Hamburg. Die HHLA renoviert alle historischen Gebäude des Weltkulturerbes. Nach und nach erstrahlt die Speicherstadt in neuem Glanz.

Der Lack ist ab. An vielen Stellen schimmert an der einst in kräftigem Petrol gestrichenen Tür blankes Holz durch. Sie steht offen und gibt den Blick frei in eines der Treppenhäuser des 1907 errichteten Blocks V in der Speicherstadt. Auf den ausgetretenen Holzstufen im Eingangsbereich liegt ein Stapel Orientteppiche, der auf seine Abholung wartet. Der im Vorbeigehen erhaschte Anblick ist ein passendes Symbol für das, was derzeit zwischen Altstadt und HafenCity geschieht: Behutsam lässt die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) dort nach und nach sämtliche historischen Speicher-, Zoll- und Kontorhäuser von Grund auf sanieren. Gut die Hälfte ist schon geschafft. Als Nächstes ist Block V dran. Und dafür müssen nun auch die letzten Mieter aus diesem Block ausziehen.

Mehr als ein Dutzend Teppichhändler, außerdem Architekten oder Modelabels hatten noch vor Kurzem ihren Sitz in dem Block, der mit seiner Fassade aus weißem und rotem Ziegelmauerwerk und den vielfältigen Zierelementen besonders auffällig ist. Die meisten von ihnen haben Ersatzflächen in anderen Speichern bezogen. Drei bis vier Jahre sollen die Arbeiten an dem Gebäude dauern, die auch Hochwasser- und Brandschutz sowie die Instandsetzung und energetische Sanierung von Fassade und Dach umfassen. Danach könnten die alten Mieter theoretisch zurückkommen, müssten aber eine höhere Miete zahlen. Ins Erdgeschoss allerdings können sie nicht – dort sollen nach Vorgaben des Speicherstadtentwicklungskonzeptes der Stadt Gastronomie, Kultur- und Freizeiteinrichtungen einziehen.

Die Speicherstadt wurde in drei Bauabschnitten errichtet

„Die Speicherstadt soll zu einem innerstädtischen, lebendigen Quartier werden“, sagt HHLA-Immobilienchef Michael Fussner. Gemeinsam mit Peter Modlich, Leiter der Projektentwicklung, möchte er dem Abendblatt bei einem Rundgang zeigen, wo diese Entwicklung bereits gelungen ist – und wo sie noch umgesetzt wird.

Noch stehen wir vor Block V. Architekt Modlich hatte an der Straßenseite bereits auf die Einkerbungen an den Türen hingewiesen – ein Zeichen dafür, dass hier ein Restaurator auf der Suche nach der Originalfarbe ist. Denn die Sanierung muss nach den strengen Auflagen des Denkmalschutzes möglichst originalgetreu erfolgen. Jetzt stehen wir auf der Holländischbrookfleet-Brücke und blicken über das Wasser auf die Rückseite des Gebäudes. Die Fassade hat durch die zweifarbigen Ziegel, die verschieden geformten Fenster, die Giebeltürmchen und die mit eisernen Geländern umrahmten, halbrunden Balkone etwas Verspieltes. „Die Balkone waren bisher die Fluchtwege“, sagt Modlich. „Sie waren aus allen Etagen zu erreichen und führten ins Innere der sogenannten Westphalentürme – benannt nach dem früheren Brandmeister Adolf Westphalen. Von dort gelangte man über Wendeltreppen ins Freie.“

Der Architekt Peter Modlich leitet die Projektentwicklung bei der HHLA.
Der Architekt Peter Modlich leitet die Projektentwicklung bei der HHLA. © Andreas Laible

Block V: Ideale Location für Gastronomie

Hinter den hohen Fenstern im Erdgeschoss von Block V kann man sich Gastronomie gut vorstellen – wenngleich vor manchen schwarze Eisengitter angebracht sind. Wenn man hochschaut, sieht man den Grund. Etwa 15 Meter weiter oben befinden sich die Winden, mit denen die Lasten emporgezogen wurden. Als hier noch wasserseitiger Umschlag stattfand haben die Gitter verhindert, dass die Ladung bei Wind die Fenster beschädigte.

Wir gehen an das andere Kopfende von Block V. Währenddessen erzählt Modlich, dass die Speicherstadt nicht – wie oft angegeben – auf Eichenpfählen steht. Man habe vielmehr die langen, gerade gewachsenen Hölzer von Nadelbäumen verwendet. Errichtet wurde die Speicherstadt in drei Bauabschnitten – immer unter Berücksichtigung der jeweils neuesten bautechnischen Erkenntnisse: Im ersten (1885 bis 1889) entstanden zwischen Kehrwiederspitze und Kannengießerort die Blöcke A bis 0 in Stahlbauweise. Weil man bemerkte, dass Stahl sich im Brandfall verformt, errichtete man von 1891 bis 1897 die Speicherblöcke Q, R, S und U als Holzkonstruktion.

Michael Fussner ist der Immobilienchef des Unternehmens.
Michael Fussner ist der Immobilienchef des Unternehmens. © Andreas Laible

Hälfte der Speicher im Zweiten Weltkrieg zerstört

Bei Feuer wäre nur die äußere Schicht der dicken Stützen verbrannt, sie hätten aber ihre Tragfähigkeit nicht verloren. Im dritten Bauabschnitt, in dem die Blöcke S bis X (und damit auch Block V) errichtet wurden, ummantelte man gusseiserne Stützen mit Kork, Zement und Stahlblech – das bot bei Feuer ebenfalls Schutz. Gegen die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs waren die 24 Speicher aber dennoch nicht gefeit. Etwa die Hälfte wurde durch Bomben zerstört oder schwer beschädigt. Bis auf vier Blöcke wurden aber alle wieder aufgebaut, teils hinter den historischen Fassaden.

Die Speicherstadt-Kaffeerösterei liegt im 1888 errichteten Block D, zwischen Zollkanal und Kehrwiederfleet. Neben dem Duft nach Kaffee fallen beim Betreten sofort die genieteten Stahlstützen und Stahlstreben auf - in Kombination mit dem urigen Eichenfußboden verleihen sie dem riesigen Raum einen ansprechenden industriellen Charme. Die Rösterei hat 2006 eröffnet und ist damit einer der ersten „neuen“ Mieter der Speicherstadt. Das angeschlossene Café hat zu – eine Folge der Corona-Pandemie. Wie geht die HHLA mit Mietern um, die durch die Krise in Schwierigkeiten stecken? „Wir möchten den lebendigen Mieter-Mix in der Speicherstadt erhalten und unterstützen Mieter, die durch den Lockdown in Schieflage geraten sind“, sagt Michael Fussner, als wir weitergehen. Dazu habe man mit der Stadt als Gesellschafter einen detaillierten Stufenplan entwickelt – von Stundung bis zum Erlass der Miete. Einem Fünftel der Mieter komme die HHLA entgegen.

Auch die Klingelschilder müssen der Gestaltungsverordnung entsprechen.
Auch die Klingelschilder müssen der Gestaltungsverordnung entsprechen. © Andreas Laible

Tee-Händler schon seit 1887 hier tätig

Im Vorbeigehen an den Blocks verweist Fussner auf die Firmennamen, die an den roten Backsteinwänden prangen. Sie sind immer aus goldfarbenen Buchstaben – egal, ob es sich um „neuere Mieter“ wie die seit 1996 hier ansässige Werbeagentur Kolle Rebbe handelt oder um das 1879 gegründete Tee-Handelsunternehmen Hälssen & Lyon, das seit 1887 in Block G am Pickhuben sitzt und damit ältester Mieter der Speicherstadt ist. Auch die Klingelschilder sind stilvoll und elegant in Gold und Schwarz. Block M 26/27 am Sandtorkai gehört zu den Blöcken, die im Zweiten Weltkrieg zerstört und durch den Hamburger Architekten Werner Kallmorgen wiederaufgebaut wurden. Seit August 2019 wird er zu einem Büro- und Gewerbespeicher umgebaut und erhält zusätzlich zu seinen sieben Böden ein Staffelgeschoss mit großen Fensterflächen und drei Dachterrassen. Das Gebäude M28 ist bereits fertig. Im Treppenhaus sind die Modernisierungen gut zu erkennen: der Fahrstuhl im hinteren Bereich, dessen metallisches Dunkelgrau die Farbe von Türrahmen, Fenstersprossen und Treppengeländer aufgreift; die originalen hölzernen Treppenstufen, die erhalten und durch Betonelemente verbreitert wurden; oder die einstigen Durchgänge, die so verschlossen wurden, dass ihr früheres Vorhandensein noch sichtbar ist.

Wir schauen kurz den Showroom im Erdgeschoss an, den vier Start-ups für ihre Virtual-Reality-Präsentationen nutzen. In einer Ecke etwa steht eine Seilbahn-Gondel, in der man – ausgestattet mit einer VR-Brille – über Hamburg schweben kann. Von der Decke hängen zwei Kopfhörer, aus denen ein Symphonieorchester erklingt – mit dem sich der Zuhörer, ebenfalls dank der Brille, im selben Konzertsaal befindet. Beides ebenso coronakonform wie die Möglichkeit, eine Messe mithilfe eines großen Flatscreens digital zu besuchen, an der ein drittes Start-up gerade feilt.

Nur noch knapp 100.000 Quadratmeter Lagerfläche

Der Bedarf an Lagerflächen in dem innerstädtischen Quartier sinkt kontinuierlich: Der Umschlag von schweren Kaffeesäcken, Gewürzen, Kautschuk oder Tierfellen findet hier schon lange nicht mehr statt, sondern heute weiter westlich an den großen Terminals im Hamburger Hafen. Von den verfügbaren 300.000 Quadratmetern werden nur etwa 96.000 für das Lagern und Zeigen von Ware genutzt. „Da die Speicherstadt für die Lagerung von Waren gebaut wurde, soll und wird diese Nutzung aber nicht gänzlich aus dem Quartier verschwinden“, sagt Fussner. Schließlich ist sie nach wie vor der weltgrößte Umschlagplatz für Orientteppiche – auch wenn die Zahl der Händler von kunstvoll geknüpften Orientteppichen in den vergangenen 40 Jahren von 200 auf 30 gesunken ist.

Alles muss raus: In einem Treppenhaus von Block V liegen Orientteppiche.
Alles muss raus: In einem Treppenhaus von Block V liegen Orientteppiche. © Andreas Laible

Dafür präsentieren sich jetzt hier andere Handwerkskünste. Fussner und Modlich führen uns in Block Q, dessen Sanierung vor zehn Jahren abgeschlossen wurde. Mächtige Eichenstützen im Eingangsbereich weisen ihn als Gebäude des zweiten Bauabschnitts aus. Durch eine eisengrau gestrichene Tür im Erdgeschoss geht es in die „Speicherwerkstatt“: ein Showroom verschiedenster Gewerke, die sich dem hochwertigen Innenausbau verschrieben haben. Gezeigt werden Materialien für Wände, Böden und Oberflächen wie beispielsweise ein Küchentresen mit Fronten aus Naturstein oder das fugenlose Bad, aber auch Einrichtungsgegenstände wie ein Spiegel, der auch als Fernseher genutzt werden kann, oder kupferne Lichtschalter. Ob für die eigenen vier Wände, ein Geschäft oder ein Hotelzimmer – wer Exklusivität sucht, findet sie hier.

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Wohnen in der Speicherstadt ist jedoch noch Zukunftsmusik. „Wir lassen vor jeder Sanierung prüfen, ob in dem Gebäude Wohnungen entstehen könnten. Doch die meisten sind bei Sturmflut überflutungsgefährdet und können von der Feuerwehr für eventuelle Evakuierungen nicht angefahren werden“, erklärt Peter Modlich. Daher ist die momentane Wohnnutzung auf das Übernachten im „Ameron“ begrenzt. Das einzige Hotel in der Welterbestätte liegt in Block O, den Werner Kallmorgen in den 50er-Jahren auf den alten Fundamenten wiederaufbaute, und kann im Notfall über die Kibbelstegbrücke verlassen werden. Auch die Speicher G und E verfügen über eine Anbindung an diese hochwassersichere und für Feuerwehrrettung zugängliche Brücke. Sie wurden noch nicht saniert…

Figur der heiligen Anna wurde aufwendig restauriert

Weiter geht es zum St. Annenplatz – dem zentralen Bindeglied zwischen der historischen Speicherstadt und der modernen HafenCity. Und einem historisch bedeutsamen Ort. Dort, wo seit dem 19. Jahrhundert das pittoreske Fleetschlösschen steht – einst Zollhäuschen, heute Restaurant – stand ab 1566 die St.-Annen-Kapelle, die 1883 dem Bau der Speicherstadt weichen musste. Geweiht war sie der heiligen Anna, der Mutter von Maria und Großmutter von Jesus. Als Sandsteinfigur blickt sie noch heute von einer kleinen Empore des 1888 als Kontorhaus errichteten Block O auf den Platz herab; erst kürzlich wurde sie aufwendig restauriert.

Die Figur der heiligen Anna, der Mutter von Maria, wurde gerade saniert.
Die Figur der heiligen Anna, der Mutter von Maria, wurde gerade saniert. © | Hhla/Susanne Schmitt

Kurz vor Ende unseres Rundgangs machen wir halt vor einer Brachfläche zwischen dem Kesselhaus, dem Informationszentrum der Speicherstadt, und Block M. Unter Plastikplanen sind alte Ziegel aufgeschichtet: „Historisches Baumaterial, das nach dem Krieg in den Keller eines zerstörten Speicherstadtgebäudes gekippt wurde“, sagt Modlich. In den kommenden Jahren soll hier die ehemalige „Maschinen-Zentralstation“ wiederaufgebaut werden und zu einem neuen Anziehungspunkt in der Speicherstadt werden. Die Nutzung steht noch nicht fest. Auf jeden Fall aber wird es etwas sein, das den Wandel des ehemaligen Lagerhaus-Komplexes in Hafenrandlage zum lebendigen innenstädtischen Quartier unterstreicht.