Hamburg. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) kritisieren den Bund.
Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sieht die Hauptverantwortung für Fehler bei der Eindämmung der Corona-Pandemie nicht bei den Ländern oder dem föderalen System, sondern bei Versäumnissen der Bundesregierung.
„Wenn der Bund was übernimmt, geht es schief. Das ist doch das, was wir gesehen haben bei der Impfstoffbesorgung“, sagte Tschentscher am Donnerstag in der Landespressekonferenz auf die Abendblatt-Frage, ob der Föderalismus in der Krise zum Problem werde. Der Bürgermeister verwies zudem darauf, dass er sich auch eine deutlich frühere Zulassung von Schnelltests durch den Bund gewünscht hätte – ebenso wie schnellere Quarantäneregeln für Reiserückkehrer im vergangenen Jahr.
Tschentscher skeptisch gegenüber Lockerungsbeschlüssen
Später relativierte Tschentscher seine Aussagen ein Stück weit – und betonte, dass Deutschland bei den Wirtschaftsdaten oder den Totenzahlen besser dastehe als viele Nachbarländer. Zugleich machte der Bürgermeister deutlich, dass er den am Mittwoch gefassten Lockerungsbeschlüssen von Bund und Ländern eher skeptisch gegenübersteht – auch wenn Hamburg sie mitträgt.
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„Wir müssen unbedingt verhindern, dass es zu einem Rückfall kommt“, sagte der Bürgermeister – und verwies auf die Gefahren der britischen Mutation, die bereits verstärkt in Hamburg zirkuliere und die nicht nur ansteckender, sondern nach einigen Berichten auch gefährlicher sei.
Fegebank überrascht von Strategiewechsel
Der aktuelle Beschluss gebe zwar Perspektiven, das Ganze sei aber „nicht unkritisch“, so Tschentscher. „Mir hätte dieser Plan auch gefallen, wenn überall, wo bei der Inzidenz jetzt 50 steht, 35 gestanden hätte.“ Das sei zunächst auch die Position der Kanzlerin gewesen, die dann aber nachgegeben habe.
Die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) sagte, sie sei „sehr überrascht“ von dem „Strategiewechsel“ gewesen, der von Bund und Ländern am Mittwoch beschlossen worden sei. Die Situation sei „ambivalent“: Einerseits gebe es die „Sehnsucht nach Lockerungen, auf der anderen Seite beunruhigende Zahlen“. Sie finde die Entscheidung zwar richtig, hätte sich aber „stärkere Signale gewünscht, was die Sicherheit angeht“.
Bund müsse bei Impfstrategie „auf die Tube drücken“
Dabei machte Fegebank ihr Unbehagen darüber deutlich, dass noch immer nicht klar sei, wann wie viele Schnelltests zur Verfügung stehen würden. Außerdem müsse der Bund jetzt bei der Impfstrategie „auf die Tube drücken“. Bei der jetzt gewählten neuen Regelung bleibe die Gefahr eines „Jojoeffekts“, also die Möglichkeit, dass man nach kurzen Öffnungen bald wieder schließen müsse.
Dennoch: „Hamburg setzt die Beschlüsse vollständig um – nicht weniger, aber auch nicht darüber hinaus“, fasste Tschentscher die Beschlusslage des rot-grünen Senats nach der Sondersitzung zusammen.
Im Einzelnen bedeutet das:
Vom 8. März, also dem kommenden Montag an dürfen in einem ersten Öffnungsschritt des jetzt zwischen Bund und Ländern vereinbarten Stufenplans die privaten Kontakte wieder erweitert werden. Zusammenkünfte eines Haushalts sind mit einem weiteren möglich, jedoch auf maximal fünf Personen beschränkt. Kinder unter 14 Jahren werden dabei nicht mitgezählt.
Zweiter Öffnungsschritt: Buchhandlungen, Blumengeschäfte und Gartenmärkte können mit einer Begrenzung von einem Kunden auf zehn Quadratmeter vom 8. März an öffnen. Auch alle körpernahen Dienstleistungsbetriebe (Friseurgeschäfte sind bereits geöffnet) sowie Fahrschulen dürfen wieder öffnen.
Der dritte Öffnungsschritt ist im Umfang von der Sieben-Tage-Inzidenz abhängig. Hamburg liegt aktuell bei einem Wert zwischen 50 und 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in einer Woche. Das bedeutet, dass Einzelhandelsgeschäfte für Terminshopping-Angebote („Click & meet“) öffnen dürfen. Außerdem können Museen, Galerien, zoologische und botanische Gärten sowie Gedenkstätten nach vorheriger Terminbuchung mit Dokumentation zur Kontaktnachverfolgung wieder besucht werden. Schließlich sind auch Individualsport mit höchstens fünf Personen aus zwei Haushalten und Sport in Gruppen von bis zu 20 Kindern bis 14 Jahren unter freiem Himmel wieder möglich.
Für alle Lockerungen gilt: Steigt der Inzidenzwert an drei aufeinanderfolgenden Tagen über 100, gelten die Regeln wieder, die bis zum 7. März Anwendung finden (Notbremse). Die Öffnungsschritte vier und fünf, die unter anderem die Bereiche Gastronomie, Theater, Kinos umfassen, sollen umgesetzt werden, wenn die Inzidenz weiter sinkt und über einen längeren Zeitraum konstant bleibt. Tschentscher sagte, dass weitere Lockerungen für Hamburg frühestens nach der nächsten Bund-Länder-Beratung am 22. März in Betracht kommen.
Erste kostenlose Schnelltest-Angebote
Hamburg will mit den ersten kostenlosen Schnelltest-Angeboten am kommenden Montag starten. Es bleibt aber noch offen, in welchem Umfang solche Tests bereitstehen. Derzeit wird eine Liste von 25 Testzentren erarbeitet, die Antigen-Schnelltests durchführen sollen. Der Lockdown ist bis zum 28. März verlängert. Das heißt, auch die Regelungen zur Maskenpflicht gelten weiter.
„Es ist gut, dass nun auch Kosmetikbetriebe wieder öffnen sollen. Vom Senat erwarte ich dringend eine Antwort, wie und wo Kunden und Kundinnen zeitnah Schnell- oder Selbsttests beziehen können und wie das Testkonzept für Kosmetikpersonal gestaltet werden muss“, sagte Handwerkskammer-Präsident Hjalmar Stemmann.
Dramatische Lage der Hamburger Wirtschaft
„Die Beschlüsse haben für die Hamburger Wirtschaft nichts an der dramatischen Lage geändert. Weiterhin tragen Unternehmen die wesentliche Last dieser Pandemie. Statt durch eine echte Öffnungsperspektive zu helfen, drohen neue Lasten durch die Finanzierung betrieblicher Schnelltests auferlegt zu werden“, sagte Prof. Norbert Aust, Präses der Handelskammer.
Grundsätzliche Unterstützung für den vorsichtigen Hamburger Kurs kam von CDU-Oppositionschef Dennis Thering. „Im Detail stellt sich allerdings die Frage, ob der beschlossene Perspektivplan mit vielen Einzelschritten abhängig vom Inzidenzwert für die Öffentlichkeit noch nachvollziehbar ist.
Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:
- Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
- Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
- Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
- Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
- Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).
Auch lässt sich über einzelne Priorisierungen sicher streiten, gerade Aktivitäten im Freien sollten aus Infektionsschutzgründen zuerst ermöglicht werden“, so Thering. „Die Beschlüsse sind kein Beitrag für mehr Akzeptanz und Glaubwürdigkeit! Die Inzidenzwerte werden dem längst tobenden Wahlkampf geopfert und beliebig gesetzt“, sagte Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus.
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Unterdessen ist die Sieben-Tage-Inzidenz am Donnerstag gesunken – auf jetzt 76,9 Infektionen. Am Mittwoch hatte sie noch bei 80,8 gelegen. Grund für den Rückgang: Am Donnerstag meldete die Sozialbehörde 268 Neuinfektionen – weniger als die 343 vom Donnerstag der Vorwoche. Derzeit werden 259 Menschen in Hamburger Kliniken wegen einer schweren Corona-Infektion behandelt, 79 davon auf Intensivstationen. Am Donnerstag hatte Hamburg neun weitere Corona-Todesopfer zu beklagen, insgesamt sind es nun 1296.