Hamburg. Die S-Bahn-Trasse führt durch mehrere Schutzgebiete. Professor Matthias Glaubrecht rechnet scharf mit der Hamburger Politik ab.

„Wenn es uns nicht gelingen wird, die Natur in den bestehenden Naturschutzgebieten vor unserer eigenen Haustür zu schützen, dann schaffen wir es nirgendwo.“ Im Streit um die neue S4 und den damit verbundenen Ausbau der Bahnstrecke zwischen dem Hamburger Hauptbahnhof und Ahrensburg hat sich der Gründungsdirektor des Centrums für Naturkunde in Hamburg, Professor Matthias Glaubrecht, mit einem dramatischen Appell an Politik und Behörden zu Wort gemeldet. Der Artenschützer und Bestsellerautor will weitere Beeinträchtigungen des Tunneltals in Rahlstedt und Ahrensburg verhindern.

Neue S4 führt durch Naturschutzgebiet bei Hamburg

Die Bahn will die bestehende zweigleisige Strecke Hamburg-Lübeck zwischen Hauptbahnhof und Ahrensburg um zwei Gleise erweitern, um den transeuropäischen Güterverkehr Richtung Süden führen und zugleich mit der neuen S4 den Nahverkehr ausbauen zu können. Sieben Kilometer der Erweiterungsstrecke führen durch das Stellmoorer und Ahrensburger Tunneltal, das Naturschutzgebiet, Europäisches Fauna-Flora-Habitat-(FFH)-Schutzgebiet und eine international bedeutsame archäologische Fundstätte ist.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU, v. l.), Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), Bahn-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher beim Spatenstich für die neue S-Bahn-Linie S4.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU, v. l.), Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), Bahn-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher beim Spatenstich für die neue S-Bahn-Linie S4. © dpa | Markus Scholz

Glaubrecht, der in der Nähe des Tunneltals aufgewachsen ist und in Ahrensburg zur Schule ging: „Es ist unverantwortlich, dass diese große Baumaßnahme von Politik und Behörden gebilligt wird. Obgleich sie formal ‚nur‘ am Rand der bestehenden FFH-Gebiete erfolgen, betreffen sie diese Schutzgebiete natürlich ganz unmittelbar. Gerade der Erhalt des Landschaftscharakters ist doch gefährdet, wenn man große Brücken und meterhohe Lärmschutzwände auf Kilometern durch die Landschaft zieht. Von den vielen negativen Effekten für die Artenbestände und Vielfalt ganz abgesehen. Hier wird wieder ein bedeutendes Stück Natur zerstört; das aber gilt es mit allen Mitteln zu verhindern!“

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Noch ist der Planfeststellungsbeschluss für den fraglichen Streckenabschnitt nicht ergangen. Baurecht besteht derzeit nur für den ersten Teil der Trasse zwischen Hasselbrook und Luetkensallee im Bezirk Wandsbek.

Glaubrecht: Hamburger Politik solle auf Wissenschaft hören

„Die Politiker auch aus Hamburg fordern immer wieder vollmundig den Erhalt der Biodiversität“, sagt Glaubrecht. „Sind das nur hohle Phrasen und leere Absichtserklärungen? Auch hier mein Appell an die Politik, einmal mehr auf die Wissenschaft wirklich zu hören: Und die sagt eindeutig, dass wir weltweit, vom Lokalen bis zum Globalem, bereits jetzt Arten im großen Stil verlieren; weshalb wir auch vor Ort alles tun müssen, der Natur wieder Raum zu geben. Meine eindringliche Aufforderung an die Politik und die Genehmigungsbehörden ist also, hier eine strategische Umweltprüfung für dieses große Naturschutzprojekt vorzunehmen und vor allem: Sämtliche Alternativen für die geplanten Bauprojekte ehrlich und gewissenhaft zu prüfen. Wir müssen einen naturverträglichen Ausgleich zwischen Entwicklung und wirtschaftlichen Belangen und den Ansprüchen eines Natur- und Artenschutzes finden.“

Müllverbrennungsanlage und Gewerbepark nahe S4

Das Tunneltal werde „regelrecht in die Zange genommen“. Neben der Bahntrasse, auf der laut Bahn-Prognose täglich 84 Güterzüge rollen sollen, werde aktuell im Südosten des FFH-Gebiets die Müllverbrennungsanlage Stapelfeld um- und neu-, wenige Kilometer weiter länder­übergreifend der Gewerbepark (Merkur-, Viktoria- und Minervapark) ausgebaut. „Das wird dem FFH-Gebiet erheblichen Schaden zufügen“, sagt Glaubrecht. „Es ist mir vollkommen unverständlich, wie geradezu ignorant die lokale Politik, aber auch die Landespolitik Hamburgs und Schleswig-Holsteins, seit langem agieren.“