Hamburg. Senat will Bau mit dem Naturstoff besonders fördern, um die Klimaziele zu erreichen. Beim Wohnungsbau zögern die meisten Unternehmen
Der graue Bau in Bahrenfeld wirkt alles andere als einladend. Sein Abriss, das ist sicher, wird keinen Verlust bedeuten. Zumal auf diesem Grundstück an der Daimlerstraße im Schatten des Bahrenparks ab Herbst ein höchst innovatives Bauprojekt entstehen wird: ein Bürohochhaus aus Holz und Beton, ein sogenannter Hybridbau. Bereits im Frühjahr 2022 sollen die ersten Mieter in dem sechsgeschossigen Gebäude arbeiten.
Holz als Baustoff? Das klingt für viele eher nach Baumhaus oder Hütte in den Alpen. Und doch bedient die Hamburger AVW Immobilien AG mit diesem Projekt den Zeitgeist. Der neu gebildete Senat will in den nächsten Jahren den Bau mit Holz forcieren, um seine Klimaziele zu erreichen.
„Wir haben uns im Koalitionsvertrag zum Thema nachhaltiges Bauen einiges vorgenommen. Unter anderem wird Hamburg eine Holzbaustrategie entwickeln“, sagt Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD). Bei jedem Stadtentwicklungsprojekt, jedem Bauvorhaben und jeder Sanierungsmaßnahme gelte es, „die wohnungspolitischen Ziele im Blick zu behalten und zugleich das Klima und unsere natürlichen Ressourcen weitestmöglich zu schonen“.
180 Wohnungen aus Massivholz
Auf dem Hafen-Areal des Grasbrooks – hier soll in den kommenden zwei Jahrzehnten ein neuer, konsequent auf Umweltschutz getrimmter Stadtteil entstehen – planen die Elbphilharmonie-Architekten Herzog & de Meuron sogar ein ganzes Quartier aus Holz. Bei der Umweltbilanz schneidet Holz in der Tat deutlich besser ab als Stahl und Beton. Die Herstellung von Zement gilt als Klimakiller, hier entstehen rund acht Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen. Zudem gefährdet der Sand-Abbau an den Küsten das Ökosystem. Die Bauindustrie verarbeitet jedes Jahr 40 Milliarden Tonnen. Kein Wunder, dass der Senat für das Erreichen der Klimaziele – bis 2030 soll im Vergleich zu 1990 der CO2-Ausstoß um 55 Prozent reduziert werden – auf Holz als neuen Baustoff setzt.
„Unser Gebäude wird eine Art CO2-Bank. Beim Bau werden durch den Einsatz von Holz rund 467 Tonnen CO2 langfristig gespeichert“, sagt AVW-Vorstand Michael Mertmann. Sein Kollege Edward T. Martens sagt: „Allein durch den Einsatz von Holz sparen wir im Vergleich zu Stahlbeton-Konstruktionen rund 1200 Tonnen Material ein.“
Zehn Kilometer weiter östlich wird ebenfalls im Herbst die Baugrube für ein weitaus größeres Projekt ausgehoben. Im Elbbrückenquartier plant mit Jan Störmer einer der renommiertesten deutschen Architekten die Wildspitze, ein Gebäude mit 19 Geschossen. Im unteren Teil aus Stahlbeton zieht die Deutsche Wildtierstiftung mit einer Ausstellung ein, darüber entstehen 180 Wohnungen aus Massivholz – ein Drittel geförderter Mietwohnungsbau, zwei Drittel Eigentumswohnungen.
Aufwendige Planungsprozesse
Am 15. Juni ist Störmer 78 Jahre alt geworden. Und doch spricht der Architekt des Luxushotels The Fontenay mit fast kindlicher Begeisterung über die Wildspitze: „Ich habe Tischler gelernt. Mit diesem Projekt kehre ich zu meinen Wurzeln zurück.“ Der „Holzfan“ (Störmer über Störmer) sieht nicht nur die Ökovorteile. Der Bau mit Holz verkürze die Bauzeit enorm, da alles in Modulen angeliefert werde: „Die Scheiben kommen fix und fertig zur Baustelle und werden sofort eingesetzt. Damit können wir die Baustelle im Vergleich zum konventionellen Bau deutlich entlasten.“ Gerade auf so beengtem Raum wie in der HafenCity sei dies ein immenser Vorteil. Störmer wird die Wildspitze mit Glasfassade ummanteln: „Wir wollen, dass man von außen erkennt, es ist ein Holzhaus. Zugleich schützt das Glas das Holz und bietet Schallschutz.“
Und wenn es brennen sollte? Wird die Wildspitze dann zur Todesfalle? Im Gegenteil, beteuert Störmer, Holz biete viel mehr Sicherheit: „Bei Feuer bildet sich schnell eine Schicht aus Kohle. Diese schützt das dahinterliegende Holz und stoppt die Flammen – diesen Effekt kennt jeder, der schon einmal einen Scheit Holz in den Kamin gelegt hat. Holzgebäude stürzen im Brandfall viel seltener ein als vergleichbare Stahl- und Betonkonstruktionen.“
Er appelliert an den Staat: „Um den Holzbau zu fördern, müssen wir erreichen, dass die Förster verstärkt geeignete Baumarten wie etwa Douglasien anbauen dürfen.“ Störmer kennt indes auch die Herausforderungen: „Die Planungsprozesse sind viel aufwendiger. Vor dem ersten Spatenstich muss man extrem genau planen, da kommt es auf die Position jeder einzelnen Steckdose an, da Änderungen später schwierig und damit teuer werden. Da geht es wirklich um Millimeter.“
Werkstoff Holz ist bislang in Hamburg noch wenig im Einsatz
Dieser Aufwand dürfte neben den rund sieben Prozent höheren Kosten eine Ursache sein, warum trotz der Fördermaßnahmen viele Unternehmen zögern, auf Holz zu setzen. Die städtische Förderbilanz von 181 Wohnungen – 58 sind fertig, 123 im Bau oder geplant – wirkt noch überschaubar. „Der Werkstoff Holz ist bislang in Hamburg noch wenig im Einsatz, hat aber großes Potenzial“, sagt Umweltsenator Jens Kerstan.
Auch Sönke Struck, erfolgreicher Immobilien-Unternehmer und Vorstand der Nord-Vertretung des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) sieht die Vorteile der Holzbauweise wie Nachhaltigkeit, kurze Bauzeiten und gute Dämmeigenschaften. Dennoch sieht er zumindest mittelfristig wenig Perspektiven im klassischen Geschosswohnungsbau: „Durch die vorgefertigten Bauteile sind Änderungen an Grundrissen und Ausstattungen schon während der Bauphase nicht mehr möglich. Das spielt im Neubau jedoch für viele Käufer und Mieter immer noch eine große Rolle. Und stellt somit für die Bauherren ein Problem dar.“
Schallschutz ist ein Problem
Zudem sei der Schallschutz gerade im Geschosswohnungsbau ein Problem: „Die gesetzlichen Anforderungen und auch die Erwartungen der Bewohner an einen Neubau sind heute sehr hoch. Und guter Schallschutz braucht Masse, das ist eher schwierig mit Holz. Da sind die Anforderungen in Bürohäusern geringer, sodass hier leichte Konstruktionen aus Holz besser umsetzbar sind.“
Auch beim Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) – dessen Mitglieder verwalten mit 290.000 Wohnungen rund 43 Prozent des Mietmarktes der Hansestadt – überwiegt die Skepsis. „Unsere Mitglieder sind sogenannte Bestandshalter und deshalb an einer möglichst langen Lebensdauer der Gebäude mit geringen laufenden Kosten und einer möglichst vollständigen Vermeidung teurer Bauschäden interessiert“, sagt VNW-Direktor Andreas Breitner. Schon verhältnismäßig wenige, aber gravierende Schadensfälle an Wohngebäuden aus Holz hätten zu einer „allgemeinen Zurückhaltung in Bezug auf den Holzbau geführt“.
Holger Westphal, Vorstand der Wohnungsgenossenschaft von 1904, bestätigt dies: „Unsere Gebäude sollen mindestens hundert Jahre stehen. Daher liegt unser Augenmerk darauf, Schäden zu vermeiden.“ Er warnt vor Problemen mit Feuchtigkeit: „Wir sehen das bei alten Holzbalkenkonstruktionen. Wenn durch einen defekten Abfluss einer Dusche Tag für Tag ein paar Tropfen Wasser austreten, merken Sie das oft erst nach Wochen oder Monaten, wenn Feuchtigkeit durch den Boden in die Decke der darunterliegenden Wohnung dringt. Wir hatten bei uns Schadensfälle von mehreren Zehntausend Euro, weil der Holzbalken völlig morsch war.“ Dies könne zwar auch bei einer Stahlbetondecke passieren: „Aber dann haben Sie zumindest kein Problem mit der Statik, und die Kosten für die Mangelbeseitigung sind deutlich niedriger.“ Bleibt der Holzbau also doch ein Nischenthema?
Viele Menschen legen Wert auf Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein
Dagegen spricht der Zeitgeist – noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik legten so viele Menschen so viel Wert auf Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein. Das weitgehend aus Holz errichtete Studentenwohnheim Woodie in Wilhelmsburg gewann 2019 den Mipim Award, der als „Immobilien-Oscar“ gilt.
Auch das Woodcube, das bei der Internationalen Bauausstellung (IBA) 2013 entstand, sorgt weiter für Aufsehen. Matthias Korff, Geschäftsführer des Projektentwicklers Deep Green Development, preist das fünfgeschossige Wohngebäude in Wilhelmsburg mit acht Wohneinheiten im BUND-Jahrbuch 2018 als „das wahrscheinlich gesündeste Bio-Mehrfamilienhaus der Welt“. Auf der Homepage seines Unternehmens macht er diese Rechnung auf: „Für die CO-Emission aus Konstruktion und Betrieb eines konventionellen Gebäudes über 50 Jahre können ca. 70 Woodcubes hergestellt und betrieben werden.“
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Solche Zahlenspiele gewinnen Kraft in Zeiten, in denen Millionen mit den Klima-Protesten der „Fridays for Future“-Bewegung sympathisieren. AVW-Vorstand Martens hat diese Klientel – jung, innovativ, ökobewusst – für sein Bürohochhaus in Bahrenfeld im Blick: „Uns geht es sehr wohl um Einzigartigkeit. Damit wollen wir uns auf dem Markt positionieren.“ Im Werbeprospekt wird konsequent geduzt. Der Slogan lautet: „Wir bauen heute das Büro von morgen. Außen grün, innen grün.“
Die Corona-Krise, sagt Martens, könne wie ein Treiber für sein Projekt wirken. Wer sich künftig für das Büro statt für Heimarbeit entscheide, brauche Anreize. Etwa Mittagspausen auf den fünf Dachterrassen, ausgelegt mit reichlich Grün. Oder die Ladestationen für Elektrofahrzeuge. Richtig stolz ist Martens auf die Duschen im Gebäude. Seine Mieter müssten jedenfalls nicht mehr verschwitzt in ihren Büros sitzen, wenn sie mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren.