Hamburg. Naturschützer und Bürgerinitiativen sehen die neue S-Bahn-Linie als Feigenblatt für transeuropäischen Güterverkehr.

Nahverkehrsprojekt oder Güterverkehrstrasse? Das unter dem Titel „Neubau der S4“ firmierende Bahnprojekt an der Strecke Hamburg–Lübeck stößt auf immer härteren Widerstand. Jetzt haben Naturschützer und Bürgerinitiativen den Streckenabschnitt zwischen Rahlstedt und Ahrensburg ins Visier genommen, der von Experten als juristische Achillesferse der Jahrhundertprojekte „neue S4“ und „transeuropäische Güterverkehrstrasse“ gesehen wird. Sie haben einen Brandbrief an die Ministerien in Kiel und Hamburg, die Fraktionen sowie Mitarbeiter der EU-Kommission geschrieben und eine Klage angekündigt.

Zwischen Hauptbahnhof und Ahrensburg will die Bahn die derzeit zweigleisige Strecke durch den Ballungsraum um zwei weitere Gleise ergänzen. Das soll zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Einerseits soll der mit dem Fehmarnbelt-Tunnel aus Skandinavien kommende transeuropäische Güterverkehr unbehelligt durch die Metropolregion Richtung Hannover abfließen, andererseits mit der S4 der Nahverkehr gestärkt werden.

Nebeneffekt für die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein: Da Nah- und Güterverkehre nicht getrennt werden, zahlt der Bund 84 Prozent der Baukosten, die S4 wird für sie preiswert.

Naturschützer protestieren gegen geplante S4-Trasse

„Wir verstehen nicht, dass sich praktisch alles den wirtschaftlichen Interessen der Bahn und der Länder unterordnen soll“, sagt Svenja Furken von der Interessengemeinschaft Tunneltal. Das aus ihrer Sicht zu schützende Stellmoorer und Ahrensburger Tunneltal ist mit nahezu sämtlichen verfügbaren Titeln für Schutzwürdigkeit ausgestattet. Es ist „Naturschutzgebiet“ und das noch schärfer geschützte, europäische „Fauna-Flora-Habitat-Schutzgebiet“ (FFH-Gebiet), es ist ein „Geotop von überregionaler Bedeutung“ (ein besonders gut erhaltenes, eiszeitlich entstandenes Tunneltal Norddeutschlands), und es ist eine „international bedeutsame archäologische Fundstätte“ zur Altsteinzeit.

„Trotzdem reicht das offenbar in Deutschland nicht aus, um solche Gebiete wirksam vor dem Zugriff wirtschaftlicher Interessen zu schützen,“ sagt Furken. „Aber was soll denn noch an Belegen oder Auszeichnungen beigebracht werden, um die Fragen des Geldverdienens mal an Priorität zwei zu verweisen? Was sind solche Titel denn überhaupt wert?“

Pikanterie am Rande: Im Februar hat die Europäische Kommission beschlossen, Deutschland zu verklagen, weil es die EU-Richtlinien zu FFH-Schutzgebieten nicht umsetzt.

Bahn verteidigt Streckenführung

Bahn-Sprecher Peter Mantik bestritt, dass eine Abwägung zulasten der Natur erfolgt sei. Die Strecke woanders zu bauen würde stärkere Eingriffe zur Folge haben, sagte er. „Wir haben die Trassenführung jahrelang diskutiert und wollen das jetzt nicht wiederholen. Wir vertrauen auf unsere Planung und gehen davon aus, dass sie hieb- und stichfest ist.“

Laut Furken ist das Tunneltal ein „Denkmal der Menschheitsgeschichte“, dem auch das Land bescheinigt hat, alle Kriterien für ein Unesco-Welterbe zu erfüllen, und das mit Haithabu in einem Atemzug zu nennen sei. Im direkten Umfeld der sieben Kilometer langen Bahntrasse und ausgerechnet dort, wo der Bahnübergang Brauner Hirsch im Rahmen der Baumaßnahmen durch ein massives Brückenbauwerk ersetzt werden soll, wurden die ältesten Pfeile der Menschheitsgeschichte und eines der ältesten Kunstobjekte Nordeuropas geborgen, sagt Furken. Mit dem Bau der Trasse wird ein Teil der Fundstätte überbaut und damit unzugänglich.

In Wandsbek hat der Bau zwischen Hasselbrook und Luetkensallee schon begonnen. Für alle drei Planfeststellungsbeschlüsse der drei Bauabschnitte sind Klagen angekündigt oder bereits eingereicht. Der Ausgang der Verfahren ist offen.

Wissenswertes zu den S-Bahn-Linien in Hamburg

  • Die S-Bahn Hamburg ist ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG und Teil des HVV
  • Die ersten S-Bahnen fuhren schon 1907 durch Hamburg
  • Es gibt in Hamburg vier Haupt- (S1, S21, S3, S31) und zwei nur zeitweise verkehrende Verstärkerlinien (S11, S2)
  • Am Wochenende verkehrt die S-Bahn rund um die Uhr
  • Unter der Woche verkehren zwischen etwa 1 Uhr und 4 Uhr keine Züge
  • Das gesamte S-Bahn-Streckennetz umfasst rund 144 Kilometer und 68 Haltestellen
  • Die meisten Haltestellen der S-Bahn in Hamburg haben ein funktionsbetontes Design mit offenem Bahnsteig und Flachdach