Hamburg. Senat bleibt aus Sorge vor Delta-Variante bei strengen Regeln für Ausgehviertel. Aber Wirte sehen sich ignoriert und benachteiligt.

Der Streit zwischen Gas­tronomen in den Hamburger Ausgehvierteln und dem Senat schaukelt sich hoch. Zwar mögen die Sommermonate traditionell eine Flaute-Zeit für Kneipen und Restaurants selbst rund um die Reeperbahn sein, zumindest was die Innenbereiche betrifft. Doch die hohen Temperaturen und anschwellende Touristenströme füllen nach langem Lockdown wieder die leeren Kassen auf.

Die Kiez-Wirte haben ihre Hausaufgaben gemacht: Einchecken per Luca-App, Kontaktverfolgung gesichert, die Tischabstände wurden zum Teil mit transparenten „Spuckwänden“ abgezirkelt, die Zahl der Gäste ist begrenzt. Und doch begehrt das Quartier jetzt richtig auf. Wie der Geschäftsführer der Interessengemeinschaft St. Pauli, Peter Kämmerer, dem Abendblatt sagte, müsse das Verkaufsverbot für Alkohol ab 23 Uhr in der Außengastronomie fallen.

Olivia Jones: „Wirtinnen und Wirte kommen sich verkauft, verraten und vergessen vor“

„Es kann nicht angehen, dass durch die Regeln des Senats an den Hotspots wie Reeperbahn und Große Freiheit tote Hose ist, während nur wenige Hundert Meter weiter das Leben tobt. Irgendetwas muss man doch versuchen, um die Hotspots aufzulösen.“ Senatssprecher Marcel Schweitzer hatte zuvor erklärt, die gültige Rechtsverordnung bleibe bestehen, „wie sie ist“. Man beobachte die Einhaltung der Regeln „sehr streng“.

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Auf die Diskussion um größere Lockerungen in anderen Bundesländern bei vergleichbaren oder sogar schlechteren Inzidenzen wollte er sich nicht einlassen. Den offenen Brief der Gastronomen, die auch ihren mächtigen Verband Dehoga eingeschaltet hatten, kommentiere der Senat grundsätzlich nicht. Corny Littmann, Olivia Jones und weitere prominente Kiezianer hatten sich beteiligt. Olivia Jones sagte: „Die meisten Wirtinnen und Wirte aus der Nachbarschaft kommen sich nur noch verkauft, verraten und vergessen vor.“

Denkbares Schreckensszenario

Senatssprecher Schweitzer sagte: „Über die Anpassung der Rechtsverordnung kann der Senat erst beraten, wenn sich das Infektionsgeschehen deutlich verändert, wenn die Impfquote deutlich höher ist. Oder umgekehrt, wenn sich das Infektionsgeschehen wieder verschlechtert. Dazu kann es kommen.“

Für die Gastronomen ist dieses Schreckensszenario auch denkbar. Deshalb heißt es aus ihren Kreisen, man müsse sich wieder „etwas Speck anfressen“, weil man nicht wisse, wie der Herbst werde. Man frage sich dennoch, welche konkreten Infektionsgeschehnisse auf Alkoholausschank zurückzuführen seien.

Senat rechnet mit Auswirkungen der Delta-Variante des Coronavirus

In London konnte man zuletzt bei der Fußball-Europameisterschaft verfolgen, wie trotz hoher Inzidenzen hemmungslos gefeiert wurde. Die Bilder eng stehender Fans auch beim Public Viewing mögen für den Senat eine Warnung sein. Für die Gastronomen ist der Vergleich nicht nachvollziehbar. So, wie man im Stadtpark Alkohol verboten habe, um Massenpartys zu unterbinden, könne man ja testweise die 23-Uhr-Grenze an den Hotspots in die Nacht verschieben. „Wir machen hier doch kein Wembley“, heißt es auf St. Pauli. Die Kontrollen würden das ohnehin verhindern.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Doch der Senat rechnet mit Auswirkungen der Delta-Variante des Coronavirus. Diese offenbar besonders ansteckende Mutante überwiegt bei den Sequenzierungen der Tests. 157-mal wurde „Delta“ nachgewiesen, 335 Verdachtsfälle gibt es. Besorgniserregend ist der Zuwachs um 36 Fälle. Bei den Beta- und Gamma-Varianten gibt es diesen Anstieg derzeit nicht. „Mit einer kurzfristigen, deutlichen Ausweitung dieser Variante ist nach wie vor zu rechnen“, schreibt die Sozialbehörde in ihrem Bulletin über Delta. 8900 PCR-Tests auf das Coronavirus wurden in der vorvergangenen Woche je Werktag gemacht. Positive Befunde gab es bei 0,7 Prozent.

Schnell verfügbare Termine im Impfzentrum

Die große Zahl schnell verfügbarer Termine im Impfzentrum in den Messehallen sowie die Impfbemühungen von Haus- und Betriebsärzten haben das Immunisierungstempo in Hamburg wieder spürbar ansteigen lassen. Das deutschlandweite Niveau ist wieder übertroffen: Bei der Erstimpfung liegt die Quote bei 59,0 Prozent (Bund: 58,7 Prozent). Beim „Nachimpfen“, also der zweiten Spritze, hinkt Hamburg hinterher: 41,3 Prozent im Vergleich zu 43,0 Prozent bundesweit.

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Am Dienstag hat die Sozialbehörde 35 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Das sind zwar 16 Fälle mehr als am Montag, aber drei weniger als am Dienstag vor einer Woche (38). Damit ändert sich der Inzidenzwert kaum und liegt bei 11,1 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen (Vortag: 11,2).

33 Corona-Patienten in Krankenhäusern

Seit Beginn der Pandemie wurden in der Hansestadt 77.727 Corona-Infektionen registriert. Von ihnen gelten nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts 75.600 als genesen. In Hamburger Krankenhäusern werden derzeit 33 Corona-Patienten behandelt. 18 Menschen sind so schwer erkrankt, dass sie intensivmedizinisch betreut werden müssen. 13 von ihnen kommen aus Hamburg.

Nach Angaben der Behörde soll in Zukunft das Verhältnis zwischen der Zahl der Neuinfizierten und der wegen Corona in ein Krankenhaus aufgenommenen Patienten ermittelt werden. Bislang sind 1602 Menschen im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung in Hamburg gestorben. Diese Zahl hat sich in den vergangenen Tagen nicht mehr verändert.