Hamburg. Vor 200 Jahren, am 16. Februar 1821, wurde Afrikaforscher Heinrich Barth geboren. Erinnerungen an einen unkonventionellen Hamburger.
Er durchstreifte Mitte des 19. Jahrhunderts mit Karawanen auf 17.000 Kilometern die Sahara und Teile Nordafrikas, schlug sich mit Räubern und Malaria herum. Und er schaffte es als europäischer Christ und „Ungläubiger“, die damals sagenumwobene Oasenstadt Timbuktu zu erreichen – und zu überleben. Sein Sprachtalent und ein tiefes Verständnis für den Islam und afrikanische Kulturen halfen ihm dabei. Und doch stand und steht der vor 200 Jahren am 16. Februar 1821 in Hamburg geborene Geograf und Historiker Heinrich Barth im Schatten berühmter Afrika-„Entdecker“ seiner Zeit wie Livingstone oder Stanley.
Zu Unrecht, sagt der Buxtehuder Autor, Übersetzer und Herausgeber Dieter Schöneborn, der zum 200. Geburtstags Barths nun eine Biografie mit vielen zeitgenössischen Quellen geschrieben hat, die Barth und seine Bedeutung für heute umfassend beschreibt. „Rückblick in die Zukunft“, heißt der Titel.
Kernthese: Hätten sich die Europäer damals schon, am Vorabend des Kolonialismus mit all seinen rassistischen Ausprägungen, die vorurteilsfreie Sicht des Wissenschaftlers Barth auf Sprachen, Kulturen und Geschichte Afrikas zu eigen gemacht, gäbe es heute ein besseres, respektvolleres Verhältnis zwischen beiden Kontinenten.
Warum gelang Barth nicht, mehr Menschen für seine Sicht auf Afrika zu gewinnen?
Doch warum kam es anders, warum gelang es dem früh verstorbenen Barth nicht, mehr Menschen für seine Sicht auf Afrika zu gewinnen? Schöneborn nimmt einen bei der Beantwortung solcher Fragen mit auf die Reise von der Kindheit Barths zu den Expeditionen nach Afrika und schließlich zum vielleicht tragischen Ende in Berlin.
Der spätere Afrikaforscher wächst in Hamburg als Sohn eines wohlhabenden Fleischereibesitzers auf, der selbst aus eher bescheidenen Verhältnissen kommt. Vielleicht aus dieser Erfahrung heraus fördert der Vater den so wissbegierigen, aber auch etwas eigenbrötlerischen Spross. Barth vertieft sich oft ins Lernen, ist aber früh auch sportlich sehr aktiv. Schon mit zehn Jahren tritt er der Hamburger Turnerschaft bei. 1839 macht er auf dem Johanneum in Winterhude sein Abitur und geht mit 18 Jahren bereits an die Universität nach Berlin, wo er Geografie und Altertumskunde belegt und sich in Sprachen weiterbildet: Englisch, Französisch – und auch Arabisch.
Faszination für Afrika
Wie verbissen er sich ins Studium gräbt, zeigt ein Brief an die Eltern: „Wenn ich zu Euch komme, besuche ich also niemanden und muss durchschnittlich täglich acht Stunden zu meinem Studium haben“, schreibt er da. 1844 promoviert Barth und unternimmt eine erste, vom Vater finanzierte Studienreise durch Nordafrika und den vorderen Orient, wo er bei einem Raubüberfall angeschossen wird. Zurück in Berlin, wird er Privatdozent, der allerdings für absehbare Zeit keine Aussicht auf eine ordentliche Professur hat.
Womöglich war das neben seiner Faszination für Afrika auch der Grund, warum er schließlich auf die Vermittlung Alexander von Humboldts hin seine Teilnahme an einer britischen Expedition zusagt, die tief in den für Europa so unbekannten Kontinent vorstoßen soll. Leiter der Expedition ist der Brite James Richardson, ein Missionar und Puritaner. Die Abschaffung der Sklaverei und die Missionierung sind seine erklärten Ziele. Barth und der ebenfalls aus Hamburg stammende Geologe Adolf Overweg sind sozusagen die wissenschaftliche Begleitung dieser Reise, die schließlich mehrere Jahre dauern sollte.
Barth entdeckte auch uralte Felszeichnungen
Der Auftrag der britischen Regierung besteht im Wesentlichen darin, die Sahara zu durchqueren, Handelsbeziehungen mit den Völker jenseits davon zu knüpfen und dort auch Wasserwege zu erkunden, die vom Tschadsee zum Meer führen. 1849 startet die Expedition, 1850 erreicht man mithilfe von Turareg-Nomaden die große Wüste. Barth macht sich unentwegt Notizen, studiert die verschiedenen Sprachen und entdeckt bei seinen Streifzügen prähistorische Felszeichnungen, die nicht nur von frühen Kulturen zeugen, sondern auch von einer einstmals üppigen Vegetation in dieser so unwirtlichen Gegend.
Doch die Strapazen der Reise in langen Kamel-Karawanen sind beschwerlich, lebensfeindlich, vor allem in den feuchteren Gebieten südlich der Wüste. 1851 stirbt der Expeditionsleiter Richardsen an einem Fieber, Overweg ein Jahr später. In Europa geht man lange davon aus, dass auch Barth die mehrjährige Expedition nicht überlebt hat. Doch der zähe Geograf übernimmt die Leitung und erreicht mit seinen Leuten 1853 schließlich die legendäre Oasenstadt Timbuktu. Er gibt sich zunächst als türkischer Gelehrter aus, weil Christen der Zutritt verboten ist.
Im 13. Jahrhundert war die Stadt eine bedeutende Metropole des Kontinents, ein Zentrum des Handels und des Wissens; 250.000 Menschen sollen dort gelebt haben, darunter 25.000 Studenten – riesige Dimensionen im Vergleich mit europäischen Städten des Mittelalters. Als Barth Timbuktu erkundet, ist die Stadt zwar längst nicht mehr von dieser Größe, aber es gibt genug Zeugnisse für den Wissenschaftler Barth, um diese einstige Hochkultur beschreiben zu können.
Heute kann man Heinrich Barth als einen Pionier moderner Afrikaforschung betrachten
Sein Leben ist hier als Christ in ständiger Bedrohung, er wird als Spion für Frankreich verdächtigt, das gerade Algerien erobert hat. Barth überlebt nur, weil er unter dem Schutz eines berühmten Korangelehrten steht, mit dem er stundenlang über Christentum und Islam philosophieren kann. 1855, sechs Jahre nach Beginn der Expedition, kehrt Barth nach Europa zurück. Hier schreibt er gleichzeitig die englische wie die deutsche Fassung seines 3500-seitigen Reiseberichts. Doch eine vielleicht erhoffte glanzvolle Karriere bleibt aus. Mit seinem Bericht kann er zudem nicht den Massengeschmack treffen, seitenweise und auch ein wenig langatmig beschreibt er dort lieber Details seiner akribischen Forscherarbeit – und nicht abenteuerliche Kämpfe mit Löwen oder Räubern, so wie es das breite Publikum aus anderen Afrika-Berichten liebt.
Auch seine schroffe Art mag ihm im Wege stehen, vermutet sein Biograf Schöneborn. Doch ausschlaggebend für die geringe Anerkennung seinerzeit seien wohl vor allem die vorurteilsfreie Sicht Barths auf Afrika und sein Verständnis für den Islam. Beides passt nicht in die Zeit. Europäische Länder begründen jetzt den beginnenden Kolonialismus und die Ausbeutung Afrikas mit einer angeblichen Überlegenheit der europäischen Kultur. Da passt Barths Beschreibungen einer langen, afrikanischen Zivilisationsgeschichte nicht ins Bild.
Heute, so sagt Schöneborn, kann man Heinrich Barth als einen Pionier moderner Afrikaforschung betrachten. Als einen Brückenbauer zwischen den Kulturen, der zu Lebzeiten solche Anerkennung nie erfahren hat: 1865 stirbt Heinrich Barth in Berlin mit 44 Jahren nach einem Magendurchbruch – vermutlich als Folge seiner Fiebererkrankungen während der großen Reise.