Hamburg. Unter den Hunderten Trauergästen ist auch Bürgermeister Tschentscher, der das lebenslange Engagement der KZ-Überlebenden würdigt.
Es ist nach dem jüdischen Kalender der neunte Tag des Monats Aw, als die Hamburger Polizei die Ihlandkoppel absperrt. Noch eine Stunde wird es dauern, dann werden hier immer mehr Menschen eintreffen, um eine Trauerfeier auf dem Jüdischen Friedhof zu besuchen. Sie wollen Abschied von der KZ-Überlebenden und Antifaschistin Esther Bejarano nehmen. Die Jüdin war am 10. Juli im Alter von 96 Jahren in Hamburg gestorben.
Am Sonntag, gegen 13 Uhr, sinkt nicht weit von einer Birke neben dem Grab ihres Mannes Nissim der Sarg mit ihrem Leichnam in die Erde. Esther Bejaranos Familie trauert mit zahlreichen Freunden, Weggefährten, Mitstreitern und Politikern, darunter Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit, Bürgermeister Peter Tschentscher und die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (alle SPD). Doch zugleich geht vom Jüdischen Friedhof ein Signal aus: Der Kampf gegen Rechts, gegen Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit geht weiter – ganz im Sinne der Verstorbenen.
Esther Bejarano engagierte sich bis zuletzt gegen Rechtsextremismus
Esther Bejarano wurde 1924 in Saarlouis geboren, kam als Jüdin Anfang 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz. Dort überlebte sie nur, weil sie im Mädchenorchester des Lagers Akkordeon spielte. Nach Kriegsende ging sie zunächst nach Israel, kehrte aber 1960 nach Deutschland zurück. Seitdem lebte sie in Hamburg. Bejanaro gründete das Auschwitz-Komitee, gehörte der DKP an und engagierte sich bis zuletzt gegen Rechtsextremismus und Rassismus – auch als Musikerin.
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Landesrabbiner Shlomo Bistritzky tritt in der neogotischen Trauerhalle an das Rednerpult. Rechts neben ihm der Sarg, davor blumengeschmückte Kränze mit letzten Grüßen der „Omas gegen Rechts“, der „Jungen Welt“ und ihrer Heimatstadt Saarlouis. Der Landesrabbiner betet einen Vers aus dem Buch Hiob. „Der Ewige hat’s gegeben, der Ewige hat’s genommen, der Name des Ewigen sei gelobt.“
Tschentscher über Bejarano: "Sie war ein großes Geschenk für Hamburg"
30 Trauergäste sind in der Halle, gut 200 auf dem Außengelände des Friedhofs versammelt, um der Zeremonie zu folgen. In einer kurzen Ansprache würdigt Peter Tschentscher ihr „außergewöhnliches Engagement“, das über viele Jahrzehnte wichtige Impulse für die Demokratie, Erinnerungskultur und Gleichberechtigung in Deutschland gegeben habe. Er spricht den Angehörigen sein Beileid aus. „Hamburg trauert mit Ihnen.“ Esther Bejarano sei ein „großes Geschenk“ für die Stadt gewesen, Hamburg verliere eine große Bürgerin.
Bürgerschaftspräsidentin Veit betont anlässlich der Trauerfeier, dass sie als KZ-Überlebende wichtigste Aufklärungsarbeit an Schulen und Universitäten geleistet habe.
Landesrabbiner Bistritzky: Bejarano war ein "Symbol, eine Ikone"
Dann spricht auf Wunsch der Verstorbenen der Schauspieler Rolf Becker. Ganz in schwarz gekleidet, mit schwarzem Hut, ringt er immer wieder mit den Tränen. Mit bewegenden Worten verknüpft er biografische Erlebnisse mit Texten und öffentlichen Statements der Antifaschistin und Kommunistin. „Esther wollte immer einen beschützenden Bruder haben. Sie hat mich ausgesucht“, sagt Rolf Becker. 30 Jahre lang habe die Freundschaft gewährt. „Weiche nicht“ - von diesem Wort des Propheten Jesaja habe sich Esther leiten lassen. Noch im Frühjahr dieses Jahres habe sie vor den neofaschistischen Netzwerken in der Bundesrepublik gewarnt und gefordert, dass der 8. Mai, der Tag der Befreiung, staatlicher Feiertag werden müsse.
Im Rollstuhl sitzend ergreift dann ihre Freundin Peggy Parnass das Wort, wendet sich an Esther Bejaranos beide Kinder und an alle Mitstreiter: „Wir haben eine Genossin verloren.“ Am Ende würdigt Landesrabbiner Bistritzky die Überlebende der Shoa mit den Worten, ihr hohes Lebensalter sei ihre Rache an die Nazis. Esther Bejarano sei zu einem „Symbol, zu einer Ikone“ geworden.
Es ist ganz still, als der Sarg aus der Trauerhalle getragen wird
Schließlich wird der Sarg aus der Trauerhalle getragen. Die Trauergemeinde schreitet langsam unter dem grünen Blätterdach einer Lindenallee auf dem Jüdischen Friedhof entlang. Es ist ganz still, nicht einmal ein Vogel singt. Die ältesten Gräber stammen aus der Entstehungszeit des Friedhofs im Jahr 1883. Bestattet sind hier unter anderem einst einflussreiche jüdische Bankiers und Industrielle.
Ein Grabstein erinnert an Betty Heine (1771-1859), die Mutter Heinrich Heines. Das poetische Werk ihres Sohnes schätzte Esther Bejarano ganz besonders. Neben der Trauerhalle befindet sich eine Gedenkstätte für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Eine frei stehende Urne mit Asche aus dem Vernichtungslager Auschwitz erinnert an die sechs Millionen Juden, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden.
Esther Bejaranos Vermächtnis: Das Lied "Wir leben ewig/Mir lebn ejbig"
Unter den Trauergästen ist auch der Gewerkschafter Wolfgang Rose. „,Wir leben ewig/Mir Lebn Ejbig´ – dieses Lied von Esther Bejarano ist ihr Vermächtnis“, sagt er am Rande der Veranstaltung. Hannes Heer ist ebenfalls Trauergast.
Der bekannte Historiker sagt gegenüber dem Abendblatt, es sei empörend, dass Esther Bejarano aufgrund ihrer DKP-Mitgliedschaft nicht zur Hamburger Ehrenbürgerin ernannt wurde. Auf Abendblatt-Anfrage heißt es aus der Senatskanzlei, es stehe derzeit noch kein Termin dafür fest, wann eine Straße oder ein Platz nach Bejarano benannt werde.