsort.“ Dort beschäftigt das Unternehmen 30 Menschen, die nähen, färben, stricken.
„Es war unsere bewusste Entscheidung, dort zu fertigen, wo wir die Menschen schnell erreichen können. Schließlich besprechen wir jede Naht.“ Erst während des Lockdowns hat Thomas-i-Punkt seinen ersten Onlineauftritt eröffnet. „Wir glauben an das Einkaufserlebnis und gute Beratung.“
„Man merkt, dass die Kunden langsam zurückkommen“
Die gibt es beim Bummel reichlich, am Gänsemarkt und drumherum gibt es das Edle, Wahre und Schöne – oft auch nicht ganz Günstige. Wer ein wenig in den Straßen rund um den Platz schlendert, findet individuelle inhabergeführte Geschäfte in der ABC-Straße, der Neuen ABC-Straße oder den Hohen Bleichen. Mode- und Schuhgeschäfte wie Schoenbach oder Kennel und Schwenger, exquisite Läden für Einrichtungsaccessoires wie Torquato, Tischkulturanbieter wie Dibbern. Und natürlich den Gourmettempel Oschätzchen.
„Man merkt, dass die Kunden langsam zurückkommen“, sagt Geschäftsführer Peter Oschätzchen zur aktuellen Lage. Die Kunden seien treu geblieben. „Noch fehlen natürlich die Touristen, aber insgesamt sind wir zufrieden und sehen dem Herbst– und Weihnachtsgeschäft freudig entgegen.“ Wie so viele beklagt er aber die Fülle der Baustellen in der Innenstadt, die es den Kunden mitunter schwer machen.
Kultureinrichtungen und Gastronomie fehlen
Er wünscht sich eine bessere Straßenführung rund um den Gänsemarkt. „Ortsunkundige haben manchmal Schwierigkeiten, den Weg ins Viertel zu finden.“ Manchmal brächen Besucher aus Unkenntnis wegen der neuen Straßenführung die Verkehrsregeln. „Für unser Viertel ist es keine angenehme Situation, bedingt durch die Verkehrsführung abgekoppelt zu werden“, sagt Oschätzchen.
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Wünsche an die Stadt formulieren auch die Macher von Thomas-i-Punkt: „Wir benötigen mehr inhabergeführte Betriebe mit individuellem Angebot statt immergleichen Ketten“, sagt Iris Friese. Ihr fehlen auch Kultureinrichtungen wie früher das Kino und exklusive Gastronomie. Ein weiteres Problem am Platze sei, dass durch den Leerstand in der Gerhofstraße der Gänsemarkt abgekapselt wirkt, als sei die Innenstadt dort zu Ende. Auf ihrer Wunschliste stehen zudem eine weitere Begrünung, ein „atmosphärischer Weihnachtsmarkt“, mehr Kulturveranstaltungen sowie kluge Zwischennutzungen im Falle von Leerstand.
Gänsemarkt: Chance für den Neustart
Große Hoffnungen ruhen auch auf der Zukunft: Mit dem neuen Deutschlandhaus und den Höfen anstelle der Gänsemarkt Passage ergibt sich die Chance für einen Neustart des legendären Platzes: Oberbaudirektor Franz-Josef Höing bezeichnete das geplante Signa-Ensemble als „großstädtisch“: „Schöne, offene Höfe und ein vielfältiger Mix an Nutzungen, das Wohnen eingeschlossen, kann eine neue Lebendigkeit an diesem wichtigen Ort der Hamburger Innenstadt entstehen lassen.“
Der Gänsemarkt hätte es verdient.