Hamburg. Mehr Verpackungen, mehr Speisen jetzt „to go“ – viele Menschen werfen ihren Abfall jetzt einfach achtlos weg. Stadtreinigung reagiert.

Der zweite Corona-Lockdown hat in Hamburg zu einer drastischen Verschärfung der Müll-Situation geführt. Weil in der Pandemie mehr Menschen Lebensmittel und Freizeitartikel online bestellen und mehr Speisen „to go“ verzehren, hat sich auch die Menge des illegalen Mülls erhöht. Dazu gehören achtlos weggeworfene Verpackungen, Pappbecher und Schutzmasken genauso wie Kartonagen und Glas, die neben überfüllten Depotcontainern abgestellt werden, oder Sperrmüll, der illegal an den Straßenrand gestellt wird.

Die 30 Müll-Detektive (Waste Watcher) der Stadtreinigung Hamburg haben in diesem Jahr bereits 5725 Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen wilder Müllablagerungen eingeleitet (Stand 2. Dezember), davon 5163 wegen illegaler „Beistellungen“, also Flaschen und Kartons neben Depotcontainern. Zum Vergleich: 2019 waren es insgesamt 2433 Verfahren. Auch die Zahl der „Müllecken,“ die Bürger per App oder Hotline bei der Stadtreinigung melden, ist gestiegen. Waren es 2019 knapp 77.0000 Meldungen, sind es 2020 schon 84.000.

Hamburg: Stadtreinigung reagiert – auch mit Blick auf Weihnachten

Die Stadtreinigung, deren 4000 Mitarbeiter viele Aufgaben haben – neben der Müllabfuhr auch die Reinigung von Gehwegen und Straßen, den Betrieb der Recyclinghöfe und aktuell die Laubbeseitigung –, ergreift jetzt angesichts der coronabedingten Müllsituation zusätzliche Maßnahmen, auch schon mit Blick auf Weihnachten. In der Papiersammlung sind bereits zwei Sonderwagen unterwegs, es gibt mehr Mitarbeiter und zusätzliche Leerungen.

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„Wir haben ein ganzes Bündel an Maßnahmen zusammengestellt“, sagt Rüdiger Siechau, Geschäftsführer der Stadtreinigung. Dazu gehört etwa die Bereitstellung von 300 weiteren Papierkörben, von denen in Hamburg bereits mehr als 18.000 zur Verfügung stehen, und zusätzliche Leerungen.

Außerdem sollen in der Innenstadt 40 weitere großvolumige „Solarpressbehälter“ aufgestellt werden, wie es sie schon am Jungfernstieg gibt. Diese verfügen über eine kleine Abfallpresse und können so mindestens das fünffache Volumen von Standardbehältern aufnehmen. Außerdem ist zum Aufspüren der Müllsünder ein verstärkter Einsatz der Waste Watcher geplant.

Umwelt-Staatsrat Michael Pollmann appellierte an die Bürger, Kartons vor dem Einwurf in den Container zu zerkleinern, damit mehr hineinpasst. Und Händler sollten beim Einsatz von Einwegverpackungen sparsam sein. „Das gilt vom Paket bis zum Essen vom Lieferdienst. Jede und jeder kann dazu beitragen, dass unsere Stadt sauber bleibt!“

Hamburg: Etliche Beispiele für Müllsünden

Dass das coronabedingte Müllpro­blem auch mit Beginn der kühleren Jahreszeit weiter besteht, belegen Beobachtungen von Abendblatt-Reportern aus den vergangenen Wochen. Sie gaben den Anstoß zu dieser Geschichte.

Beispiel Hoheluftchaussee (Hoheluft-West): Rund um die Parkbänke nahe der U-Bahn-Station und auf den Gehwegen liegen Scherben, leere Zigarettenpackungen, Pappbecher und andere To-go-Behältnisse, Einwegmasken, Plastikfolien und zerknülltes Papier.

Elegant, aber zu klein: Mülleimer an der Binnenalster.
Elegant, aber zu klein: Mülleimer an der Binnenalster. © HA | Matthias Iken

Beispiel Jungfernstieg (Altstadt): Die roten Mülleimer quellen über. Weil nichts mehr reinpasst, werden Brötchentüten, Pappschalen mit Ketchupresten, Becher und Plastikflaschen einfach auf den Mauern und Stufen zur Binnenalster liegen gelassen.

Beispiel Hegestraße (Hoheluft-Ost): Weil die Depotcontainer voll sind, stehen regelmäßig Flaschen und Kartons daneben – und zwar so viele, dass es sich wohl eher um (gebührenpflichtigen) Gewerbe- als um Privatmüll handelt.

Beispiel Bergiusstraße (Ottensen): Am Rand des Kemal-Altun-Platzes hat jemand Matratzen, ein Tischgestell, Holzpaletten und anderen Sperrmüll abgestellt.

Illegal abgestellter Sperrmüll am Kemal-Altun-Platz
Illegal abgestellter Sperrmüll am Kemal-Altun-Platz © HA | Claudia Eicke-Dieckmann

Beispiel Mühlenkamp (Winterhude): Bei einem roten Papierkorb hat der Boden nachgegeben, der Abfall liegt auf dem Gehweg. Ein Stück weiter stehen Mülltonnen, deren Deckel vor lauter Verpackungsabfall nicht mehr zugehen. Becher und Schalen liegen drum herum.

Eine überquellende Mülltonne am Mühlenkamp
Eine überquellende Mülltonne am Mühlenkamp © HA | Friederike Ulrich

Beispiel Rahweg (Niendorf): Sämtliche Glascontainer sind proppevoll. Auch obendrauf wurden bereits Flaschen abgestellt. Daneben liegt Sperrmüll: alte Jalousien und diverse Holzbretter.

Verwarngeld schreckt Müllsünder nicht ab

Bei der Stadtreinigung nachgefragt, bestätigt diese den eindeutigen Zusammenhang zwischen der Corona-Pandemie und dem gestiegenen Aufkommen von „wildem“ Müll mit Zahlen. „Das alltägliche Leben hat sich durch die Pandemie verändert. Der Konsum findet zuhause oder ,To go‘ statt“, sagt Sprecher Kay Goetze.

In 5163 Ordnungswidrigkeitsverfahren der Waste Wachter ging es um illegale Beistellungen an Depotcontainern: Glas und Flaschen, die nicht mehr in die Behältnisse passten und daneben gestellt wurden. Offenbar schreckt hier auch das Verwarngeld nicht ab. 55 Euro muss der Verursacher zahlen, wenn er ermittelt wird. Zum Vergleich: Kippe oder Coffee-to-go-Becher fallen lassen kostet 20 Euro, Hundekot liegen lassen 40 Euro. Autoreifen illegal entsorgen mehrere 1000 Euro.

Stadtreinigung nimmt die Bürger in die Pflicht

Offenbar sind immer mehr Hamburger vom wilden Müll genervt. 55.000 der Meldungen kamen über die App, die mittlerweile nicht nur Fotos und Position der Müllecke übermittelt, sondern auch die Abfälle auf dem Foto kategorisiert und der jeweiligen Betriebseinheit zuordnet. Mehr als 90 Prozent der gemeldeten Schmutzecken beseitige die Stadtreinigung in weniger als drei Werktagen, so Goetze, häufig sogar innerhalb von 24 Stunden.

Stadtreinigungs-Chef Siechau verspricht nun auch bei den großvolumigen Solarpressbehältern „deutlich häufigere Leerungen“. Doch auch die Bürgerinnen und Bürger seien „mit korrekter Entsorgung nach dem Konsum gefragt“. „Natürlich ist das Thema Stadtsauberkeit Sache der Stadtreinigung“, sagt Sprecher Goetze. „Doch wir sind dabei auf die Hilfe und das Mitmachen der Bürger angewiesen.“