Vor 50 Jahren begann die Städtebauförderung in der Hansestadt – und schützte Altbauquartiere vor brachialen Neubau-Plänen.

Stellen wir uns die Stadt einmal ganz anders vor – so wie sie werden sollte, ein mons­tröses Metropolis: Denken wir uns ein Ottensen, das an die City Nord erinnert: Dort würde heute eine Bürostadt in der Landschaft herumstehen, ungeliebte 70er-Klötze in den Himmel ragen; dort, wo im quirligen Viertel das Leben in Straßencafés pulsiert, würden vierspurige Autobahnzubringer zur A 7 streben. Oder begeben wir uns ins Karoviertel: Anstelle der Altbauten mit dem alternativen Flair rund um die Markstraße würden wir durch Messehallen schlendern. Schauen wir in der Neustadt vorbei – rund um den Großneumarkt fänden wir keinen belebten Platz, sondern die Großdruckerei des Axel Springer Verlags. Reisen wir nach St. Georg – wir würden das Viertel nicht wiedererkennen. Die Neue Heimat wollte den ganzen Stadtteil unter einem Superbau mit fünf Wolkenkratzern begraben: Dieses sogenannte Alsterzen­trum sollte Platz für 20.000 Bewohner bieten, für Büros, Einzelhandel und Freizeitangebote, mit 6.500 Parkplätzen und einem Tunnel unter der Außenalster inklusive.

Was heute wie eine apokalyptische Stadtplanung klingt, galt vor fünf Jahrzehnten als städtebauliche Moderne. Damals glaubten viele an die gegliederte und aufgelockerte Stadt, die zudem autogerecht sein musste. Allerdings kam ihr am 19. Juni 1971 ein Gesetz in die Quere: Die Bund-Länder-Städtebauförderung. „Damit begann auch in Hamburg die Erfolgsgeschichte der Sanierung innerstädtischer Altbauquartiere“, sagt Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeld. Mit Stadtrundgängen und einer Ausstellung will ihre Behörde das Jubiläum feiern (siehe Kasten).

Ohne Städtebauförderung hätte Hamburg sein Gesicht verändert

Peter Michelis arbeitete 20 Jahre in der Hamburger Baubehörde und brachte die Städtebauförderung voran. Auch Ottensen, hier die Helmholtzstraße, drohte der Abriss.
Peter Michelis arbeitete 20 Jahre in der Hamburger Baubehörde und brachte die Städtebauförderung voran. Auch Ottensen, hier die Helmholtzstraße, drohte der Abriss. © Michael Rauhe

Peter Michelis war damals Mitarbeiter der Baubehörde – und erinnert sich. „Ohne die Städtebauförderung hätte Hamburg eine Katastrophe erlebt“, sagt der heutige Vorsitzender der Gustav Oelsner Gesellschaft. „Man muss die Situation vor 50 Jahren aus der Zeit heraus verstehen.“ Die Altbauquartiere aus der Gründerzeit, egal ob auf St. Pauli, St. Georg oder Ottensen, befanden sich in einem erbärmlichen Zustand. Die Grundeigentümer hatten in ihre oft kriegsbeschädigten Gebäude kaum noch investiert. Die Altbausubstanz rottete vor sich hin, wer konnte, zog fort. In einem Gutachten, das die Städtebauförderung für St. Pauli erstellte, hieß es 1977: Drei Viertel der Wohnungen sind sanierungsbedürftig, 80 Prozent haben kein Bad, ebenso viele nur eine Ofenheizung.

Michelis erinnert sich an die Lage in St. Georg: „Der Stadtteil war verlassen, vernachlässigt. Es gab eine Lähmung, kein Neubau, keine Sanierung, eine große Traurigkeit lag über dem ganzen Quartier.“

Da bargen die glitzernden Wolkenkuckucksheime, egal ob als Alsterzen­trum, Messeerweiterung oder City West gefeiert, das Versprechen einer besseren Welt. „Damals wurde die Stadt radikal neu gedacht und dramatisch umgestaltet. Man glaubte an die neue Zeit und den Verkehr der neuen Zeit. Es herrschte eine Hemmungslosigkeit“, sagt Michelis. „Das Städtebaufördergesetz hatte den Mut, damit Schluss zu machen und umzudenken. Sonst wäre die City West gekommen“, ist er sich sicher: „Möglicherweise wäre die ganze Silhouette der Stadt zerstört worden. Das damalige Denken scheint uns heute fremd: „Die Kriegsgeneration hatte den Bezug zur eigenen Geschichte und der Baukultur verloren.“

Auf St. Pauli kam es zu Protesten

Mit der Städtebauförderung setzte das Umdenken ein: Fortan ging es nicht mehr um brachiale Flächensanierung mit großflächigem Abriss und Neubau nach dem Geschmack der Zeit, sondern um eine behutsame Sanierung; jedes Grundstück, jedes Haus geriet in den Blick. Am Anfang stand die Analyse, die städtebauliche Missstände erhob, darauf aufbauend wurden Maßnahmen vorgeschlagen und Sanierungsgebiete definiert. Experten erfassten den Altbaubestand und kategorisierten ihn in vier Klassen. Schnell wurde klar, dass viele Wohngebiete erhalten werden konnten.

Wichtig für den Erfolg des Programms war die Beteiligung der Anwohner und Mieter, vor allem aber der Immobilienbesitzer. Michelis erinnert sich, dass die Reaktionen damals sehr unterschiedlich ausfielen – auf St. Georg wurde das Programm positiv aufgenommen, auf St. Pauli hingegen kam es zu Protesten und Hausbesetzungen.

Die Menschen forderten, die Gebäude zu erhalten und bereits leer stehende Wohnungen wieder zu beziehen – sie fürchteten die Verdrängung vom Kiez. Die Proteste fruchteten, am Ende blieben mehr Gebäude erhalten als ursprünglich geplant: Bis 1996 wurden im Sanierungsgebiet St. Pauli Süd nur 37 Prozent der Häuser abgerissen, 40 Prozent aber modernisiert und 20 Prozent instand gesetzt. Ziel war es, die traditionelle Mischung aus Wohnen und Gewerbe zu erhalten. Was manche für unmöglich hielten, gelang in Jahrzehnten. Im Karoviertel lässt sich der Erfolg ebenfalls besichtigen. Dabei wurde die alte Rinderschlachthalle denkmalgerecht saniert und mit Ateliers, Läden, Büros und Kultur Mittelpunkt des Stadtteils.

Städtebauförderung hat sich für Hamburg gerechnet

Die Städtebauförderung, da ist sich Michelis sicher, hat den Flächenabriss verhindert und trug dazu bei, große Straßendurchbrüche zu überdenken. „Das Programm hat die Eigentümer motiviert zu investieren“. Die daraufhin aufgelegten Bebauungspläne haben Vertrauen geschaffen. Zugleich gaben sie den Menschen das Gefühl für Stadt zurück, das mit jedem sanierten Haus, mit jeder instand gesetzten Straße ein wenig mehr erkennbar wurde.

Als das Programm in Kraft trat, waren die Widerstände indes noch groß – auch in der Politik: „Die Finanzbehörde hat eher gebremst. Sie wollte die Gebiete eher klein halten“, erinnert sich Michelis. Die Stadtkämmerer hatte auf hohe Erlöse aus den Grundstücksverkäufen gehofft, die sich nun zerschlugen. „Es war ein ständiger Kampf, sie wollten die Gebiete klein halten.“ Erst im Laufe der Zeit wurden die positiven Folgen sichtbar. „Zudem erleichterte die Umsetzung, dass sich der Bund zu einem Drittel an den Kosten beteiligt hat.“

Im Nachhinein hat sich das Programm für die Stadt gerechnet. Martin Brinkmann, geschäftsführender Gesellschafter der Stadtentwicklungsgesellschaft STEG, rechnet vor: „In der Regel löst ein Euro Fördergeld der öffentlichen Hand zwischen vier und zehn Euro private Investitionen aus.“ Der Weiterverkauf der Grundstücke und Häuser habe sich gelohnt, hinzu kämen wachsende Steuereinnahmen aus den ehemals heruntergekommenen Quartieren. Brinkmann sieht die Stärke des Programms in der „Kombination aus Anwendung des besonderen Städtebaurechts in Sanierungsgebieten und dem Einsatz eines von einem Sanierungsträger betreuten Treuhandvermögen an Wohn- und Gewerbegebäuden“.

Damals moderne Stadtteile sind sanierungsbedürftig

So konnten in Hamburg große Erfolge erzielt werden. „Ob Karo- oder Schanzenviertel, Ottensen oder St. Georg, das Zentrum von Wilhelmsburg, das Phönixviertel oder zuletzt die Große Bergstraße – sie hätten eine andere, wahrscheinlich investorengetriebene Entwicklung genommen“, sagt Brinkmann. „Das Städtebauförderungsgesetz hat immer Raum für innovative Ansätze geboten und damit eine gewisse Experimentierfreude gefördert – war also das Gegenteil von Verwaltungshandeln.“

Michelis war zwei Jahrzehnte, bis 1990, als Mitarbeiter der Baubehörde Teil des Programms – zwei Jahrzehnte, in denen insgesamt 30 Gebiete entwickelt wurden und viele später aus der Sanierung entlassen werden konnten. Was im Kleinen begann, hat Deutschland geprägt – und das Land lebenswerter gemacht. Bis 1990 flossen bundesweit rund 14 Milliarden Euro. Zugleich hat sich die Städtebauförderung kontinuierlich weiterentwickelt – heute bis hin zur Inte­grierten Stadtteilentwicklung.

Mit der Städtebauförderung wurde erst mal genau untersucht, welche Häuser und Straßenzüge saniert werden können.
Mit der Städtebauförderung wurde erst mal genau untersucht, welche Häuser und Straßenzüge saniert werden können. © BSW/WSB

Mit der Wiedervereinigung wechselte der Fokus der Bund-Länder-Städtebauförderung auf den Osten. Vier Jahrzehnte Sozialismus hatten die Städte verheert, nun ging es um die Sanierung der verfallenen Altbauten und Ortskerne. Hamburg musste sich bescheiden und verteilte die Fördermittel fortan anders – stärker auf soziale Fragen als zen­trale Herausforderung der Stadtteilentwicklung ausgerichtet. Nun gerieten eher arme Stadtteile in den Blick wie Dulsberg oder die Großwohnsiedlungen, die dringend eine Unterstützung benötigten. Inzwischen, welche Ironie des Schicksals, gibt es Sanierungsprogramme für Stadtteile, die vor 50 Jahren gerade erst entstanden und als modern galten, wie etwa die Große Bergstraße.

In den 50 Jahren wurden über das Programm rund 120 Quartiere entwickelt, viele gute Beispiele der sozialen Stadterneuerung lassen sich in der Hansestadt finden: Zuletzt kamen die Gemeinschaftszentren Südelbe, die Horner Freiheit, das Barmbek Basch, der Campus Steilshoop oder der Campus Lurup hinzu. Oftmals arbeiten hier Bezirk, Behörden und Institutionen eng zusammen – etwa Volkshochschule, Bücherhalle oder Schulbehörde. Auch der Erhalt des Gängeviertels wurde über das Gesetz ermöglicht. Den größten politischen Erfolg sieht Brinkmann darin, dass in der Regel alle Parteien in der Bürgerschaft den Wert und Nutzen der Städtebauförderung als Programm für eine sozial gerechte Stadt- und Quartiersentwicklung erkannt und mitgetragen haben.

Bis heute prägt die Städtebauförderung: In vier insgesamt rund eine Milliarde schweren Programmen geht es bundesweit um lebendige Zentren (300 Millionen Euro), den sozialen Zusammenhalt (200 Millionen Euro), Wachstum und nachhaltige Erneuerung (290 Millionen Euro) sowie den Investitionspakt Soziale Integration im Quartier. Hierin liegt eine der Schlüsselfragen für kluge Stadtentwicklung – ihr Erfolg steht und fällt mit der Lebendigkeit der Quartiere.

Hamburg setzt jetzt auf Nachverdichtung

In Hamburg steht heute weniger die Altbausanierung im Mittelpunkt als die Frage, wie etwa in Eidelstedt durch die Nachverdichtung am Hörgensweg die soziale Infrastruktur ausgebaut werden muss, wie sich das Gebiet in Groß Bor­­s­tel entwickeln soll oder wie Großsiedlungen lebenswerter werden. „In Zukunft geht es darum, die Quartiere für die Menschen wichtiger und lebenswerter zu machen“, heißt es in der Behörde. „Öffentliche Räume bekommen eine andere Bedeutung, die Nahversorgung – das wird in allen Gebietsentwicklung Thema.“

Gerade die vergangenen Monate der Pandemie haben gezeigt, dass der Alltag sowie Handel und Wandel zukünftig stärker in den Quartieren stattfinden wird. Wie selbst verloren geglaubte Quartiere wieder auferstehen können, hat die Geschichte der Städtebauförderung eindrucksvoll bewiesen: „Wer heute durch die Lange Reihe schlendert, durch die Wohlwillstraße, die Paul-Roosen-Straße oder das Schulterblatt, wird nicht glauben, wie schrecklich es dort einst aussah, wie schwierig die Debatten in der Behörde und mit den Anwohnern waren. Das ist fast ein Wunder“, sagt Michelis. „Es ist eine große Befriedigung zu sehen, wie schön es heute dort ist.“