Die NSDAP war schon 1931 zweitstärkste Kraft in der Hamburger Bürgerschaft, Adolf Hitler wurde 1933 Ehrenbürger der Stadt.

Wenn man Hamburgerinnen und Hamburger heutzutage fragt, welche Eigenschaft ihre Stadt so besonders macht, fallen meist Stichwörter wie „weltoffen“ oder „vielfältig“. Hamburg ist bekannt für sein „schrilles“ Wesen in vielen Teilen der Stadt, für seinen Hafen als „Tor zur Welt“ und für die unterschiedlichsten Menschen, die in der Hansestadt ihr Zuhause gefunden haben.

In Hamburg kann man sein, wie man möchte; welche Herkunft jemand hat, wie man aussieht oder wen man liebt – all das spielt an Alster, Elbe oder Bille keine große Rolle.

Hamburg ist stolz auf seine Weltoffenheit – doch das war nicht immer so

Auch in der Hamburger Landespolitik lässt sich der Drang nach der Kombination aus Freiheit und Gemeinschaft seit Jahrzehnten erkennen: Seit den Bürgerschaftswahlen im Jahr 1946 dominieren demokratische Parteien deutlich die politische Landschaft. Platz für Hetze gegen die Demokratie, den Rechtsstaat oder die Freiheiten eines jeden Einzelnen bleibt kaum übrig – Parteien, deren Gedankengut nicht auf der Grundlage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung basiert, finden in der Regel keinen nachhaltigen Anklang bei den Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft.

G und H Plakat
G und H Plakat © nn | NN

Doch das war nicht immer so, denn genau hier in Hamburg sorgten Ausgrenzung und Fremdenhass für erschreckend viel Begeisterung – vor fast genau 90 Jahren. All das geschah in einer Stadt, in der Festivals wie die „altonale“ heute erfolgreich für kulturelle Vielfalt werben oder der Hamburger Senat erst im Frühjahr diesen Jahres in Stefan Hensel einen neuen Antisemitismusbeauftragten gefunden hat, der selbst betont: „Die Prävention von Antisemitismus ist ein Grundpfeiler für unser friedliches Zusammenleben.“

NSDAP: Von 2,2 auf 26,2 Prozent der Stimmen – in nur drei Jahren

Am 27. September 1931, zu Zeiten der Weimarer Republik, fand in Hamburg die Wahl zur 6. Bürgerschaft statt. Was damals noch niemand wusste: Das Ergebnis dieser Wahl beinhaltete bereits eine böse Vorahnung auf das, was Deutschland und damit der gesamten Welt noch bevorstehen würde – den rasanten Aufstieg Adolf Hitlers und seiner NSDAP.

An diesem Tag wurden die Nationalsozialisten mit einem Stimmenanteil von 26,2 Prozent zur zweitstärksten Kraft in die Bürgerschaft gewählt – obwohl sie drei Jahre zuvor, im Jahr 1928, nur 2,2 Prozent der Stimmen für sich gewinnen konnten.

Zwar blieb die SPD, die stets die Vormachtstellung in der Hansestadt einnahm, mit 27,8 Prozent aller Stimmen noch hauchdünn vor der NSDAP stärkste Partei. Die Nazis waren aber der eigentliche Wahlsieger – so ein hohes Ergebnis wie in Hamburg als Land mit der höchsten Bevölkerungsdichte in der Weimarer Republik war der NSDAP bisher nur vier Monate zuvor in Oldenburg und Schaumburg-Lippe gelungen.

Bis 1933 konnte die NSDAP ihre Position weiter ausbauen

In den darauffolgenden zwei Jahren konnten die Nazis solche Wahlergebnisse sogar noch deutlich verbessern – und waren bis zur Machtergreifung 1933 im Reichstag und in der Hamburger Bürgerschaft die am stärksten vertretene Partei. Doch wie konnte es so weit kommen? Und warum war Hamburg eine der ersten „braunen Bastionen“ im Reich?

Blick auf den Hamburger Hafen
Blick auf den Hamburger Hafen © picture alliance / Heritage Images | The Print Collector

Weshalb die Menschen zu Beginn der 1930er-Jahre solch eine Begeisterung für Hitler und seine Ideen entwickelten, könnte verschiedene Ursachen gehabt haben. Der Historiker Reinhard Sturm verbindet aber unter anderem die Weltwirtschaftskrise 1929 mit den Wahlerfolgen der Nazis: „Sie hat die Errichtung der NS-Diktatur 1933 keineswegs verursacht, aber doch mit ermöglicht und beschleunigt.“

Die Weltwirtschaftskrise – ein Teufelskreis

Die Krise, die in den USA an der New Yorker Börse ihren Ursprung nahm, weitete sich durch die bereits damals vorhandenen engen Verbindungen zwischen den nationalen Volkswirtschaften in der Welt schnell aus – das Deutsche Reich war hiervon mit am stärksten betroffen, und somit auch Hamburg. Ein Jahr später waren bereits 100.000 Bürgerinnen und Bürger der Hansestadt arbeitslos, womit sich die Zahl gegenüber 1928 verdoppelte. „Es entstand ein Teufelskreis aus sich verringernder Kaufkraft, zurückgehender Nachfrage, sinkender Produktion und weiteren Entlassungen“, so Sturm.

Dazu kam der verzweifelte Versuch der Regierung unter Reichskanzler Heinrich Brüning, niedrigere Löhne für die noch arbeitende Bevölkerung mit gleichzeitig höheren Steuersätzen einzusetzen, um so die ökonomische Krise auszugleichen. Funktioniert hatte diese Strategie damals nicht – die Arbeitslosenzahl stieg an und somit auch der Frust in der Bevölkerung.

Wie das rote Hamburg plötzlich braun wurde

Dieses Elend wusste die NSDAP in Hamburg für sich zu nutzen. Seit Jahrzehnten war die Stadt ein wichtiger Wirtschaftsstandort für das Deutsche Reich: Der Hamburger Hafen, die vielen Arbeitskräfte sowie der andauernde technische und logistische Fortschritt machten die Hansestadt zu einem wichtigen politischen Ziel für die Nazis.

Wahlwerbung der KPD in Hamburg in den 1930er-Jahren.
Wahlwerbung der KPD in Hamburg in den 1930er-Jahren. © Archiv | NN

Als die Weltwirtschaftskrise Deutschlands Norden erreichte und sich die Lage für die Bevölkerung über Jahre hinweg verschlechterte, versprachen Hitler und seine Partei eine Rückkehr des Wohlstands, der Beschäftigung und bessere Löhne. Das kam besonders bei der Arbeiterschaft gut an – was der SPD und der KPD unter Ernst Thälmann Stimmen kostete.

„Nicht nur die städtischen Arbeiter wollte man gewinnen, sondern man versuchte nun vor allem Zustimmung unter den städtischen Mittelschichten sowie den bäuerlichen Besitzklassen zu finden – und das mit einigem Erfolg, auch weil diese Schichten die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise besonders zu spüren bekamen“, schreibt Historiker Hans-Ulrich Thamer. Hamburg färbte sich somit langsam „braun“, obwohl es lange „rot“ gewesen war.

Hitler war in Hamburg schon vor der Machtergreifung populär

Dazu kam die extrem große Popularität Hitlers. Er selbst besuchte die Stadt schon vor 1933 mehrere Male und begeisterte die Menschen mit seiner Rhetorik und seiner Kritik an dem Weimarer System – schon 1933 ernannte man ihn zum Ehrenbürger. Nur die für die NSDAP noch relevanteren Städte Berlin, München und Nürnberg besuchte Hitler öfter.

Die Wissenschaft kann keine hundertprozentige Auskunft darüber geben, warum gerade in Hamburg die Begeisterung für die Nationalsozialisten so früh so groß war.

Fest steht historisch aber: Die Ereignisse vor bald 90 Jahren sollten eine Lehre für Hamburger und andere ­Deutsche sein. Wann immer große Herausforderungen für eine Gesellschaft absehbar sind, besteht auch in Demokratien die Gefahr, dass Hetze und Populismus den Diskurs bestimmen. Wenige Tage vor der Bundestagswahl sollte deshalb keiner vergessen, dass Freiheit und Gleichheit durchaus zerbrechlich sein können.