Hamburg. In Lokstedt streiten Anwohner und Genossenschaften um 200 Wohnungen. Verband: Bezirkspolitiker nehmen zu viel Rücksicht.

Die Genossenschaften gehen in der Wohnungsbaupolitik in die Offensive: „Die am Gemeinwohl orientierten Vermieter erleben in Hamburg leider immer wieder, dass es bei einem Bauprojekt zu erheblichen und damit teuren Verzögerungen kommt, weil es in der Bezirksverwaltung hakt oder die Parteien auf Bezirksebene sich wegducken“, sagt Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), dem Abendblatt.

Den aktuellen Anlass für seine Kritik liefert der jahrelange Streit um ein Bauvorhaben in Lokstedt. Hier wollen vier Genossenschaften mehr als 200 Wohnungen errichten. Eine Anwohner-Initiative kämpft seit 2015 gegen die Neubaupläne, da sie überdimensioniert seien.

„Nicht gleich einknicken, wenn Anwohner gegen Bauprojekte protestieren“

In dem konkreten Fall nimmt Breitner die Verwaltung des zuständigen Bezirks Eimsbüttel ausdrücklich in Schutz: „Sie unterstützt die Genossenschaften, wo sie kann.“ Von den Bezirkspolitikern fordert Breitner dagegen mehr „politisches Rückgrat“. Sie sollten „nicht gleich einknicken, wenn Anwohner gegen Bauprojekte vor ihrer Tür protestieren“.

Manche Bezirkspolitiker würden in Bauprojekten „nicht selten eine Chance sehen, sich zu profilieren um sich für höhere­ Weihen wie eine Bürgerschaftskandidatur zu empfehlen“: „Da werden manchmal Sonderwünsche geäußert, ohne sich darüber Gedanken zu machen, dass am Ende die Mieterinnen und Mieter deren Erfüllung bezahlen müssen.“

Der VNW will dies auch bei den Gesprächen für die Neuauflage des „Bündnisses für das Wohnen“ thematisieren. Andreas Breitner: „Ein ‚Weiter-so‘ wie in den vergangenen Jahren, in denen der Bau bezahlbarer Wohnungen allzu oft auf bezirkspolitischer Ebene erschwert wurde, kann es für die VNW-Mitglieds­unternehmen nicht geben.“

Um dieses Bauvorhaben in Lokstedt wird gerungen

Der Termin steht: Am Dienstag werden sich Jan Philipp Stephan und Deborah Schmalbach wieder im Herman-Boßdorf-Saal im Hamburg-Haus am Doormannsweg treffen. Der Stadtplanungsausschuss des Bezirks Eimsbüttel tagt.

Und wieder geht es um das geplante Bauvorhaben am Rimbertweg in Lokstedt, 15 Fußminuten von Hagenbecks Tierpark entfernt. Stephan wird als Chef des Eimsbüttler Amts für Stadt- und Landschaftsplanung den Bebauungsplan verteidigen, Deborah Schmalbach als Sprecherin einer Anwohnerinitiative eben diesen kritisieren.

Als die Idee für das Bauvorhaben reifte, schwitzte Deutschland bei mehr als 30 Grad in einem Bilderbuchsommer, der HSV kassierte beim FC Bayern mit 2:9 ein Debakel. 2013 schritt Volker Emich, Vorstand der Hamburger Lehrer-Baugenossenschaft, mit Eimsbüttels damaligem Chefstadtplaner Rolf Schuster durch das Areal im Schatten der beiden neungeschossigen Hochhäuser und erläuterte das geplante Projekt. Emich erinnert ein ebenso unproblematisches wie konstruktives Gespräch mit dem heutigen Baudezernenten. Guter Plan, alles machbar, dies sei damals die zentrale Botschaft gewesen.

200 Wohnungen sollen nahe Hagenbecks Tierpark entstehen

Das Bauvorhaben
Das Bauvorhaben "Lokstedt 67". © HA Grafik, HA Infografik, F. Hasse | Frank Hasse

Sieben Jahre später weiß immer noch niemand, wann die Bagger rollen werden. Und es ist keineswegs ausgeschlossen, dass am Ende Gerichte diese Frage entscheiden werden. Statt 88 sollen nun mehr als 200 Wohnungen entstehen, ein auch für den Senat wichtiges Projekt, um das ambitionierte Ziel von jährlich 10.000 neuen Wohnungen zu erreichen. Wie unter einem Brennglas zeigt der Bebauungsplan „Lokstedt 67“ die Probleme der wachsenden Stadt.

Dabei stehen sich die Seiten keineswegs unversöhnlich gegenüber: „Wir haben nichts gegen eine Nachverdichtung“, sagt Kritikerin Schmalbach. „Wir nehmen die Bedenken der Bürger sehr ernst, entsprechend intensiv beschäftigen wir uns mit ihren Anregungen“, sagt Stadtplaner Stephan.

Und doch ist ein Kompromiss nicht in Sicht. Formal geht es am Dienstag zwar nur darum, ob der Ausschuss einer erneuten öffentlichen Auslegung des Bebauungsplan-Entwurfs „Lokstedt 67“ zustimmen wird. Doch im Kern geht es ums Ganze: Darf das Projekt wie geplant realisiert werden?

Die geplanten Wohnhäuser seien zu hoch

„Unser Quartier wird immer mehr zugebaut“, klagt Dorothee Schmalbach. Die geplanten Häuser seien mit vier Geschossen plus Staffelgeschoss viel zu mächtig. Die Verkehrssituation, insbesondere bei den Parkplätzen, sei schon jetzt kaum noch tragbar. Die Initiative sieht zudem das grüne Lokstedt gefährdet: „Der aktuelle mehr als 50 Jahre alte dichte Baumbestand würde durch die angestrebte Nachverdichtung komplett entfernt werden müssen.“

Stadtplaner Stephan sieht das völlig anders: „Ich kann Bürger verstehen, die sagen, es darf nicht alles zugebaut werden. Aber davon kann bei diesem Bebauungsplan nicht die Rede sein.“ Er verweist auf die „geplante anspruchsvolle Architektur“. Und das grüne Lokstedt sei keineswegs in Gefahr, im Gegenteil: „Wir schaffen eine neue Verbindung zwischen dem Lohbekpark und den Kleingärten, wir schließen Lokstedts grünen Ring.“

Genossenschaften seien "Garanten für preiswertes Wohnen"

Vor allem investiere hier kein renditegetriebener Investor, sondern Genossenschaften, mithin „Garanten für preiswertes Wohnen“. Zudem sei eine Kita mit 70 Plätzen geplant, von der auch Familien profitieren würden, die im Quartier wohnen. Die Lehrer-Baugenossenschaft sowie die Baugenossenschaft der Buchdrucker schoben das Projekt an, inzwischen wollen auch die Genossenschaften Kaifu Nordland und Wichern Baugesellschaft dort bauen – perspektivisch sollen dort mehr als 200 Wohnungen entstehen.

„Die Dichte ist absolut vertretbar. Wir entwickeln ein liebenswertes, nachhaltiges Quartier mit hochwertigen attraktiven Außenanlagen“, sagt Sebastian Schleicher, Vorstand der Buchdrucker. Man sei den Anwohnern weit entgegengekommen, etwa durch den Bau einer teuren Tiefgarage, in die sich auch Anwohner einmieten könnten: „Wirtschaftlich wird sich das für uns nicht rechnen.“

Emich verweist darauf, dass man den Plan bereits abgespeckt habe: „Statt ursprünglich 120 wollen wir nur noch 88 Wohnungen bauen. Wir können nicht noch weiter reduzieren. Dann macht das wirtschaftlich keinen Sinn mehr.“

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Seit Jahren liefert „Lokstedt 67“ nun Diskussionsstoff für den Planungsausschuss. „Das Verfahren dauert wirklich extrem lange, das liegt mir als Ausschussvorsitzender auch im Magen“, so der Vorsitzende Lutz Schmidt (Grüne). Aber er sagt auch: „Der Interessenausgleich zwischen Anwohnern und Genossenschaften ist wichtig, den muss man aushalten können.“

Einige Forderungen seien sehr berechtigt gewesen: „Es war wichtig, dass die Baumasse reduziert wurde.“ Der Initiative reicht das nicht: „Wir begleiten diesen Prozess seit 2015 und müssen feststellen, dass unsere Eingaben zwar gehört wurden, aber sich nicht im überarbeiteten Bebauungsplanentwurf widerspiegeln.“ Es müsse auch um die Lebensqualität der Anwohner gehen, die seit vielen Jahren hier leben.

Wohnungen später mit hohem Profit verkaufen?

Emich wiederum ärgert, dass das Engagement der Genossenschaften zu wenig gewürdigt werde: „Im Stadtplanungsausschuss haben einige spekuliert, dass wir erwägen würden, die Wohnungen irgendwann wieder mit hohem Profit zu verkaufen. Dabei sind wir als Bestandshalter Garanten für preiswertes Wohnen. Es hat mich sehr überrascht, dass Fachpolitiker nicht einmal unser Geschäftsmodell kennen.“

Andreas Breitner sieht längst ein grundsätzliches Problem: In Hamburg sei inzwischen „kaum ein Bauprojekt noch möglich, ohne dass Anwohnerinnen und Anwohner alle Register ziehen, den Bau bezahlbaren Wohnraums zu verhindern“.

Gegnern bliebe noch der Gang vor ein Gericht

Mit Spannung blickt die Branche nun nach Eimsbüttel. „Ich werde alles daransetzen, dass die Pläne ausgelegt werden können“, verspricht der Ausschussvorsitzende Schmidt. Die Initiative wird dann ihre Einwände erneuern.

Sollte der Bezirk den Plan genehmigen, bliebe den Gegnern der juristische Weg. Im Februar gab das Oberverwaltungsgericht einer Klage gegen einen Bebauungsplan in Stellingen statt, die Bebauung sei zu dicht. Deshalb sagt Schmidt: „Es geht vor allem darum, dass wir einen juristisch sicheren Weg finden.“