Hamburg. Senator Ties Rabe zögert trotz hoher Corona-Zahlen mit Ausdehnung der Ferien. Aber die Schließung der Geschäfte steht bevor.
In Baden-Württemberg sollen schon vom heutigen Sonnabend an Ausgangsbeschränkungen gelten, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen heben von Montag an die Präsenzpflicht an den Schulen auf, und in Nordrhein-Westfalen dürfen am Montag die Geschäfte nicht mehr öffnen, außer für den täglichen Bedarf. Während sich die Länder am Freitag mit markigen Ankündigungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie überboten, herrschte in Hamburg: Stille. Der Senat entscheide am Dienstag, hieß es wie gehabt.
Allerdings trügte diese Ruhe: Denn auch in der Hansestadt wird hinter den Kulissen seit Tagen fieberhaft an dem Konzept für einen „harten“ Lockdown gearbeitet. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat sogar etliche Termine abgesagt, um sich mit Experten beraten und eine Meinung bilden zu können. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen trägt er diese aber nicht demonstrativ nach außen, sondern will sich erst nach den Beratungen der Länder mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die vermutlich am Sonntag stattfinden, äußern. Am Dienstag darauf wird der Senat dann offiziell die Linie für Hamburg festlegen.
Dabei zeichnet sich einiges bereits ab. Wie berichtet, dürften die Kontaktbeschränkungen weiter verschärft werden. Als möglich gilt, dass die jetzige Hamburger Regel, wonach sich maximal fünf Personen aus zwei Haushalten treffen dürfen, bis über Silvester hinaus gilt – und möglicherweise nicht einmal über Weihnachten gelockert wird.
UKE-Intensivmediziner Kluge fordert harten Lockdown
Am Sonnabend kamen erneut 515 Neuinfektionen hinzu, 97 mehr als am Freitag und 168 mehr als Sonnabend vor einer Woche. Die Inzidenz stieg auf 132,4 – meilenweit von dem Zielwert 50 entfernt. Hinzu kommt, dass die Zahl der Covid-19-Patienten in den Kliniken erneut deutlich gestiegen ist, um 17 auf 419. Und die Zahl der Corona-Todesfälle in Hamburg stieg im Vergleich zur letzten Meldung der Stadt am 8. Dezember um 23 auf 405.
Die Vereinigung der deutschen Intensivmediziner (DIVI) forderte daher bereits am Freitag einen unverzüglichen harten Lockdown: Jeder weitere Tag ohne durchgreifende Maßnahmen koste Menschenleben, hieß es. Auch Prof. Stefan Kluge, Leiter der Intensivmedizin am UKE und DIVI-Vorstandsmitglied, ist überzeugt: „Der Teil-Lockdown reicht nicht. Ob Neuinfektionen, Intensivpatienten oder Todesfälle – alle Zahlen steigen weiter“, sagte er dem Abendblatt. „Und sie werden auch weiter steigen, wenn nicht sofort gehandelt wird: Rund zwei bis drei Prozent der Infizierten werden zu Intensivpatienten, unter den Älteren noch mehr. Das würde auch in Hamburg, wo die Lage in den Krankenhäusern angespannt, aber noch beherrschbar ist, das Gesundheitssystem schon bald überfordern.“
Außer weiteren Kontaktbeschränkungen dürfte daher auch in Hamburg die Schließung von Geschäften und vielen Dienstleistern unvermeidlich sein. Unklar ist aber noch, ab wann und für welche Branchen das gelten wird. Hier legt der Senat viel Wert auf ein mit den anderen Ländern abgestimmtes Vorgehen. Es war immer die Haltung des Bürgermeisters, dass es sinnlos ist, in einem Land Läden zu schließen, während sie im Nachbarland öffnen dürfen, weil das nur die Mobilität erhöhen würde, die man gerade reduzieren will.
Hamburg hält an Präsenzunterricht in Schulen fest
Anders sieht es beim Thema Schule aus. Dass Hamburg dem Beispiel anderer Länder folgt und kommende Woche vom Präsenzunterricht abrückt oder den Beginn der Schulferien vorzieht, gilt als ausgesprochen unwahrscheinlich. Denn nach einer Senatsentscheidung am Dienstag blieben ohnehin nur noch drei Tage bis zum Ferienbeginn. Auch wegen terminierter Klausuren gelten kurzfristige Änderungen als nicht pragmatisch.
Zudem haben Schulsenator Ties Rabe (SPD) und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte nach Gesprächen am Freitag erneut bekräftigt, dass der Präsenzunterricht aus sozialen und gesundheitlichen Gründen so lange wie möglich aufrechterhalten werden sollte. „Unsere Erfahrung aus dem ersten Lockdown haben gezeigt, dass Hybrid- oder gar Distanzunterricht auch bei verbesserter Digitalisierung nicht die Qualität des Präsenzunterrichts erreichen können“, sagte Rabe. „Außerdem stehen Familien vor enormen Betreuungsproblemen, und das für die Persönlichkeitsentfaltung entscheidende soziale Lernen findet praktisch nicht statt.“
Auch Dr. Stefan Renz, Landesvorsitzender des Verbands der Kinderärzte, sprach von gravierenden Folgen der Schulschließungen: „Wir sehen vermehrt Kinder mit psychischen Belastungen und Kinder mit neu aufgetretenen oder verstärkten Verhaltensauffälligkeiten. Wir sehen eine deutliche Verschlechterung der Sprachkompetenz Deutsch und ein Aufgehen der Bildungsschere.“
Im Januar könnten ältere Schüler Fernunterricht erhalten
Nach Abendblatt-Informationen wird im Senat stattdessen an Modellen gearbeitet, in der ersten Woche nach den Weihnachtsferien nicht mit vollem Präsenzunterricht zu starten: So könnten etwa die Schüler bis Klasse sieben in den Hybridunterricht wechseln und ab Klasse acht Fernunterricht erhalten. Eine Verlängerung der Ferien ist nicht geplant.
Birgit Stöver, schulpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, übte Kritik: „Anstatt sich Schleswig-Holstein anzuschließen und bereits ab Montag ab der 8. Klasse keinen Präsenzunterricht mehr zu erteilen, zieht Rabe den Präsenzunterricht bis zum 18. Dezember 2020 eisern durch.“ Auch eine Ausweitung der Ferien bis zum 10. Januar würde sie begrüßen, sagte Stöver.
Intensivmediziner Kluge unterstützt dagegen eher die Haltung des Senats. Auf die Frage, welche Maßnahmen der Lockdown beinhalten sollte, sagte der UKE-Arzt: „Alles, was Kontakte reduziert. Bei Schulen und Kindergärten sollte man allerdings sensibel sein: Sie sind nach unserer Einschätzung keine Treiber des Geschehens. Und wenn Eltern kleinerer Kinder nicht mehr zur Arbeit gehen könnten, weil sie diese zu Hause betreuen müssen, würde das die Krankenhäuser noch weiter belasten.“
Sind Schulen Treiber der Infektion?
Die These, dass Schüler keine Treiber des Infektionsgeschehens sind, wurde durch die aktuellen Zahlen nicht untermauert: Am Freitag wurden 72 Neuinfektionen an insgesamt 53 Schulen gemeldet (59 Schüler und 13 Schulbeschäftigte). Das sei ein Anstieg im Wochenvergleich um 47 Prozent, so die Schulbehörde.
Aus den Antworten des Senats auf eine Kleine Anfrage der CDU-Fraktion geht hingegen hervor, dass Schulen keine Hauptrolle beim Thema Corona spielen. Von 335 Ausbrüchen, die im November zurückverfolgt werden konnten, waren allein 274 auf private Haushalte zurückzuführen. 743 der insgesamt 1107 Neuinfektionen, die mit diesen Ausbrüchen zusammenhingen, fanden dort statt. An zweiter Stelle standen Alten- und Pflegeheime mit 19 Ausbrüchen und 251 Infektionen. Erst mit Abstand folgten die Schulen mit zehn Ausbrüchen und 111 Infektionen. Das waren also rund zehn Prozent der zurückverfolgbaren Fälle, obwohl Schüler und Lehrer zusammen mehr als 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen.
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„Wir brauchen definitiv Verschärfungen“, sagte Hamburgs Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) am Freitag dem Abendblatt. „Die Inzidenzen sind deutlich zu hoch. Der leichte Lockdown hat nicht die Ergebnisse gebracht, die wir uns erhofft haben. Spätestens nach Weihnachten muss es weitere Beschränkungen geben.“