Hamburg. Bisher wurden an Covid-19 Verstorbene in Bodybags beerdigt. Doch nun ist das in Hamburg und Schleswig-Holstein nicht mehr möglich.
Das Thema ist brisant – und sorgt derzeit für heftige Diskussionen: Die Bestattung von Menschen, die an Covid-19 verstorben sind. Bisher sind die Corona-Toten, sofern sie nicht eingeäschert wurden, in einem Sarg und einem so genannten Bodybag (Leichensack) bestattet worden. Doch dieser Einsatz von Leichensäcken bei Erdbestattungen ist künftig auf vielen Friedhöfen in Hamburg und Schleswig-Holstein verboten.
Der Grund: Da die Bodybags biologisch nicht abbaubar sind, kommt es zu einer nachhaltigen biologischen, chemischen und physikalischen Veränderung des Bodens – und des Grundwassers. Da genau das laut Bestattungsgesetz und Bestattungsverordnung jedoch nicht passieren darf, haben sowohl die Hamburger Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (Bukea) als auch das Sozialministerium in Kiel jetzt ein entsprechendes Verbot erlassen.
Leichensack-Verbot für Corona-Tote: Grund ist eine Plastikverordnung
Begründet wird die Entscheidung mit der Einwegkunststoffverbotsverordnung, wonach Gegenstände aus so genanntem oxo-abbaubaren Kunststoff nicht mehr verkauft werden dürfen, da diese Art von Kunststoff – trotz Zerfalls – Mikroplastik hinterlässt. Obwohl das Einwegkunststoffverbot erst im Juli dieses Jahres in Kraft tritt, haben sich viele städtische und kirchliche Friedhofe bereits jetzt zu einem Verbot von Bodybags entschieden.
„Neben der Belastung der Friedhofsböden führt die Beisetzung Verstorbener in Leichenhüllen aus Kunststoff dazu, dass Verwesungsprozesse nicht innerhalb der festgelegten Zeiträume natürlicherweise ablaufen können“, sagt Björn Marzahn, Sprecher der Hamburger Umweltbehörde.
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Da Särge und Urnen laut Bestattungsverordnung jedoch genau so beschaffen sein müssen, dass eine Verwesung der Leichen innerhalb der festgesetzten Ruhezeit möglich ist, habe man sich bereits jetzt für das Verbot ausgesprochen, so Marzahn. In einer Stellungnahme des Sozialministeriums heißt es: „Somit ist eine Bestattung in der Leichenhülle grundsätzlich nicht zulässig.“
Kirchenkreis hat nun in Kraft tretendes Leichensack-Verbot angestoßen
Der Kirchenkreis Hamburg-Ost hatte die Hamburger Bukea sowie das Sozialministerium um die Stellungnahmen gebeten. „Wir haben um die Klärung des Sachverhalts gebeten, da es unserer Meinung nach einen Widerspruch zwischen der Bestattung in Bodybags und der Bestattungsverordnung gibt“, sagt Dirk Abts, Friefhofsbeauftragter des Kirchenkreises Hamburg-Ost, der in den letzten Monaten intensiv zu dem Thema recherchiert hat.
Nachdem er vom Hamburger Institut für Rechtsmedizin erfahren habe, dass alle Covid-19-Verstorbenen in Bodybags an die Bestatter übergeben werden, habe er sich zunächst an die Bestatter-Innung und dann an die zuständigen Behörden gewandt. „Wir wollen die Arbeit der Bestatter nicht unnötig erschweren, mussten uns bei der Behörde und dem Ministerium aber Klarheit darüber verschaffen, was rechtlich gestattet ist“, so Abts.
Bestatter befürchtet Ansteckungsrisiko bei Umbettung
Bei den Bestattern sorgt der Erlass für heftige Kritik. Sie befürchten, dass es bei der Umbettung eines Verstorbenen mit Covid-19 von dem Leichensack in den Sarg zu massiven Gesundheitsrisiken kommt. „Das Virus stirbt nicht. Daher sind die Betroffenen auch nach dem Tod ansteckend“, erklärt Frank Kuhlmann, Obermeister der Bestatter-Innung Hamburg.
Aus diesem Grund werden Covid-19-Verstorbene bereits im Krankenhaus in luftdichte Leichensäcke, die Bodybags, gebettet und darin transportiert. Anders als bisher dürfen sie in diesem Leichensack jedoch nicht mehr in den Sarg gelegt werden, sondern müssen aus der Hülle herausgeholt und in den Sarg umgebettet werden. Laut Kuhlmann sei das ein nicht verifizierbares Risiko, gerade im Hinblick auf die neue Virusvariante.
Robert-Koch-Institut: Corona-Tote können weiter infektiös sein
„Dieses Vorgehen würde den Beschäftigten im Bestattungswerbe ein zusätzliches Infektionsrisiko aufbürden“, sagt auch Björn Helmke, Sprecher der Berufsgenossenschaft Verkehr, und verweist auf eine aktuelle Stellungnahme des Robert-Koch-Instituts.
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Darin heißt es, dass „nach bisherigem Kenntnisstand von einer Infektiosität Verstorbener auszugehen ist, die mit Sars-CoV-2 infiziert sind. So werden Körperflüssigkeiten, insbesondere aus den Atemwegen über den Zeitraum weniger Tage als infektiös angesehen. Dies gilt auch für Rückstände von Körperflüssigkeiten auf Kleidung, Haut und Umgebung des Verstorbenen.“
Bundesverband der Bestatter übt Kritik an Leichensack-Verbot
Auch der Bundesverband Deutscher Bestatter befürchtet, dass die Gefahr einer Ansteckung steigt. „Auch wenn wir die Bedenken bezüglich des Einsatzes von Bodybags nachvollziehen können: Am wichtigsten sollte es doch sein, eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. Wie kann es sein, dass auf der einen Seite alles getan wird, um die Menschen zu schützen – aber auf der anderen Seite billigend in Kauf genommen wird, andere Menschen wie die Bestatter bewusst einer Gefahr auszusetzen“, so Stephan Neuser, Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Bestatter.
Bodybags seien schon immer eingesetzt worden – auch vor Corona. Daher sei es verwunderlich, warum die Diskussion ausgerechnet jetzt geführt werde. Schließlich befände man sich derzeit in einer Ausnahmesituation – einer extremen Pandemie – und müsse sich fragen, was in dieser Situation am wichtigsten sei.
Rechtsmedizin geht nicht von erhöhtem Infektionsrisiko aus
Das Problem: Nicht alle Bestatter hätten Versorgungsräume, die nach der Umbettung wie vorgeschrieben desinfiziert werden könnten. Zudem koste die nötige Schutzausrüstung, die man laut Empfehlung des Robert Koch Institutes tragen soll, nach Schätzungen des Bundesverbandes Deutscher Bestatter zwischen 86 und 120 Euro. „Und da ist die Arbeitszeit noch nicht berücksichtigt“, so Neuser.
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Rückendeckung bekommt die Hamburger Umweltbehörde von der für Arbeitsschutz zuständigen Sozialbehörde sowie dem Hamburger Institut für Rechtsmedizin. „Unter Beachtung adäquater Schutzmaßnahmen ist bei dieser Umbettung zumindest nicht von einem erhöhten Infektionsrisiko auszugehen“, so Professor Benjamin Ondruschka, Leiter des Institut für Rechtsmedizin.
Friedhofsverwalter begrüßen Corona-Neuregelung: Leichensack zersetzt sich nicht
Mit dem Verbot von Bodybags bei Erdbestattungen gehören Hamburg und Schleswig-Holstein zu den Vorreitern auf dem Gebiet. „Andere Bundesländer sind leider noch nicht so weit“, sagt Dr. Michael C. Albrecht, Sprecher des Verbandes der Friedhofsverwalter Deutschland (VFD). Bereits im vergangenen Jahr, kurz nach Ausbruch der Pandemie, sei man auf die Problematik aufmerksam geworden – habe damals aber nicht viel unternehmen können. „Da Bestatter damals nicht als systemrelevant galten, war es für sie schwer, an Schutzausrüstungen heranzukommen, um Covid-19-Verstorbene umbetten zu können“, so Albrecht.
Da Schutzausrüstungen jetzt jedoch keine Mangelware mehr seien, gebe es keinen Grund mehr dafür, die Verstorbenen weiterhin mit den Bodybags in den Särgen zu bestatten. „Aus unseren Erfahrungen wissen wir, dass sich das Material im Erdboden in 1,80 Meter Tiefe nicht zersetzt – so wie in den Bestattungsgesetzen vorgeschrieben ist, und daher auch keine 100-prozentige Verwesung stattfindet“, sagt Albrecht und verweist auf Fälle, in denen Mitarbeiter bei der Einebnung und Neubelegung von Grabstätten nach 25 Jahren auf nicht zersetzte menschliche Überreste gestoßen seien. „Das ist nicht nur ein furchtbarer Fund für die Mitarbeiter – sondern auch sehr teuer." Die Mehrkosten für die Räumung belaufen sich in dem Fall auf 1000 bis 1500 Euro – pro Grabstelle.
Corona-Leichen: "Wenn wir jetzt nicht handeln, holt uns das Thema irgendwann wieder ein"
„Bisher waren das Einzelfälle, in denen Bodybags eingesetzt wurden. Das ist im Zuge der Corona-Pandemie anders geworden – und daher nicht mehr tragbar“, so das Fazit von Albrecht. Nach seinen Angaben werden etwa 15 bis 20 Prozent der Covid-19-Verstorbenen nicht eingeäschert, sondern erdbestattet – bei mehr als 67.000 Todesopfern entspricht das etwa 13.000 Bestattungen in Bodybags.
„Wenn wir jetzt nicht handeln, holt uns das Thema irgendwann wieder ein – und wir stehen in 25 Jahren vor einem massiven Problem“, sagt Albrecht und warnte gleichzeitig vor dem Irrglauben, dass es biologisch abbaubare und kompostierbare Leichenhüllen gebe. „Wenn diese damit werben, kompostierbar zu sein, bezieht sich das auf eine Zersetzung im Rahmen eines technisch gesteuerten Kompostierungsverfahrens unter Licht- und Lufteinfluss. Doch das kann man in keiner Weise mit dem Zustand in 1,80 Meter Tiefe in der Erde vergleichen“, so der Friedhofsexperte.
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Aus Sicht der Friedhofsverwaltungen sei es nicht nachvollziehbar, dass derzeit Verstorbene in nicht-abbaubaren Bodybags eingesargt werden und Friedhöfe sich später um die Entsorgung der Kunststoffhüllen und der darin enthaltenen Wachsleichen kümmern müssen. Die Hamburger Umweltbehörde unterstreicht: „Das Bestattungsgewerbe ist dem Ethos des pietätvollen Umgangs mit den Verstorbenen verpflichtet, deswegen gehen wir von einer Verständnis für die Regelung aus.“