Hamburg. Bürgermeister richtet eindringlichen Appell an die Hamburger – und hört danach viel Kritik am Krisenmanagement seines Senats.

Wenn man als Bürgermeister dem Parlament und den Bürgern zum x-ten Mal in einem Dreivierteljahr den Ernst der Lage schildern und sie auf harte Zeiten einstimmen muss, dann ist es vermutlich nicht der schlechteste Schachzug, die zunehmende Genervtheit in der Bevölkerung aufzunehmen.

Und so sprach Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) in seiner inzwischen fünften Regierungserklärung zum Thema Corona wohl vielen Menschen aus dem Herzen, als er am Mittwoch vor der Bürgerschaft auf ein „außergewöhnliches Jahr“ zurückblickte: „Seit dem ersten Corona-Fall im Februar befinden wir uns im Ausnahmezustand“, stellte der Regierungschef fest. Ob Begegnungen in Cafés und Clubs, Theaterbesuche, Kino und Sport: „Wir müssen auf vieles verzichten“, sagte Tschentscher. „Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der persönlichen Freiheit richten sich fundamental gegen die Art und Weise, wie wir leben wollen. Unser Alltag ist komplizierter geworden, und das alles macht uns sehr zu schaffen.“ Schon das Wort Corona, so der Bürgermeister, „können viele nicht mehr hören“.

Flammender Appell von Tschentscher in der Corona-Krise

Diese Beschreibung sollte aber nicht dazu dienen, den seit Mittwoch geltenden zweiten harten Lockdown zu verteufeln, sondern sie war vielmehr die Ouvertüre für einen flammenden Appell, sich mindestens bis zum 10. Januar an die von Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen zu halten. „Wir dürfen nicht nachlassen“, sagte Tschentscher. Hamburg stehe in der Pandemie zwar besser da als viele andere Flächenländer und vergleichbar große Städte. Doch wie in ganz Deutschland stiegen auch in der Hansestadt die Infektionszahlen wieder, sagte Tschentscher, wobei er auf die dramatischen aktuellen Tageswerte gar nicht einging und nur feststellte: „Deshalb ist ein erneuter Shutdown auch bei uns erforderlich.“

Diese Auffassung teilten zwar die allermeisten Redner, abgesehen von AfD-Fraktionschef Alexander Wolf, der die neuen Maßnahmen für „unverhältnismäßig“ hält. In der Frage, ob dieser Lockdown zu verhindern gewesen wäre und welche Fehler auf dem Weg dorthin gemacht wurden, gingen die Meinungen aber weit auseinander.

Kritik an Corona-Leugnern

SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf ging hart mit Corona-Leugnern und Menschen ins Gericht, die sich nicht an die Regeln hielten. „Dass die Infektionszahlen in Hamburg wieder gestiegen sind, hat etwas mit unserem Verhalten zu tun. Das ist nicht über uns gekommen.“ Der Anfang November verhängte Teil-Lockdown sei nicht genügend beachtet worden. „Dass man gemeinsam in Eppendorf Glühwein in großer Runde trinkt und nur wenige Hundert Meter weiter Ärzte und Pfleger verzweifelt um das Leben eines Menschen kämpfen – da ist etwas nicht richtig“, erklärte Kienscherf zu dem auch in Ottensen und Winterhude beobachteten Verhalten, das daraufhin verboten worden war.

Dass Bürger durch Fahrlässigkeit für einen harten Lockdown gesorgt hätten, sei zwar „ein Teil der Wahrheit“, entgegnete Anna von Treuenfels-Frowein (FDP). Es mangele aber auch an einer Langzeitstrategie des Senats, etwa um Risikogruppen besser zu schützen – zum Beispiel durch eine FFP2-Maskenpflicht in Pflegeheimen und Krankenhäusern und durch Schnelltests in Pflegeheimen, sagte Treuenfels-Frowein. „Das hätte alles viel früher kommen müssen – und es hätte möglicherweise auch Leben retten können.“

CDU: „Schulsenator Ties Rabe ist völlig hilflos“

In die gleiche Kerbe schlug Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir. „Ich finde es bitter, dass wir diese Planung nicht hatten“, sagte sie. „Stattdessen haben wir erlebt, dass durchregiert und jegliche Kritik knallhart ignoriert wurde.“ AfD-Co-Fraktionschef Dirk Nockemann erklärte: „Statt alle in den Lockdown zu schicken, hätte man die Pflege- und Gesundheitseinrichtungen besser schützen müssen.“

"Überheblich und überfordert" - CDU attackiert Schulsenator

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Bei der Pandemie-Bekämpfung bildet nach Ansicht der Opposition vor allem Schulsenator Ties Rabe (SPD) die „Schwachstelle“ des Senats. Rabe habe immer wieder auf die Sicherheit der Schulen verwiesen. „Ihr Augen-zu-und-durch hat nicht funktioniert – und das entstandene Wirrwarr hat viele Schüler, Eltern und Lehrer extrem verärgert“, sagte CDU-Fraktionschef Dennis Thering. Er forderte Tschentscher auf, die Schulpolitik zur Chefsache zu machen. „Ihr Schulsenator ist völlig hilflos.“ Cansu Özdemir warf Rabe „Totalversagen“ vor. Der Senator sitze seit Monaten „in der Schmollecke“ und habe Expertenmeinungen ignoriert.

Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen nahm Rabe in Schutz

Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen nahm Rabe in Schutz: „Vielleicht ist es in dieser Zeit ganz gut, einen so erfahrenen Schulsenator zu haben.“ Dieses Lob sei „echter Blödsinn“, entgegnet Anna von Treuenfels-Frowein. Es gehe hier um ein „Versagen der Schulpolitik“ – aber nicht, weil Rabe für die Präsenzpflicht sei. „Dafür sind wir letztendlich alle.“ Vielmehr habe Rabe die vom Robert-Koch-Institut „frühzeitig geforderte Maskenpflicht und die Klassenteilung lange stur verweigert“, sagte Treuenfels-Frowein. „Und so hat sich die Ansteckungsgefahr in Schulen erhöht.“

Coronavirus – die Fotos zur Krise

Eine weitere Baustelle sei die Digitalisierung. Rabe verweise darauf, dass 40.000 neue Laptops und Tablets beschafft wurden. „Aber was nützen die, wenn sie nicht einsatzbereit sind“, sagte die FDP-Politikerin in Anlehnung etwa daran, dass viele Geräte im Herbst noch in Kellern lagerten, weil etliche Schulen sie aus Mangel an Expertise und gesicherten Räumen nicht nutzen konnten. Treuenfels-Frowein und Dennis Thering berichteten in der Bürgerschaft zudem von Ausfällen der Kommunikationsplattform iServ, die am Mittwochvormittag etliche Schulen betrafen.

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Die Debatte in der Bürgerschaft prägte auch die Frage, wie es insgesamt nach dem 10. Januar weitergehen könnte. An SPD und Grüne gerichtet forderte Dennis Thering: „Sie müssen alles daransetzen, dass unsere Schulen ab dem 11. Januar auf alle möglichen Szenarien bestmöglich vorbereitet sind.“ Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen ging darauf nicht direkt ein, erklärte aber: „Was wir jetzt brauchen, ist eine verständliche Stufenregelung für die Pandemie – die für alle deutlich macht, welche Regelungen bei welchen Infektionsraten verlässlich vorgesehen sind.“ Schwerpunkte sollten dabei die Situation in Kitas und Schulen, Alten- und Senioreneinrichtungen sein.

569 Infektionen

  • In Hamburg wurden am Mittwoch 569 Neuinfektionen mit dem Coronavirus vermeldet. Das waren fast 300 mehr als am Vortag und 236 mehr als am Mittwoch der Vorwoche.
  • Die Inzidenz (Zahl der Infektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen) stieg dadurch kräftig an: von 138,3 auf 150,8. Vom Ziel des Lockdowns, sie wieder unter 50 zu drücken, ist Hamburg weit entfernt, steht aber noch besser da als viele andere Länder. Bundesweit liegt der Wert bei 180.
  • In den Krankenhäusern wurden 459 Covid-19-Patienten behandelt, acht weniger als am Vortag. Das dürfte daran liegen, dass Patienten verstorben sind. Laut RKI ist die Zahl der Todesfälle in Hamburg um zehn auf 491 gestiegen.
  • Von den 459 Patienten kommen 356 aus Hamburg und 103 aus anderen Bundesländern – ein Indiz für die Überlastung von Kliniken in anderen Regionen des Landes. 93 der 459 Patienten liegen auf Intensivstationen, darunter 77 Hamburger.

Der Bürgermeister erklärte dagegen nur, dass Bund und Länder darüber Anfang Januar beraten würden – und er verwies auf die Verantwortung der Bürger: „Welche Maßnahmen nach dem 10. Januar notwendig sind, ob der Schulbetrieb ohne Einschränkungen wieder beginnen kann – all dies hängt von der weiteren Entwicklung ab, auch davon, wie sich jeder und jede Einzelne von uns in den kommenden Wochen verhält.“

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