Hamburg. Die Holocaust-Überlebende, die mit 96 Jahren gestorben ist, setzte sich bis zuletzt gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus ein.

Esther Bejaranos letzte öffentliche Äußerung liegt gerade einmal dreieinhalb Wochen zurück – und sie war kraftvoll und politisch klar wie immer. Als Vorsitzende des Auschwitz-Komitees protestierte Bejarano dagegen, dass der Öl- und Gasproduzent Winter­shall Dea in den Neubau am Lohsepark in der HafenCity einziehen soll, in dem auch das Dokumentationszentrum Hannoverscher Bahnhof geplant ist.

Der Gedenkort soll an die Verschleppung von Juden, Sinti und Roma sowie weiterer politischer Verfolgter erinnern. Viele Opfer der Nationalsozialisten wurden über den einst in unmittelbarer Nähe liegenden Hannoverschen Bahnhof in Konzentrationslager deportiert. Wintershall Dea war Teil der Aufrüstungs- und Kriegsführungspolitik des NS-Regimes und beteiligte sich an der Ausplünderung der okkupierten Staaten.

Holocaust-Überlebende Bejarano verstorben

Für Bejarano, die als Jüdin die Konzen­trationslager Auschwitz und Ravensbrück überlebt hatte, war das selbstverständlich nicht die richtige Hausgemeinschaft. „Das ist eine Zumutung für die Überlebenden und ihre Angehörigen und eine Missachtung der Millionen Ermordeten: kein Gedenkort unter einem Dach mit einem Konzern mit dieser NS-Vergangenheit! Wir können und werden uns nicht damit abfinden“, sagte Bejarano.

Am vergangenen Sonnabend ist die Frau, die dem Mädchenorchester von Auschwitz als Akkordeonspielerin angehörte und in Groß Borstel lebte, nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von 96 Jahren gestorben. Ihr Tod löste eine bundesweite Anteilnahme aus.

Esther Bejarano lebte seit 1960 in Hamburg

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Außenminister Heiko Maaß würdigten den jahrzehntelangen Einsatz Bejaranos, die als Zeitzeugin die Erinnerung an die Gräueltaten der Nazis wachhielt und vor allem junge Menschen unter anderem in zahlreichen Schulbesuchen vor den Gefahren des Rechtsex­tremismus und Antisemitismus warnte. Bejarano stand auch als Musikerin bis vor wenigen Jahren auf der Bühne und hat zum Beispiel, die Generationen souverän überspringend, mit den Rappern Microphone Mafia Konzerte gegeben.

Seit 1960 lebte Bejarano in Hamburg – also die mit Abstand längste Zeit ihres langen Lebens. Die besondere Verpflichtung der Stadt gegenüber einer ihrer wichtigsten Zeitzeuginnen des Holocausts war auch in den Reaktionen auf ihren Tod zu spüren.

Peter Tschentscher erinnerte an Bejarano

„Hamburg verliert eine außergewöhnliche Bürgerin, die sich bis ins hohe Alter für das Gemeinwohl engagierte“, sagte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und erinnerte daran, dass der Senat Bejarano 2020 mit der Ehrengedenkmünze in Gold und 1994 mit der Biermann-Ratjen-Medaille ausgezeichnet hatte.

Doch manchen ging die Anerkennung und Würdigung der Lebensleistung Bejaranos nicht weit genug. „Es ist eine Schande, dass wir, die Hamburger Sozialdemokratie, es nicht über das Herz gebracht haben, Esther Bejarano zur Ehrenbürgerin Hamburgs zu machen“, sagte der frühere SPD-Landesvorsitzende Mathias Petersen. Er habe, so der Bürgerschaftsabgeordnete, bereits 2012 den damaligen Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) wie auch Tschentscher unmittelbar nach dessen Wahl zum Ersten Bürgermeister 2018 auf das Thema angesprochen.

Hamburger Senat will sich nicht äußern

„Sie haben nie Nein gesagt, aber auch nicht Ja“, sagt Petersen. Und noch im Mai dieses Jahres, als es in der SPD-Fraktion um die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Udo Lindenberg gegangen sei, habe er seinen Vorschlag erneut vorgetragen.

Offen mag sich niemand im Senat dazu äußern. Aber hinter vorgehaltener Hand kommt der Hinweis auf Bejaranos Aktivität bei der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), deren Ehrenvorsitzende sie war, und ihre Mitgliedschaft in der DKP. Der Hamburger Landesverband hatte sie als Bundestagskandidatin für die Wahl 2017 vorgeschlagen. Bejarano sagte zunächst zu, letztlich aber aus gesundheitlichen Grünen ab.

Zuwendung von Senat an VVN-BdA

Die VVN-BdA ist seit 1950 Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes und gilt heute als linksextremistisch wegen ihrer ideologischen Nähe zur DKP und des Ansatzes der „offenen Bündnisarbeit“, die laut Verfassungsschutz gemeinsame Aktionen mit gewaltbereiten autonomen Gruppen einschließt. Allerdings: Die VVN-BdA wird seit 2013 vom Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz laut Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion „nur noch nachrangig beobachtet“.

Bald darauf, im Jahr 2015, erhielt die Vereinigung von der Stadt sogar Geld: Laut Senatsantwort auf eine weitere AfD-Anfrage sollte die Zuwendung in Höhe von 5000 Euro der „Förderung demokratischer Kultur, Vorbeugung und Bekämpfung von Rechtsextremismus“ dienen. Konkret ging es um die Durchführung eines „breit angelegten Bündnisfestes“ im Rahmen des 70. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus am 9. Mai 2015.

Hamburger Senat versagte Bejarano Ehrung

Ganz so schlimm scheint es also um die verfassungsfeindlichen Bestrebungen des VVN-BdA nicht bestellt gewesen zu sein. Im Ergebnis jedenfalls hat der Senat Esther Bejarano dennoch die höchste Auszeichnung, die die Stadt vergibt, die Ehrenbürgerwürde, versagt. Andere hatten weniger Bedenken: Saarlouis, wo Bejarano 1924 zur Welt kam, verlieh ihr 2014 das Ehrenbürgerrecht.

SPD-geführte Senate waren andererseits bisweilen nicht zimperlich, wenn es darum ging, auch umstrittenen Politikern die Ehrenbürgerwürde zu verleihen. Die härteste Auseinandersetzung gab es 1986 um die Auszeichnung für Herbert Wehner, den langjährigen SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, der in den 20er- und 30er-Jahren einflussreiches Mitglied der KPD war.

Heftiger Streit in Hamburger CDU

Der damalige CDU-Landesvorsitzende Jürgen Echternach wetterte, die Ehrenbürgerschaft sei ein „sozialdemokratischer Selbstbedienungsladen für altverdiente Genossen“, und nannte die geplante Auszeichnung einen „Skandal“. Wehner habe „Andersdenkende oft genug in übler Weise beschimpft“ und „nichts anderes getan … als einen Hamburger Wahlkreis in Bonn zu vertreten“.

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Der damalige SPD-Landesvorsitzende und spätere Bürgermeister Ortwin Runde hielt dagegen, Echternach wolle offenbar „lieber Schleimer, Leute ohne Ecken und Kanten“ als Hamburger Ehrenbürger. In der CDU wurde über das Thema heftig gestritten, nicht alle waren Echternachs Meinung. Es ging auch um Wehners kommunistische Vergangenheit. Letztlich fiel die Abstimmung über die Verleihung der Ehrenbürgerwürde in der Bürgerschaft einstimmig aus.

Nachträgliche Verleihung unpassend

Der Versuch von Teilen der CDU, Wehner die Ehrenbürgerwürde 2004 posthum abzuerkennen, wurde vom damaligen CDU-Landeschef Dirk Fischer vereitelt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren die Archive für Historiker zugänglich. Wehners Rolle im Moskauer Exil während der Nazi-Zeit erschien in neuem, negativerem Licht.

Mit Blick auf die Ehrenbürgerschaft Esther Bejaranos hätte dem rot-grünen Senat vonseiten der CDU-Opposition wohl kein Ungemach gedroht. CDU-Landeschef Christoph Ploß und Fraktionschef Dennis Thering würdigten die Lebensleistung Bejaranos umfassend. Eine nachträgliche Verleihung, die in dieser Woche auch vorgeschlagen wurde, passt kaum zum Charakter der Ehrenbürgerwürde, bei der es nach heutigem Verständnis nicht zuletzt auch um den aktiven Einsatz der so Ausgezeichneten für die Stadt geht.

Ort in Hamburg soll Esther Bejarano würdigen

So haben sich die demokratischen Kräfte in der Bürgerschaft vorgenommen, einen geeigneten Ort – ob Straße, Platz oder Schule – nach Esther Bejarano zu benennen. Warum nicht den Lohsepark in direkter Nachbarschaft zum geplanten Dokumentationszentrum, mit dem der Verschleppung der Juden und Roma und Sinti durch die Nationalsozialisten gedacht werden soll und dem Esther Bejaranos letztes Engagement galt?