Hamburg. Vor 100 Jahren beschloss die Bürgerschaft das erste Gesetz dieser Art in Hamburg. Es schützte manche Gebäude vor der Abrissbirne.
Hamburg kann wunderbar streiten – über die Wohnungsbaupolitik, die Elbvertiefung oder die Krise beim HSV. Ein dynamisches Schlachtfeld mit oftmals unübersichtlichen Gefechtslagen ist in den vergangenen Jahren hinzugekommen: der Denkmalschutz. Mit Verve debattiert die Stadt über den Abriss des City-Hofs, das Café Seeterrassen oder die Sternbrücke. Viele Menschen bewegt, wie sich Architektur entwickelt – und was dabei auf der Strecke bleibt.
Überraschend klingt, dass der Denkmalschutz in Hamburg schon seinen 100. Geburtstag feiert – am 1. Dezember 1920 beschloss die Bürgerschaft ein Gesetz, das den Schutz von Denkmälern und der Natur verband. Neujahr 1921 trat es in Kraft – und wirkt bis heute.
Denkmalschutz ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts
„Das Denkmalschutzgesetz ist das wichtigste und schlagkräftigste Instrument zu Bewahrung des baulichen Erbes der Hansestadt“, gratuliert Kristina Sassenscheidt, Geschäftsführerin des Denkmalvereins. „Es formuliert das Interesse der Stadtöffentlichkeit an der Erhaltung historisch wichtiger und das Stadtbild prägender Gebäude, Parks und Grünanlagen ebenso wie Boden- und beweglicher Denkmäler.“ Kultursenator Brosda spricht gar von einem „Meilenstein“: „Mit ihm wurde der Denkmalschutz in Hamburg erstmals auf eine rechtliche Grundlage gestellt. Seit 100 Jahren gibt das Denkmalschutzgesetz den Rahmen vor, in dem wir unsere Stadt nachhaltig entwickeln und gebaute Heimat bewahren.“
Aber wie kam es eigentlich zu diesem Gesetz? Niemand weiß das besser als Hermann Hipp, war er doch von 1974 bis 1984 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Denkmalschutzamtes der Hansestadt und von 1984 bis 2010 Professor für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg. „Der Denkmalschutz ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts“, sagt er und fügt gleich hinzu: „Es gibt nicht
den
Denkmalschutz, deshalb ist das Jubiläum schwierig.“ Das fange schon bei der Frage an, was ein Denkmal ist: „Jede Zeit hat ihre Denkmäler.“
„Hamburg war nie eine Freie und Abrissstadt“
Alles begann mit der Aufklärung und dann der Romantik – und war durchaus als Betonung der guten alten Zeit zu verstehen. „Diese Denkmalpflege wie überhaupt das historisch empfindende Bildungsbürgertum verband mit dem konservatorischen Anliegen auch explizit konservative politische Ansichten“, sagt Hipp. „Die bedeutenden alten Bauten waren ja – je größer und wichtiger, desto mehr – auch Produkte historischer Herrschaftsverhältnisse.“ So waren es ab 1830 deutschlandweit vor allem die Burgen, Schlösser und Kathedralen, die neu entdeckt und restauriert wurden.
In Hamburg hingegen dauerte es, bis diese Bewegung Wurzeln schlug. Anders als im Süden der Republik fühlte man sich an der Elbe für diesen Gedanken nicht zuständig – hier gab es schlichtweg weder Burgen noch Kathedralen. „Damals dacht man: Das haben wir nicht, das brauchen wir nicht“, erzählt Hipp.
Zugleich räumt er auch mit dem Mythos auf, Hamburg sei stets eine „Freie und Abrissstadt“ gewesen. „Dieses Zitat soll auf den Kunsthistoriker Alfred Lichtwark zurückgehen. Ich glaube aber, es ist frei erfunden. Hamburg ist und war das nie.“ Ganz im Gegenteil seien schon nach dem Großen Brand von 1842 die Beamten angehalten worden, Kulturgüter zu bergen und ins Museum für Hamburgische Geschichte zu verbringen. Der Abriss des gotischen Hamburger Doms 1805 sei aus der Zeit heraus verständlich, war er nach dem Reichsdeputationshauptschluss ein Fremdkörper in der Stadt geworden, ein Stück Ausland. Auch den Abriss für den Bau der Speicherstadt verteidigt Hipp: „Dort standen ein Dutzend wertvolle Bürgerhäuser, die längst in Speicher verwandelt worden waren. Ohne den Bau der Speicherstadt hätte der Hafen den Anschluss verloren.“
Keine Denkmalschützer, sondern zwei Experten
In dieser Zeit gab es in Hamburg noch keine Denkmalschützer, sondern nun zwei Experten, die auch jenseits der Stadtgrenzen geschätzt wurden – den Kunsthallendirektor Alfred Lichtwark (1852–1914) und Justus Brinckmann (1843–1915), Gründer des Museums für Kunst und Gewerbe. Letzterer hatte Häuser aus den Vier- und Marschlanden als Denkmal erkannt und geschützt: Er war ein Kunstkenner und -sammler, aber kein Konservator. „Brinckmann hatte am Denkmaltag 1903 in Erfurt teilgenommen, sich aber unter den Konservatoren unwohl gefühlt“, sagt Hipp.
Der Abriss der Cityhöfe im Zeitraffer:
Der Abriss der Cityhöfe im Zeitraffer
„Er wollte kein Inventar katalogisieren, sondern eine lebendige Denkmalkunde.“ Brinckmann stellte den Archivar Richard Stettiner ein, der nach seinem Tod seine Arbeit weiterführte. Stettiner war es auch, der sich in der politischen Debatte um das erste Denkmalschutzgesetz mit einer Denkschrift einschaltete. In Hessen-Darmstadt und Oldenburg gab es bereits ein solches Gesetz. Auch in der Weimarer Verfassung bekamen Denkmäler Verfassungsrang. In Paragraf 150 heißt es schön, schlicht und klar: „Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates.“ Weil die Reichsverfassung einen Zusammenhang zum Naturschutz formulierte, kam er mit ins Gesetz. „Das ist ja auch naheliegend: Ein Gebäude steht ja selten allein, sondern ist Teil des Stadtbildes oder eines Ensembles“, sagt Hipp.
Im „Dritten Reich“ wurden der Denkmalschutz und die Denkmalpflege ideologisiert
Stettiners Entwurf wurde am 5. November 1920 endgültig beraten. Am 1. Dezember beschloss ihn dann die Bürgerschaft einmütig. „Das ging sang- und klanglos durch – ohne Debatte, ohne dass der Oberbaudirektor Fritz Schumacher oder Senatsvertreter eingegriffen hätten, es ist quasi passiert“, sagt Hipp. Stettiner wurde so der erste Denkmalpfleger der Hansestadt und Leiter der Denkmalschutzbehörde.
Dem Geist der Zeit galten vor allem die Hauptkirchen und alte Bauernhäuser sowie Bürgerhäuser als Denkmäler. Doch bald schummelte der Sachverständigenbeirat auch das Rathaus, das Haus der Patriotischen Gesellschaft und die Alte Post auf die Denkmalliste. „Das waren spektakulär moderne, taufrische Gebäude mit einem Ausbund historischen Kitsches“, sagt Hipp. „Diese Gebäude können nur aus patriotischen Gründen da reingeraten sein.“
Da diese Beschlüsse auf Zuruf erfolgten, fehlen Akten. Im „Dritten Reich“ wurden der Denkmalschutz und die Denkmalpflege weiter ideologisiert und deutschnational. Es dauerte, bis sich das Genre vom braunen Erbe löste. Der gebürtige Schlesier Günther Grundmann, Hamburgs Denkmalpfleger von 1950 bis 1960, verfolgte noch einen elitären Denkmalbegriff, baute die wichtigsten Denkmäler wieder auf, entdeckte im Ruhestand dann aber das Architekturerbe des Siedlungsbaus in der Jarrestadt oder Dulsberg.
Sanierung von Denkmälern findet Hipp schwierig
Ein Vierteljahrhundert ab 1973 prägte dann Manfred F. Fischer den Denkmalschutz in Hamburg. „Das war die Blütezeit des Anliegens. Wir können ihm ewig dankbar sein“, sagt Hipp etwa in Bezug zum Erhalt der Kontorhäuser. Es war aber auch ein täglicher Kampf: „Die Unterschutzstellung wurde wegen der Widerstände der Grundeigentümer immer schwieriger, denn der Denkmalschutz senkt den Wert.“ Manchmal sei es paradox gewesen: „Wir erkannten die Denkmalschutzwürdigkeit ganzer Stadtteile, konnten sie aber nicht unter Denkmalschutz stellen.“
Bis heute hält Hipp den Abriss des Europahauses 2003 für eine Einkaufspassage für einen Skandal. „Das war ein so dummer Vorgang – es gab kein Inventarnummer, obwohl jeder wusste, dass das Europahaus schützenswert ist.“ Dem frisch gefallenen City-Hof hingegen weint er selbst keine Träne nach: „Ich habe es als Nichtdenkmal deklariert, es war ein misslungenes Projekt.“ Auch die Sternbrücke, um deren Erhalt oder Abriss derzeit eine erbittere Debatte tobt, sieht Hipp widersprüchlich. „Sie ist mir ans Herz gewachsen, ist als Brücke aber eher misslungen. Die Kasematten jedenfalls sind wertvoller.“
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Auch die Sanierung von Denkmälern findet Hipp schwierig, weil sie die Spuren des Alters wie Alterns verwischt und damit den Einblick in die Geschichte. „Das alles geht verloren, wenn die Denkmalpflege loslegt.“ So überrascht Hipp mit einem überraschenden Wunsch zum 100. Geburtstag: „Ich könnte sehr gerne auf einen strengen Denkmalschutz verzichten, wenn sich die ganze Stadt für ihre Geschichte interessieren und einsetzen würde, wenn ihre Denkmäler aus Einsicht und nicht von Gesetzes wegen erhalten würden“
Immerhin. Da bewegt sich was ...