Hamburg. Tierpark kündigt zehn Mitarbeitern, darunter dem Betriebsratschef. Gewerkschaft: Entwürdigender Umgang und „Klima der Angst“.
Er sollte endlich Frieden in einen erbitterten Hamburger Familienstreit bringen, die Risse im berühmten Tierpark Hagenbeck kitten. Doch gut ein halbes Jahr nach der Amtsübernahme durch den neuen Geschäftsführer Dirk Albrecht – dem ersten Alleinherrscher überhaupt in der jüngeren Tierparkgeschichte – kann davon nach Abendblatt-Recherchen kaum noch die Rede sein.
Statt die unbarmherzige Fehde der beiden Familienstämme bei Hagenbeck zu beenden und den Tierpark in eine ruhigere Zukunft zu führen, entladen sich die Spannungen bei Hagenbeck unter dem Druck der Corona-Krise erneut. Mitarbeiter sprechen von Kündigungen, Einschüchterungen und einem „Klima der Angst“. Der Geschäftsführer selbst fühlt sich zu Unrecht kritisiert.
Tierpark Hagenbeck: Brandbrief der Gewerkschaft
Kurz vor dem Jahreswechsel verschickte die für den Tierpark zuständige Gewerkschaft IG Bauen – Agrar – Umwelt einen Brandbrief an die beiden Gesellschafter im Hintergrund – den Patriarchen Claus Hagenbeck und seinen angeheirateten Neffen Joachim Weinlig-Hagenbeck.
In dem Schreiben, das dem Abendblatt vorliegt, ist von „menschenunwürdigem Umgang“ mit den Mitarbeitern durch Geschäftsführer Albrecht die Rede. „Wir sehen uns gezwungen, auch die Politik einzuschalten, da diese Zustände nicht mehr tragbar sind“, sagt der stellvertretende Regionalleiter der Gewerkschaft, Dirk Johne.
Die Eskalation nahm bereits Mitte Dezember ihren Lauf. Erneut musste der Tierpark wegen der Corona-Pandemie schließen. Die Gewerkschaft IG Bau wurde vom Betriebsrat für die Verhandlungen über eine Kurzarbeitsregelung für etwa 40 der 160 Beschäftigten hinzugezogen.
Ihrer Darstellung nach verweigerte sich der Geschäftsführer Dirk Albrecht aber jeder Mitbestimmung: Auf Fragen zur tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Tierparks habe er nicht geantwortet und jede Beteiligung der Gewerkschaft abgelehnt. Aus dem Umfeld von Albrecht heißt es dagegen, er habe kaum belastbare Zahlen liefern können – und ohnehin sei die Kurzarbeit keine Frage von Verhandlungen, sondern gesetzlich geregelt.
Tierpark Hagenbeck: Dramatische Situation wegen Corona
Als die Mitarbeitervertreter aber auf die Mitwirkung der Gewerkschaft bestehen, teilt Albrecht dem Betriebsrat am 18. Dezember laut Johne plötzlich die geplante Kündigung von neun Mitarbeitern mit. Diese seien am folgenden Tag, einem Sonnabend, am Telefon informiert worden und teilweise „völlig aufgelöst“ gewesen. „Was ein solches Vorgehen bei den betroffenen Mitarbeitern auslöst, hat mit verantwortungsvoller Menschenführung nichts zu tun“, heißt es in dem Brandbrief, der auch an Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) gehen soll.
Die Gewerkschaft sieht in dem Schritt den Versuch des Geschäftsführers, eine Zustimmung zur Kurzarbeit ohne die gesetzlich gesicherte Mitbestimmung der Belegschaft zu erpressen. Zudem sei die Kurzarbeit nicht ausreichend begründet worden. Dirk Albrecht wollte sich auf Abendblatt-Anfrage mit Verweis auf „interne Vorgänge“ nicht äußern.
Wie zu hören ist, will Albrecht nach eigener Darstellung aber keine andere Wahl als die Kündigungen gesehen haben. Zu dramatisch seien die wirtschaftlichen Folgen von Corona, auch staatliche Hilfe habe man bislang nicht erhalten. Und zu lange sei bereits vergeblich über die Kurzarbeit verhandelt worden.
Geschäftsführer ruft Polizei bei Termin des Betriebsrates
Als die Gewerkschafter dennoch am 21. Dezember zu einem Verhandlungstermin erscheinen, kommt es zu einem Wortgefecht. Albrecht will sie der Anlage verweisen und verbietet Dirk Johne das Wort. Das Treffen wird für gescheitert erklärt. Daraufhin beschließt der Betriebsrat eine Begehung des Tierparks – mit den Gewerkschaftern.
Als Albrecht davon hört, ruft er den Sicherheitsdienst und die Polizei. Ein „Termin mit Fremden“ könne angesichts von Corona ein „Superspreader-Event“ bedeuten, argumentiert er. Obwohl man eine „andere Rechtsauffassung“ vertrete, bricht der Betriebsrat die Begehung ab, um nach eigenen Angaben eine weitere Eskalation zu vermeiden.
Tierpark Hagenbeck: Wie es zum Eklat kam
Zum Eklat kommt es nach Weihnachten trotzdem. Der Betriebsrat will sich wieder teilweise persönlich in einem Beratungsraum treffen, diesmal mit einem Rechtsanwalt als Berater. Auch Albrecht kommt unangekündigt dazu – um ein letztes Mal zu appellieren, seinen Vorschlag für die Kurzarbeiterregelung anzunehmen, wie es aus seinem Umfeld heißt. Der Betriebsrat rückt nicht von seiner Position ab.
Albrecht mahnt alle Mitglieder des Gremiums ab. Und er stellt den Betriebsratsvorsitzenden Thomas Günther bis zum 10. Januar frei – danach solle auch ihm gekündigt werden. Günther ist im Tierpark als leitender Tierpfleger unter anderem für das Wohl der Giraffen zuständig.
Auch diesen Schritt verteidigt Albrecht intern als alternativlos. Auf mehrfache Aufforderung sei Günther nicht dazu bereit gewesen, wegen Corona auf Präsenztermine mit mehreren externen Personen zu verzichten. Die Gewerkschaft sieht den Umgang mit Günther dagegen als eklatanten Fußtritt für die Mitbestimmung der Angestellten im Tierpark. In dem Brief werden die Oberhäupter der verfeindeten Familienstränge nun aufgefordert, das „inakzeptable Verhalten“ des von beiden Seiten tolerierten Geschäftsführers zu unterbinden.
Albrecht: Bereits früher gab es Kritik am Führungsstil
Wie die Streithähne darauf reagieren, ist noch unklar. Claus Hagenbeck und sein Widerpart Joachim Weinlig-Hagenbeck waren für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
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Dirk Albrecht ist ein langjähriger Vertrauter des Patriarchen Claus Hagenbeck. Die Gegenseite von Joachim Weinlig-Hagenbeck verzichtete dennoch zuletzt auf ihr Recht, selbst einen zweiten Geschäftsführer für eine Doppelspitze zu benennen, wie sie zuvor Tradition bei Hagenbeck war.
Bereits nach seinem Amtsantritt hatte es erhebliche Kritik an Albrechts Führungsstil gegeben. Nach Abendblatt-Recherchen fühlten sich unter anderem weibliche Angestellte von ihm sexistisch behandelt und schalteten deshalb den Betriebsrat ein. Auf Anfrage sagte Albrecht dazu im Sommer dem Abendblatt allgemein, er sei ein „Teamplayer“ – aber könne verstehen, dass sich einzelne Angestellte „noch nicht genügend eingebunden fühlten“.
Albrecht soll Stillstand im Tierpark beenden
Der Familienstamm Weinlig-Hagenbeck hält sich mit Kritik an Dirk Albrecht auch intern zurück. Weiterhin soll er vor allem den jahrelangen Stillstand im Tierpark beenden. Wie das Abendblatt im Sommer enthüllt hatte, sind viele Anlagen wie das Otterhaus stark marode – und die Uneinigkeit der Eigentümer verhindert dringend nötige Investitionen in Höhe von rund 40 Millionen Euro, obwohl die Hagenbeck-Stiftung, der größte Förderer des Tierparks, hierfür durchaus genügend Kapital vorhält.
In Mitarbeiterkreisen kursiert der Verdacht, dass Albrecht die Lage des Tierparks künstlich schlechtrede. Schließlich seien etwa bereits viele Jahrestickets für 2021 verkauft worden, auch hätten Hamburger für den Tierpark gespendet.
Gegenüber dem Abendblatt betonte Albrecht jedoch, dass im Jahr 2020 bereits fünf bis sechs Millionen Euro Verlust aufgelaufen seien. Er rechne damit, dass sich der Lockdown bei Hagenbeck im schlimmsten Fall noch bis zum März hinziehen könne. Jeden Monat fielen aber weiter Kosten von bis zu einer Million Euro an. Der Betriebsrat sei es jedoch gewesen, der sich einer Kurzarbeiterregelung verweigert hätte. „So musste das Unternehmen zum Erhalt des Tierparks andere Möglichkeiten der Kostenreduzierung erwägen“, sagt Albrecht.