Hamburg. 20 Jahre lang besuchen Hinterbliebene das Grab in Altona – doch dort ist Familienvater Hans-Jürgen H. gar nicht beigesetzt.
An die Trauerfeier seines Vaters Hans-Jürgen H. kann sich sein Sohn Pascal noch genau erinnern. Es war vor 20 Jahren auf dem Hauptfriedhof Altona. In der Trauerhalle stand der Sarg, danach kam der Leichnam ins Krematorium.
Es war der Wunsch des Vaters gewesen, dass er anonym auf diesem Friedhof bestattet wird. Der leidenschaftliche HSV-Fan wollte in unmittelbarer Nähe zum Volksparkstadion seine letzte Ruhe finden. Die Urnenbeisetzung fand später ohne Angehörige statt.
20 Jahre lang besuchten Sohn und Mutter Gisela gemeinsam das anonyme Urnenfeld auf dem Hauptfriedhof Altona, um ihres Vaters beziehungsweise Mannes zu gedenken. Anfang dieses Jahres nun starb Mutter Gisela, und der Sohn nahm Kontakt mit dem Bestattungsunternehmen auf, das die Trauerfeier für seinen Vater organisiert hatte. Damals hieß es „Bock Bestattungen seit 1861“. Nach einer Neugründung als „Bestattungen seit 1861“ hat es mittlerweile einen anderen Besitzer.
Bestatter beichtet: Urne auf Mennoniten-Friedhof
Mit einem gewissen Grundvertrauen und den alten Rechnungen begab sich Pascal H. zum neuen Inhaber Silvio Hankel. Die direkten und telefonischen Gespräche endeten allerdings mit einem jähen Entsetzen, so dass sich der Sohn nach einem neuen Bestattungsunternehmen für seine gerade verstorbene Mutter umsehen musste. „Es war fürchterlich, was ich da erfahren habe“, sagte Pascal H. dem Abendblatt.
Bestatter Silvio Hankel hatte nämlich eingeräumt, dass der Vater damals nicht auf dem Altonaer Hauptfriedhof beigesetzt wurde. Statt dessen befindet sich die Urne auf dem Mennoniten-Friedhof am Holstenkamp. Der gilt als besonders preiswert; er sei ein „Discount-Friedhof“, heißt es in der Branche. Die anonyme Bestattung einer Urne kostet dort derzeit nur 350 Euro. Hat der ehemalige Bestatter unseriöse Geschäfte betrieben? Das ist die Frage, die Pascal H. und neuerdings auch die Polizei bewegt.
Polizei prüft Strafverfahren wegen Betrug
Sohn Pascal hat nämlich Anzeige bei der Hamburger Polizei erstattet. Eine Sprecherin der Hamburger Polizei bestätigte den Sachverhalt. „Derzeit wird geprüft, ob gegen das Bestattungsinstitut ein Strafverfahren wegen des Verdachts des Betruges eingeleitet wird.“ Weitere, ähnlich gelagerte Fälle im Zusammenhang mit diesem Institut lägen allerdings nicht vor.
Pascal H. hat aber inzwischen erfahren, dass seine beiden Großeltern entgegen ihrem Willen in den 1990er Jahren ebenfalls nicht auf dem Altonaer Hauptfriedhof, sondern auf dem Mennoniten-Friedhof bestattet wurden. Er ist der kleinste Friedhof Hamburgs und gehört der Mennonitischen Gemeinde.
Bestatter könnte bewusst falsch abgerechnet haben
Anruf bei der Verwaltung des Mennoniten-Friedhofs. Eine Mitarbeiterin sagte am Dienstag dem Abendblatt: „Dem Bestatter Herrn Hankel vertraue ich.“ Was früher gewesen sei, könne sie allerdings nicht sagen. Und dann fügte sie überraschenderweise hinzu: „Meine Oma wurde vor vielen Jahren ebenfalls nicht, wie gewünscht, auf dem Altonaer Hauptfriedhof bestattet, sondern hier – auf dem Mennoniten-Friedhof.“
Abendblatt-Recherchen haben ergeben, dass die Firma „Bestattungen seit 1861“ bei den großen Hamburger Friedhöfen nicht in Erscheinung tritt. Das wird als „auffällig“ bewertet. Es könnte eine Masche gewesen sein, dass der Bestatter bewusst falsch abgerechnet habe.
Bezirksamt Altona rät zur Kontaktaufnahme mit Friedhof
Im Kirchengemeinde-Verband Altona, der vier kirchliche Friedhöfe verwaltet, ist derweil zu vernehmen, dass man dort seit vielen Jahren nicht mehr mit diesem Bestatter zusammenarbeitet, „weil er immer Schulden“ gehabt habe.
Das Bezirksamt Altona hat erst jetzt Kenntnis von den falschen Bestattungen erhalten. Der Altonaer Hauptfriedhof habe bestätigt, dass Hans-Jürgen H. dort nicht bestattet sei. Mike Schlink, Sprecher des Bezirksamtes Altona, rät möglicherweise anderen Angehörigen: „Wer unsicher ist, ob anonym bestattete Personen tatsächlich auf dem Altonaer Friedhof bestattet wurden, kann sich gern an diesen Friedhof wenden.“
Nachfolger des Bestatters weist die Vorwürfe zurück
Silvio Hankel, Inhaber des Instituts „Bestattungen seit 1861“ weist die Betrugsvorwürfe zurück. Die Unterlagen seien noch alle erhalten, betont er. Demnach fanden die Trauerfeiern auf dem Hauptfriedhof Altona statt, weil der Mennoniten-Friedhof keine eigene Trauerhalle habe. Die Urnen seien dort beigesetzt worden. „Alles wurde korrekt fakturiert, auch und gerade unter Berücksichtigung der geringeren Gebühren für den Mennoniten-Friedhof.“
Lesen Sie auch:
- CDU will Kolumbarium auf dem Bergedorfer Friedhof
- Jetzt kommt das Leichensack-Verbot für Corona-Tote in Hamburg
- Grabpflege – Senioren fühlen sich übergangen
Als Außenstehenden, der das Institut im Jahr 2006 neu gegründet hatte, erschließe sich ihm der Vorwurf des Betrugs nicht. Zudem habe Pascal H. Einblick in die 20 Jahre alten Unterlagen erhalten.
Urne wurde auf Altonaer Friedhof umgebettet
So dubios die Methoden des früheren Bestattungsunternehmens gewesen sein mögen, Pascal H. ist am Ende ein wenig erleichtert: Auf dem Mennoniten-Friedhof konnte die noch gut erhaltende Urne seines Vaters ausgegraben werden. Sie wurde jetzt umgebettet und liegt auf einem Gräberfeld des Hauptfriedhofs Altona – direkt neben seiner Frau Gisela und nicht weit vom Volksparkstadion.