Hamburg. Kultur kam in der Erklärung Tschentschers nur in homöopathischen Dosen vor. Zunächst sind die Museen dran – so wollen sie vorgehen.
Geht es tatsächlich vorwärts, heraus aus dem „Nebel, der sich langsam lichtet“, wie es der Deutsche Kulturrat in seiner ersten Reaktion formulierte? Oder doch nur weiter im zermürbenden Kreis, mal einen Schritt vor, dann wieder anderthalb zurück?
Der Deutsche Eventverband jedenfalls ist „fassungslos über die Nicht-Öffnungsstrategie“; man hatte erhofft, „dass allen Branchen eine faire und ehrliche Perspektive aus dem Lockdown aufgezeigt wird. Warum zumindest draußen mit sicheren Hygienekonzepten, Schnelltests und digitaler Nachverfolgung keine Veranstaltungen durchgeführt werden dürfen, sei "nicht logisch nachvollziehbar".
Bei der Erklärung der Maßnahmen für Hamburg durch Bürgermeister Peter Tschentscher kam Kultur nur in homöopathischen Dosen vor, eingemeindet in der Bemerkung, dass die Erwartungen zur Öffnung auch in der Kultur "groß" seien und „dass immer so weit geöffnet wird, wie es möglich ist".
Brosda: Corona-Beschlüsse geben Kultur Perspektive
"Die Beschlüsse eröffnen der Kultur eine dringend notwendige Perspektive", urteilte Kultursenator Carsten Brosda. "Ich bin froh, dass wir endlich unter genau definierten Rahmenbedingungen erste Öffnungsschritte gehen können. Der Stufenplan schafft Klarheit und gibt konkret vor, welche Lockerungen unter welchen Bedingungen möglich sind. Wir werden nun die Beschlüsse umsetzen. Für die nächsten Wochen und Monate hoffe ich, dass Teststrategien und Impf-Fortschritt weitere Spielräume eröffnen."
Für Museen und Galerien scheint eine Tunnel-Ende-Ahnung derzeit vage erkennbar. Ab dem 8. März ist bei einer Inzidenz zwischen 50 und 100 der Einlass „mit vorheriger Terminbuchung und Dokumentation für die Kontaktnachverfolgung“ erlaubt. Mit Inzidenz unterhalb 50 ginge es ohne. "Es hat sich gelohnt, Max Beckmann bis Mitte März zu verlängern! Die Ausstellung kann nun voraussichtlich wenigstens noch vom 9. bis 14. März für reale Besuche geöffnet werden. Das freut uns sehr", meinte Kunsthallen-Direktor Alexander Klar. "Großes Glück ist das auch für die De-Chirico-Ausstellung, die wir nicht ein zweites Mal hätten verschieben können. Wir bereiten mit Hochdruck die Wiedereröffnung vor."
Hamburger Museen wollen Öffnung abstimmen
Bert Antonius Kaufmann, Kaufmännischer Direktor der Deichtorhallen, zeigte sich zuversichtlich: "Wir freuen uns sehr, dass die Bundespolitik die Museen mit ersten Lockerungsregeln bedacht hat. Viele Besucher haben sich im Lockdown gemeldet, um die Ausstellungen von William Kentridge und Katharina Sieverding zu sehen. Diese Projekte hatten wir vorsorglich bis in den Sommer verlängert. Auch die "Family Affairs"-Ausstellung kann voraussichtlich wie geplant zu Ostern öffnen. Wie immer stimmen wir uns mit allen Hamburger Museen und insbesondere den Häusern auf der Kunstmeile über eine gemeinsame Wiedereröffnung ab. Schutzkonzepte und Hygienemaßnahmen sind bereits vorbereitet, um nach einer Vorlaufzeit zügig zu öffnen."
Auch Andreas Hoffmann, Geschäftsführer des Bucerius Kunst Forum war erfreut: "Für uns ist das erstmal eine sehr gute Nachricht, auch wenn das eine sehr vorsichtige Wiedereröffnung ist." Die Braque-Schau könne nun also, wie geplant, theoretisch bis Ende April weiter gezeigt werden. "Kann man das tun? Ich glaube, man kann es gut tun", meinte Hoffmann und verwies auch auf die Klimasteuerung im vergleichsweise frisch eröffneten Ausstellungstrakt, die höchsten internationalen Standards entsprechen würde. "Wir sind sicher, dass jeder der unsere Räume gesund betritt, sie auch gesund wieder verlassen kann."
Corona-Gipfel: Das bedeuten die Beschlüsse für Hamburg
"Es schaut wirklich so aus, als würden wir bald öffnen, welche Freude!", frohlockte Tulga Beyerle, die Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe. "In jedem Fall sind wir bestens vorbereitet, nicht nur verfügen wir über 10.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, ausreichend Desinfektionsstationen, vor allem aber über vier Ausstellungen, die seit Wochen darauf warten, erkundet zu werden. Mit unserem Online-Ticketsystem ist es möglich, auch bei einer Inzidenz zwischen 50 und 100 das Haus zu besuchen, mit Maske sicher und für die kulturellen Entzugserscheinungen auf jeden Fall eine Entspannung."
Theater, Konzerthäuser und Kinos müssen warten
Andere Sparten müssen trotz ebenfalls längst ausgearbeiteter Hygienekonzepte weiter warten: Im "vierten Öffnungsschritt", frühestens am 22. März, dürften Theater, Konzert- und Opernhäuser sowie Kinos ihr Publikum mit einem tagesaktuellen Covid-19 Schnell- oder Selbsttest einlassen – vorausgesetzt, die Inzidenz bewegt sich zwischen 50 und 100. Wäre sie dann unterhalb der 50, entfielen diese Testpflichten.
Für Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter noch kein Grund zu konkreter Vorfreude: "Nichts Genaues weiß man nicht. Immerhin ein kleiner Fortschritt, weil bislang die 35 als Schwelle galt, über der man an Kultur gar nicht zu denken brauchte. Jetzt ginge, unter bestimmten Voraussetzungen, auch unter 100." Ein Neustart ins Konzert-Leben in gut zwei Wochen? Wohl nicht. "Wir wissen noch zu wenig, was das alles bedeutet. Und das größte Thema: Wie soll das mit den Tests organisiert werden? Ohne praktische Lösungen werden wir am 22. März noch nicht aufmachen können."
Kino-Branche kritisiert Corona-Beschlüsse
Die bundesweit leidende Kino-Branche hat unterdessen die frischen Beschlüsse als unzureichend kritisiert. "Letztlich wurde die Wiedereröffnung der Kultur weiter vertagt", sagte Christian Bräuer von der Arbeitsgemeinschaft Kino – Gilde. Und für den Verband HDF Kino erklärte Vorstand Christine Berg, die Öffnung bleibe zeitlich unklar und möglicherweise nicht bundesweit einheitlich. "Dies ist eine große Hürde für den Start neuer Filme."
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Die hiesigen Buchhandlungen sehen klar: Sie können als Einzelhandel des täglichen Bedarfs ab dem 8. März wieder öffnen. Es herrscht eine Mischung aus Dankbarkeit und Skepsis. "Hier sind so viele Bücher, die wir zeigen möchten, und endlich ist auch eine Beratung möglich", sagte Christiane Hoffmeister vom Büchereck Niendorf Nord, "anderseits ist das Virus nicht verschwunden und ich rechne damit, dass wir irgendwann wieder in den Lockdown müssen".
Bei Felix Jud am Neuen Wall gab es online Zuwächse, dennoch sagte die Inhaberin Marina Krauth: "Im Januar und Februar haben wir einen Umsatzrückgang von fast 70 Prozent zu verzeichnen". Was Abstands- und Hygieneregeln angehe, sei man für eine Öffnung geübt und vorbereitet. Im Hinblick auf Einzelhändler, die noch nicht öffnen dürfen, erklärte Krauth: "Wir erwarten keinen Groll, sowie wir auch keinen Groll beispielsweise gegenüber den Friseuren empfinden."