Hamburg. Josef Schuster, Chef des Zentralrats der Juden, wirbt für Wiederaufbau der historischen Synagoge – Kritik aus Israel weist er zurück.

Die Debatte um den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge schlägt international Wellen: 45 Historiker und Nachfahren von Hamburger Juden haben in einem Papier das Vorhaben kritisiert. Nun wehren sich Philipp Stricharz­, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, und Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, gegen die Anwürfe.

Hamburger Abendblatt: In Hamburg, aber auch in Israel wird engagiert über den Wiederaufbau der Synagoge diskutiert. Überrascht Sie dieses Echo?

Josef Schuster: Das ist eine bemerkenswerte Baumaßnahme – da darf uns ein großes Echo nicht überraschen. Etwas verwundert hat mich allerdings die jüngste Kritik von 45 Personen aus Israel: Diese Kritik kann ich in ihrer Heftigkeit nicht nachvollziehen. Was mich wirklich erschreckt hat, sind Historiker aus Israel, die den Wiederaufbau in einen Zusammenhang mit einer ‚erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad‘ stellen und damit die AfD zitieren. Eine solche Kritik diskreditiert sich selbst.

Philipp Stricharz: Viele in der jüdischen Gemeinde waren sehr verwundert und auch persönlich negativ berührt. Die Kritik geht an die Substanz, wenn man uns vorwirft, wir wollten Dinge vergessen machen oder gar geschichtsrevisionistisch sein. Unsere Gemeinde setzt sich fast komplett aus Shoah-Überlebenden und ihren Nachkommen zusammen. Wir sollten in dieser Debatte nicht übersehen: Es gibt eine breite Unterstützung für unser Vorhaben – und nur wenige Kritiker, die dann viel Raum bekommen.

Die Kritik aus Israel kam unter anderem von Avi Primor, dem langjährigen is­raelischen Botschafter in Berlin.

Stricharz: Ja, aber es bleibt eine kleine Zahl. Die israelische Regierung unterstützt uns, der Jüdische Weltkongress und der Zentralrat der Juden. Und die Hamburger Politik ohnehin.

Herr Schuster, warum bringen Sie sich als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland in die Debatte ein?

Schuster: Durch die internationalen Reaktionen hat das Projekt eine Dimension erreicht, die deutlich über Hamburg hinausgeht. Das gilt aber auch für die Bedeutung des Wiederaufbaus und für das Bauvolumen.

Hat Sie keines der Argumente der Kritiker nachdenklich gemacht?

Stricharz: Doch, ich habe gelernt, woher der starke Wunsch kommt, die heutige Gestaltung des Platzes beizubehalten: Viele Hamburger haben sich einst für das Mahnmal starkgemacht und ein Zeichen gegen das Vergessen gesetzt, übrigens gegen erhebliche Widerstände. Bis 1988 erinnerte nichts an die Zerstörung der Synagoge, dort war ein Uni-Parkplatz. Aber bei allem Respekt: Das Mahnmal am Bornplatz erzielt auch nicht die Wirkung, die manche ihm zuschreiben.

Viele Kritiker stoßen sich an einem Wiederaufbau. Warum soll es ausgerechnet ein Bau aus der wilhelminischen Zeit sein?

Stricharz: Der Stil ist gar nicht entscheidend. Es geht um etwas anderes: Die Hamburger Juden haben 1906 das Gebäude mit demselben Ziel errichtet, das wir heute verfolgen. Es ging darum, ein stolzes Zeichen zu setzen, dass wir in die Mitte der Stadt gehören und sichtbar sind. Dieses Signal konnten die Nazis nicht ertragen und haben die Synagoge zerstört. In den 50er-Jahren haben die Behörden die Stadt und die Kirchen wiederaufgebaut – aber die Enteignung von ca. 30 Liegenschaften der jüdischen Gemeinde, darunter der Bornplatz, wurde mit einer Zahlung von 1,5 Millionen Mark an eine Organisation in London, die Jewish Trust Corporation, endgültig abgegolten. Die Gemeinde wurde in diese Gespräche nicht einmal einbezogen. Nun geht es der Gemeinde darum, die Synagoge als selbstbewusstes Zeichen wieder zu errichten.

Geht das nicht auch in Form eines modernen Baus?

Schuster: Das ginge natürlich auch mit einer modernen Synagoge. Aber in der Rekonstruktion liegt ein besonderer Reiz: Er zeigt den besonderen Stellenwert, den die jüdische Gemeinde in der Hansestadt einst besaß. In diesem Jahr feiern wir 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland – da passt dieses Signal besonders gut. Ich will nicht die Synagoge mit einem Dom gleichsetzen – aber wir schätzen doch alle gerade die alten Sakralbauten­, die nach der Zerstörung im Krieg im ursprünglichen Stil wiederaufgebaut wurden.

Ist das Hamburger Projekt am Ende ein jüdisches Pendant zum Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden?

Schuster: Der Gedankengang geht jedenfalls in dieselbe Richtung.

In dem Bürgerschaftsbeschluss wird „die Wiedererrichtung einer repräsentativen Synagoge“ gefordert, in der Ausschreibung für die Machbarkeitsstudie heißt es hingegen: „Die Jüdische Gemeinde in Hamburg strebt den Wiederaufbau an.“ Das klingt nach einer Festlegung.

Stricharz: Ja, das ist trotz aller Debatten fast Konsens in der Gemeinde. Es geht aber nicht um eine einfache Kopie des Vergangenen. Das Gebäude soll durchaus zeigen, dass es die Zerstörung gab. Das Innere wird modern gestaltet, nur die Fassade orientiert sich am früheren Bau. Es wird deutlich werden, dass es nicht die alte Synagoge, sondern ein Wiederaufbau ist. Was da am Ende entsteht, können wir erst wissen, wenn die Machbarkeitsstudie vorliegt. Dann bedarf es einer öffentlichen Debatte, die von unserer Gemeinde geprägt wird, aber natürlich auch andere zu Wort kommen lässt.

Die zerstörte Synagoge auf dem Bornplatz am Grindel.
Die zerstörte Synagoge auf dem Bornplatz am Grindel. © www.hamburg-bildarchiv.de | www.hamburg-bildarchiv.de

In der Ausschreibung heißt es auch: Die Angebotsbewertung erfolgt durch die jüdische Gemeinde. Sind die Politik und der Oberbaudirektor damit raus?

Stricharz: Nein. Die Angebotsbewertung muss durch die erfolgen, die es baut und nutzt – also die jüdische Gemeinde. Es ist ja eine Synagoge für Hamburger Juden. Aber wir tun das in sehr enger Abstimmung mit dem Senat, der Stadtentwicklungsbehörde und dem Bezirksamt.

Kritiker warnen, ein Wiederaufbau übertünche die Geschichte …

Schuster: Das ist Unsinn. Sie haben selbst das Beispiel der Frauenkirche gebracht. Da habe ich diese Kritik nie gehört. Ganz im Gegenteil: Ein wieder errichtetes Gotteshaus an diesem Ort weist zugleich darauf hin, was dort geschehen ist.

Stricharz: Manche Kritik ist wirklich überzogen – am Ende soll quasi am Bornplatz die gesamte Erinnerung an die Shoah und die Verbrechen der Nazis hängen. Das wäre dann doch etwas zu viel für diesen Platz.

Das Bodenmosaik von Margrit Kahl wurde 1988 mit Beteiligung der Jüdischen Gemeinde und Holocaust-Überlebenden eingeweiht – kann es integriert werden?

Stricharz: Die Machbarkeitsstudie muss zeigen, ob sich das Bodenmosaik integrieren lässt. Es geht um den würdevollen Umgang damit, aber es kann nicht moralisch mit der alten Synagoge und ihrer Zerstörung auf eine Stufe gestellt werden. Wir benötigen kein Gedenken an ein Bodenmosaik, das ist kein Heiligtum. Ich hoffe aber, es lässt sich integrieren.

Was wird aus der Synagoge an der Hohen Weide?

Stricharz: Da gibt es viele Wünsche von außerhalb. Es wäre religiös zulässig, die Synagoge aufzugeben.

Wie wollen Sie die Unschlüssigen in der Debatte überzeugen?

Schuster: Ich möchte ausdrücklich die derzeitige Gestaltung des Platzes anerkennen, die es erst seit 1988 in dieser Form gibt. Aber jetzt sind wir weiter und können eine bessere Möglichkeit schaffen. Das Bessere ist der Feind des Guten.

Wie schätzen Sie die Stimmung in der Stadt ein?

Stricharz: Das Interesse ist gewachsen – und dadurch auch die Zahl der Befürworter. Er ist schön zu sehen, dass uns viele unterstützen. Auch die meisten Kritiker wollen ja das Beste für die Erinnerungskultur. Ich möchte aber vor allem die Frage beantworten, was das Beste für die heutige jüdische Gemeinde ist.

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Gibt es ein vergleichbares Projekt im deutschen Sprachraum?

Schuster: Was Hamburg vorhat, ist ein Alleinstellungsmerkmal. Der letzte große Synagogenbau war in München, dort aber mit moderner Architektur und nicht am historischen Ort der zerstörten Hauptsynagoge. Ich wäre definitiv gern bei der Eröffnung der Bornplatzsynagoge dabei, in welcher Funktion auch immer.

Wann könnte das denn so weit sein?

Stricharz: Mein Horizont sind sechs bis acht Jahre.