Norderstedt. Stadt Norderstedt steigt aus der privaten Grabpflege aus, da die Einnahmen die Kosten nicht decken. Seniorenbeirat will den Betroffenen helfen.

.„Wir Alten halten das für einen Skandal!“, sagt Harald Hensen. Er ist sauer. Die städtische Friedhofsverwaltung wird das Grab seiner Frau in Friedrichgabe nicht länger pflegen. Mitte Dezember lag die zwei Seiten lange Kündigung der Stadt Norderstedt im Briefkasten des 88-Jährigen. Ohne Vorwarnung, wie er sagt. Ähnlich dürfte es 474 weiteren Norderstedtern gegangen sein, die die Gräber ihrer verstorbenen Angehörigen auf einem der drei städtischen Friedhöfe von Stadtgärtnern pflegen lassen. Der Grund: Die bisher veranschlagten Entgelte seien zu niedrig gewesen. Die Kosten würden nicht gedeckt und hätten den privaten Friedhofsgärtnern das Überleben unnötig schwer gemacht.

Bereits im September des vergangenen Jahres hatte das Betriebsamt der Stadt Norderstedt angefangen, die Entgelte für Grabpflege neu zu kalkulieren. Laut diesen Berechnungen hätten die Entgelte für das Bepflanzen, Wässern und Pflegen der Gräber in Harksheide, Friedrichgabe und Glashütte ab 2021 zum Teil drastisch erhöht werden müssen, um die Kosten langfristig zu decken. In der Beschlussvorlage für den Umweltausschuss wies das Betriebsamt zudem darauf hin, dass sich zukünftig die Frage stelle, „ob die Stadt Norderstedt die Grabpflegeleistungen weiterhin im Wettbewerb erbringen will/soll, oder sich aus der privaten Grabpflege dauerhaft zurückzieht“.

Den Vorschlag des Betriebsamtes, die Friedhofspflegeentgelte anzupassen, zog die Verwaltung im Oktober zunächst zurück. Mitte November wurde der Vorschlag erneut im Umweltausschuss vorgelegt. Die FDP brachte daraufhin einen Änderungsantrag ein, der von der AfD erweitert und schließlich einstimmig beschlossen wurde. Der Vorschlag: Die private Grabpflege durch die Stadt Norderstedt beziehungsweise das Betriebsamt soll eingestellt werden.

„Die Verwaltung hatte dargelegt, dass es kostenmäßig vorne und hinten nicht hinkommt. Für die Stadt war es also ein großes Zuschussgeschäft und das wäre es auch nach der Erhöhung der Entgelte geblieben. Für uns war daher der Zeitpunkt gekommen, damit nicht mehr weiterzumachen“, sagt Tobias Mährlein, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP. Alle Parteien stimmten sowohl im Umweltausschuss als auch im Dezember in der Stadtvertretung einstimmig dafür, ab Januar 2021 keine neuen Verträge über die Grabpflege auf städtischen Friedhöfen mehr abzuschließen und bestehende Verträge nicht zu verlängern. Davon ausgenommen sind Altverträge und Legate. Dabei handelt es sich um Pflegeverträge, die man früher mit dem Erwerb eines Grabes abschließen konnte.

Die Stadt verschickte einen Serienbrief an 475 Kunden

Unmittelbar nach dem Stadtvertreter-Beschluss habe das Betriebsamt einen Serienbrief an alle 475 Kundinnen und Kunden verfasst, sagt Betriebsamtsleiter Martin Sandhof. „Wir haben alle Verträge ordnungsgemäß gekündigt.“ Bei diesen habe es sich um Jahresverträge gehandelt, die einer Verlängerung jeweils zum 28. Februar – auch stillschweigend – bedurften, so Sandhof. Die Stadt habe zudem ein jederzeitiges Kündigungsrecht.

Senioren wie Harald Hensen sehen sich nun dazu gezwungen, eine private Friedhofsgärtnerei zu beauftragen. Der 88-Jährige ließ das Grab seiner Frau auf dem städtischen Friedhof in Friedrichsgabe seit etwa vier Jahren von der Friedhofsverwaltung pflegen. Dafür zahlte er bisher 222 Euro im Jahr. „Im Frühjahr, im Sommer und im Herbst haben sie das bepflanzt und im Winter abgedeckt“, sagt er im Gespräch mit dem Abendblatt. Hensen hat bereits erste Angebote von privaten Friedhofsgärtnern eingeholt. „Einer möchte 350 Euro, der Zweite 360 Euro und der Dritte 425 Euro“, zählt Hensen auf. Hätte die Stadt die Entgelte erhöht, hätte der 88-Jährige laut den Berechnungen des Betriebsamtes ebenfalls um die 400 Euro zahlen müssen. Dieses Angebot hätte Hensen trotzdem gerne bekommen. „Die Pflege direkt einzustellen, finde ich unfair“, sagt der Norderstedter.

„Der Beschluss kam vielleicht etwas kurzfristig“, sagt Dagmar Feddern, umweltpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Sie plädiert dafür, insbesondere ältere Bürgerinnen und Bürger bei der Suche nach einem privaten Anbieter zu unterstützen. Zurücknehmen würde sie den Beschluss nicht. „Wir haben einheitlich entschieden, das Betriebsamt zu entlasten. Auch damit sich die städtischen Mitarbeiter wieder verstärkt um das ökologische Bewirtschaften und die Pflege des öffentlichen Grüns kümmern können“, so Feddern.

Auch Sybille Hahn, stellvertretende Stadtpräsidentin und umweltpolitische Sprecherin der SPD, kann den Ärger nachvollziehen. Aus finanzieller Sicht und zum Schutz der Privatwirtschaft sei die Entscheidung jedoch richtig gewesen. „Wir müssen natürlich auch darauf schauen, dass nicht jeder Steuerzahler diese Aufgaben mitfinanzieren muss.“ Zudem gebe es einen Passus in der Gemeindeordnung, der besagt, dass die Kommune keine Aufgaben übernehmen soll, die auch privatwirtschaftlich angeboten wird.

Jürgen Peters, Sprecher des Seniorenbeirats in Norderstedt, glaubt, dass das Angebot aus der Privatwirtschaft das städtische Angebot nicht ersetzen kann. „Das häufige Wässern im Hochsommer gehört ja mit zur Grabpflege, nicht nur das Bepflanzen jedes Vierteljahr“, sagt er. „Es ist ein Unding, dass man die Grabpflege auf den städtischen Friedhöfen eingestellt hat“. Die Politiker hätten zunächst auf die Bürger zugehen und das Gespräch suchen sollen.

Auch Harald Hensen fühlt sich übergangen – und ist nicht allein. „Die alten Rollator-Fahrer kennen sich untereinander, und ich kenne einige Senioren, denen es ähnlich geht.“ Bei Jürgen Peters haben sich bereits zehn Bürgerinnen und Bürger beschwert. Im Seniorenbeirat wolle man nun darüber beraten, wie es weitergeht. Für Peters steht fest: „Da muss etwas passieren!“