Hamburg. Fabian von Köppen, Chef der Garbe Immobilien-Projekte, spricht über ein Haus, das den Städtebau ökologisch revolutionieren soll.
Am Baakenhafen wird ein Stück Zukunft gebaut: Dort entsteht ein Haus, das den Städtebau ökologisch revolutionieren will, ein Gebäude, das heute noch ein Exot ist und doch Alltag werden könnte. Unweit der U-Bahn-Station Elbbrücken errichtet Garbe Immobilien-Projekte ein Hochhaus mit 18 Etagen. Der Clou: Es ist fast komplett aus Holz.
Das „Roots“ soll bis 2024 insgesamt 65 Meter in den Hamburger Himmel wachsen und wäre das höchste seiner Art in Deutschland, bezogen auf das verbaute Holz sogar die Nummer 1 weltweit. Ein Mieter steht schon fest – die Deutsche Wildtier Stiftung wird dort mit ihren Verwaltungs- und Ausstellungsräumen einziehen und dem Bau seinen ersten Namen geben: die „Wildspitze“. Zugleich entstehen 181 Wohnungen.
Der Bau präsentiert sich innovativ
Entworfen haben das Holzhochhaus die Hamburger Architekten von Störmer Murphy and Partners: „Die Zeit ist reif, die vielfältigen Möglichkeiten von Holz auszuschöpfen“, hatte Jan Störmer bei der Präsentation erklärt.
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Innovativ präsentiert sich der Bau: Alle Obergeschosse werden mit Massivholzdecken und -innenwänden errichtet, nur Unter- und Erdgeschoss sowie die Erschließungskerne sind aus Stahlbeton. So schrumpft nicht nur der CO2-Fußabdruck, der Bau soll auch deutlich geräuschärmer werden und – so das Versprechen – das Leben dort deutlich gesünder.
Bei der Ökobilanz sind Holzbauten unschlagbar
Im Abendblatt-Podcast „Was wird aus Hamburg“ erklärt Fabian von Köppen, Geschäftsführer bei Garbe Immobilien-Projekte, den Holzweg. „Seit 2008 befassen wir uns intensiv mit der Frage, wie wir Gebäude anders dämmen können als mit dem Kunststoff Polystyrol“, sagt er. Seitdem habe das Unternehmen eine dramatische Lernkurve hingelegt. „2008 war Holz für Einfamilienhäuser geeignet, aber nicht für den großvolumigen Geschosswohnungsbau“, sagt Köppen.
Das hat sich binnen eines Jahrzehnts geändert: In Berlin hat Garbe zwei fünfgeschossige Wohnhäuser mit Vollholzfassade errichtet. „Nach Fertigstellung haben wir gemerkt, dass wir nur halbweit gesprungen sind. Holz kann mehr.“ Daraus ist eine Vision entstanden, so Köppen: „Wir wollen die Stadt klimaneutral nachverdichten.“
Aushängeschild und Ausnahmeprojekt zugleich
Das „Roots“, wie die „Wildspitze“ nun vermarktet wird, ist Aushängeschild und Ausnahmeprojekt zugleich. „Alles was wir dort lernen, können wir später auch im Wohnungsbau anwenden“, sagt von Köppen. Er gibt zu, dass man für ein solches Projekt immer auch Lehrgeld bezahle. „Das Schlimmste ist bei Holz nicht Feuer, sondern Wasser.“ Das gilt für Bau und Betrieb gleichermaßen: In Berlin setzte ein Unwetter die Baustelle unter Wasser – und richtete beträchtliche Schäden an.
Köppen plädiert dafür, ökologisches Bauen endlich konsequenter zu denken. „Die meisten Häuser konzentrieren sich auf Energiesparen, aber das ist nur ein kleiner Teil der gesamten Öko-Bilanz“, sagt der 51-Jährige. „Wir wollen die gesamte Lebenszeit unter ökologischen Aspekten betrachten, vom Anfang bis zum Ende. Die Produkte, aus denen unsere Häuser sind, müssen nachhaltig sein.“
Enthusiasmus gehört bei einem solchen Projekt dazu
Enthusiasmus gehört bei einem solchen Projekt dazu. Denn das Bauen mit Holz ist kein Selbstläufer. Die Probleme beginnen schon in der sehr zeitraubenden Planungs- und der Genehmigungsphase: Oftmals sind Einzelzulassungen und Sondergenehmigungen etwa in Bezug auf den Brandschutz nötig.
Das treibt die Kosten. „Wir müssen die Bauordnungen in den Bundesländern angleichen – in Hamburg brennt Holz nicht anders als in Bremen oder Bayern“, sagt Köppen. „Ich würde mir sogar eine europäische Bauordnung wünschen, in die Skandinavien und Österreich ihre Erfahrungen einplanen.“ Die aber liegt noch in weiter Ferne.
Die Klimawende wird nur mit einer Bauwende gelingen
Heute liegen die Kosten beim Holzbau acht bis zwölf Prozent über konventionellen Bauten. „Das müsste aber nicht sein. Viele Zulassungen sind nötig, die Baunormung ist leider noch nicht so weit“, kritisiert von Köppen. Mit besseren Bedingungen und einem breiteren Wettbewerb könnte sich das ändern.
Der Geschäftsführer von Garbe Immobilien-Projekte erwartet für das Jahr 2026 eine Angleichung der Kosten. „Es gibt eine Welle der Begeisterung für Holz – viele Spieler springen jetzt auf diesen Zug auf“. Je stärker die Nachfrage wachse, desto breiter werde das Angebot. „Mit mehr genormten Verfahren werden auch die Preise sinken.“
Dann könnte sich Holz bald schneller für Investoren rechnen. „Die Menschen sind bereit, für ein gutes ökologisches Produkt mehr Geld auszugeben“, sagt von Köppen. „Was mit ökologischen Nahrungsmitteln begann und dann die Öko-Textilien erfasst hat, betrifft nun auch das Wohnen. Das gab es früher nicht.“
5 Fragen an Köppen
- Meine Lieblingsstadt ist Hamburg. Ich bin in Frankfurt geboren und lebe seit 25 Jahren hier - Hamburg ist meine Stadt. Aber besonders liebe ich Rom. Die Ewige Stadt verzaubert mich immer wieder.
- Mein Lieblingsort in Hamburg ist die Elbe, genauer gesagt unterwegs auf der Elbe. Es gibt keinen schöneren Ort, als mit der HVV-Fähre auf die Elbphilharmonie und die HafenCity zuzufahren.
- Mein Lieblingsstadtteile sind Harvestehude mit den schönen weißen Altbauten und die HafenCity, der spannendste Stadtteil: Dort wird am meisten ausprobiert, dort entstehen Dinge, die sonst kaum eine Chance haben.
- Meine Lieblingsgebäude sind das Chilehaus und die Elbphilharmonie – beide waren sehr mutig und ihrer Zeit weit voraus. Beide waren zugleich während der Entstehung umstritten und haben doch die Stadtentwicklung maßgeblich geprägt. Das Chilehaus steht als Prototyp für Bürobauten der Moderne und die Elbphilharmonie als Prototyp für eine hochverdichtete, übereinander geschichtete Nutzung.
- Einmal mit der Abrissbirne würde ich … erst einmal die Pause-Taste drücken. Wir können uns den Abriss aus ökologischen Gründen eigentlich nicht mehr leisten. Wir müssen uns eher die Frage nach Neu- oder Umnutzung stellen. Wir haben beispielsweise aus früheren Büro- und Produktionsgebäuden 1000 Wohnungen geschaffen. Wenn ich etwas abreißen soll, dann das ein oder andere einstöckige Autohaus mitten in der Stadt. Diese Unternutzung passt nicht mehr in die Zeit.
Es geht aber nicht nur um das ökologische Gewissen des Einzelnen, sondern auch um die Klimabilanz des Landes insgesamt. Will Deutschland seine Klimaziele erreichen, muss gerade auf dem Bau einiges passieren. Hier liegen gewaltige Einsparpotenziale beim Klimagas CO2. Der frühere Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber, sagt: „Ohne radikale Bauwende wird das Pariser Klimaabkommen scheitern.“ Schätzungen zufolge kommen bis zu 40 Prozent des CO2-Ausstoßes vom Bau und Betrieb von Häusern.
„Mit regenerativer Architektur könnten wir uns quasi aus der Klimakrise heraus bauen“, meint der Klimawissenschaftler. So kompensiere ein Einfamilienhaus aus Massivholz allein den CO2-Ausstoß von 100 Interkontinentalflügen zwischen Berlin und New York. Auch von Köppen verweist auf den Klimaeffekt „Unser Haus wächst in 23 Minuten komplett nach.“ Ein Holzhaus vermeide viel graue Energie: „Die Immobilienbranche ist einer der Treiber des Klimawandels – da können wir doch nicht tatenlos zusehen.“
Es entsteht so gut wie kein Abfall
Nicht nur die Produktion sei deutlich umweltfreundlicher, sondern auch das Recycling: Es entsteht so gut wie kein Abfall, und wenn sind es Sägespäne. Selbst nach einem Abriss könne man das Holz weiternutzen – für Möbel, Papier und schließlich Wärme. „Jedes Holzhaus bindet Kohlendioxid – wir verschaffen uns also Zeit im Kampf gegen die Erderwärmung“, sagt von Köppen.
Gearbeitet wird beim „Roots“ mit Fichte und an einzelnen Stellen mit Baubuche. Köppen verspricht: „Diese Fichte wird ewig halten.“ Das Haus könne länger als 100 Jahre stehen. Der Garbe-Geschäftsführer verweist auf alte Bauernhäuser in Österreich oder Stabkirchen in Norwegen. „Holz hält sehr, sehr lange, wenn man es richtig einsetzt und darauf achtet, dass Feuchtigkeit richtig abtrocknen kann.“
Holz als Hightech-Material
Das wird zur Herausforderung gerade in der HafenCity, die nah am Wasser gebaut ist: „Deswegen haben wir die unteren vier Geschosse konventionell errichtet“, sagt Köppen. Zum Wasser hin entsteht ein Sockel aus Beton. Rund 5500 Kubikmeter Nadelholz aus Deutschland und Österreich werden verbaut, eine zweite Fassade aus Glas wird den Brand-, UV- und Feuchteschutz gewährleisten.
„Innen wird das Haus aber keine Skihütte. Holz ist für uns ein Hightech-Material für das Tragwerk. Die Wohnungen selbst haben verputzte Wände und Parkettfußboden“, sagt von Köppen. Verschiebbare Elemente aus Glas schützen die umlaufenden Loggien vor Wind und Wetter. „Hier sieht man die Holzfassade.“
Sehr gute Wärmedämmung
Diese Fassade biete auch eine sehr gute Wärmedämmung – ganz ohne Chemie. Und noch eine Stärke spielt der Holzbau in der HafenCity aus. Da der Untergrund dort sehr schlammig und schlickig und Holz leichter ist, konnte das Roots vier Geschosse mehr bekommen als ein konventioneller Bau.
„Die höhere Dichte macht es wirtschaftlicher.“ Ein weiterer Vorteil: Weil viele Bauteile vorgefertigt sind, beschleunigt das den Bauprozess. „Wir planen doppelt so lange, weil wir auf der Baustelle kaum noch etwas richten können“, erklärt von Köppen.
Holzhäuser werden wie ein Lego zusammengefügt
„Die Bauteile kommen auf die Baustelle und werden dann wie Lego übereinandergeschichtet.“ Zuvor wird am Rechner ein digitaler Zwilling erschaffen – und dann zusammengefügt. „So können wir unsere Städte in Zukunft viel schneller nachverdichten“, verspricht von Köppen. „Dann muss eine Straße etwa nicht zwei Jahre gesperrt werden, sondern nur vier oder fünf Monate.“
Köppen erhofft sich von der Premiere in Hamburg einen Auftakt für viele Holzhäuser im ganzen Land. „Wir wollen zeigen, dass man mit Holz in die Höhe bauen kann und das Holz eine Alternative ist.“ Die Expertise wolle Garbe in Zukunft für sich nutzen. „Wir haben Experten von überallher geholt – bundesweit haben wir nun im Holzbau einen gewissen Vorsprung.“ Und doch ist der Durchbruch für den nachwachsenden Baustoff noch nicht sicher. Am Ende muss sich jeder Bau rechnen. In der Entwicklung könne man kein Geld verdienen trotz der Fördermittel, gibt von Köppen zu. „Das war ein hohes Risiko.“
Holzpreise haben sich fast verdreifacht
Er ist sich aber sicher, dass sich das Risiko auszahlt – aller Widrigkeiten zum Trotz. Zuletzt haben sich die Holzpreise fast verdreifacht. „Die Entwicklung ist dramatisch – aber das sind Sonderentwicklungen. Das ist kein dauerhafter Trend.“ Beim Roots in der HafenCity lägen die Verkaufspreise bei rund 10.000 Euro pro Quadratmeter. 40 Prozent der Wohnungen sind schon verkauft.
Köppen sieht keine Immobilienblase in der Stadt. „Wir haben eine reale Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt und ein viel zu geringes Angebot. Viele wollen nach Hamburg, aber können sich die Stadt nicht leisten.“ Er sieht die Preisentwicklung zwiespältig. Auf der einen Seite profitiere der Immobilienentwickler vom steigenden Preisniveau. Auf der anderen Seite aber könnten sich viele Hamburger Familien kein Eigentum mehr in der Stadt leisten.
Gestiegene Baukosten
„Das liegt an den enorm gestiegenen Baukosten, aber auch an enorm langwierigen Genehmigungszeiträumen“, meint von Köppen. Und daran, dass viele eine Verdichtung der Stadt oftmals gar nicht wollen. Da will das Öko-Hochhaus für ein neues Verständnis von Stadt werben - als Leuchtturm, als Ausrufezeichen, vielleicht sogar als Touristenmagnet.
„Wir wollen wachrütteln: Wir benötigen ein neues, ökologisches Bauen“, sagt von Köppen. Das Roots könnte auch Modell für den Wohnungsbau sein: „Wir arbeiten daran, vier- bis fünfgeschossige Holzhäuser im seriellen Bauen zu erstellen“, sagt er. Diese könnten sehr schnell errichtet werden. „Solche Siedlungen im Speckgürtel wären eine gute Antwort auf die Wohnungsnot von heute.“ Die Preise könnten dem konventionellen Bau entsprechen, vielleicht sogar billiger werden. „Je häufiger sich Teile wiederholen, um so günstiger wird es.“
Dann würden Holzhäuser am Ende nicht nur dem Klimaschutz dienen, sondern auch die Wohnungsnot lindern. Vom Erfolg dieser Visionen dürfte abhängen, wie die Wildspitze einstmals in die Architekturbücher eingehen wird – ob als Exot oder als ökologischer Neustart.